Berlin. Geheimnisse haben in der Liebe nichts verloren? Falsch, sagen zwei Paartherapeutinnen. Es komme auf die Art der Heimlichkeiten an.

  • Sollten Paare wirklich alles miteinander teilen?
  • Nein, sagen Expertinnen
  • Warum Geheimnisse manchmal durchaus von Vorteil sein können

Vertrauen ist für viele Menschen einer der wichtigsten Werte in einer Beziehung. Eine Befragung aus dem Jahr 2017 von Statista zeigt: Ein Vertrauensbruch ist für 57 Prozent der rund 3000 deutschsprachigen Befragten der Beziehungskiller Nummer Eins.

Und trotzdem haben sechs von zehn Paaren Geheimnisse voreinander, wie eine Studie der Partnervermittlung ElitePartner aus dem Jahr 2021 offenbart. Dafür wurden 3933 Menschen in Beziehungen befragt. Ob Paare den Flirt an der Supermarktkasse oder die schlechte Stimmung am Abend immer miteinander teilen sollten, beantworten zwei Beziehungs-Expertinnen.

Geheimnisse in Beziehungen: Warum differenziert werden muss

„Oft fragen sich Paare unangenehme Dinge und kommen dann nicht mit dem Gehörten klar“, weiß Paartherapeutin Andrea Bräu. Bevor man etwas fragt, sollte man sich Bräu zufolge Gedanken darüber machen, was die Information zur Beziehung beiträgt und vor allem: ob man mit der Antwort umgehen kann.

Fremdgehen in der Partnerschaft

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    Nicht alle Geheimnisse gehören für sie geteilt: „Wenn es darum geht, was erzähle ich meinem Partner und was nicht, finde ich es wichtig, sich zu überlegen: Was davon ist überhaupt beziehungsrelevant?“, rät Bräu.

    Was die Partnerin oder der Partner vor der gemeinsamen Beziehung schon sexuell erlebt hat, sei nicht wichtig. Im Gegenteil: „Man beginnt, sich mit Ex-Partnerinnen und -Partnern zu vergleichen und fühlt sich dadurch eventuell schlecht.“ Bräu habe schon öfters erlebt, dass es für Männer ein Problem war, wenn sie erfuhren, dass die Partnerin mehr sexuelle Kontakte hatte, als sie selbst.

    Juliette Boisson, ebenfalls Paartherapeutin, erklärt, dass Ehrlichkeit in einer Beziehung zwar ein grundlegender Wert sei, sie sagt aber auch: „Wir sollten uns in bestimmten Situationen fragen, welche Auswirkungen die Ehrlichkeit auf die Beziehung hat und ob sie ihr zugutekommt oder eher Schaden anrichtet.“

    Paartherapeutin Andrea Bräu betreibt ihre eigene Praxis und kennt sich mit Fragen rund um Beziehung und Liebe aus.
    Paartherapeutin Andrea Bräu betreibt ihre eigene Praxis und kennt sich mit Fragen rund um Beziehung und Liebe aus. © privat/Norman Pretschner | Norman Pretschner

    Flirten in der Beziehung: Sollte ich das immer mit meinem Partner teilen?

    Müssen Paare einander von Flirts außerhalb der Beziehung berichten? Nicht unbedingt: „Man sollte wenigstens ein Mal vorab abwägen, ob es eher zu Unsicherheiten in der Beziehung führt, wenn ein unbedeutender Flirt vorgefallen ist und ich meinem Partner davon berichte“, findet Andrea Bräu.

    Bräu zufolge werde häufig nur das klärende Gespräch gesucht, um das eigene Gewissen zu erleichtern: „Oft geschieht das Teilen des Geheimnisses eher, um sich eine Art Absolution vom Partner zu holen.“ Da könne es besser sein, selbst damit umzugehen und den Partner nicht damit zu belasten.

    Therapeutin Boisson empfiehlt: „Bei einem Flirt sollte ich mich fragen, ob etwas dahintersteckt. War das bedeutungslos oder fehlt mir etwas in meiner Beziehung?“ Wenn etwas fehle, gelte es, mit dem Partner über die eigenen Bedürfnisse zu sprechen.

    Juliette Boisson ist Paartherapeutin, Single- und Beziehungscoach.
    Juliette Boisson ist Paartherapeutin, Single- und Beziehungscoach. © Blende11 | Blende11

    Liebe: Gibt es zu viel Nähe?

    „Ich finde Punkte wie Fußnägel voreinander schneiden oder Pickel ausdrücken haben nichts mit Vertrauen zu tun“, sagt Andrea Bräu. Das sei Privatsphäre und die gehöre auch in eine Beziehung.

    Anders sieht es allerdings mit mentalen Problemen und schlechter Stimmung aus: „Wenn ich ein belastendes Thema mit mir rumtrage, unterstützt mich der Partner in der Regel gerne damit und ich sollte darüber sprechen“, erklärt Boisson. Möglicherweise reagiere der Partner sonst enttäuscht, wenn herauskommt, was mit einem los sei. „Allerdings muss ich meinem Partner nicht jedes Mal alles, was mir durch den Kopf geht, aufbürden und ständig in Negativität verharren.“ Das belaste beide.

    Andrea Bräu sieht das ähnlich: „Mentale Belastungen oder traumatische Erfahrungen zu teilen, ist durchaus relevant für eine gute Beziehung. Wenn man dazu in der Lage ist.“ Bräu unterscheidet zwischen Ehrlichkeit und Offenheit: „Ehrlich könnte es sein, zu sagen, dass man da dieses eine Thema hat und offen, dass man aber jetzt noch nicht bereit ist, darüber zu sprechen.“

    Geheimnisse: Das sollte nicht versteckt werden

    „Sobald ein Partner eine Affäre hat, ist es nach meiner Erfahrung ratsam, das zu erzählen“, berichtet Boisson. Meist sei der Vertrauensbruch dann leichter zu reparieren – denn oft verletze das Geheimhalten mehr als der körperliche Betrug. Therapeutin Bräu bezeichnet Affären als beziehungsrelevant und findet ebenfalls: die sollten angesprochen werden.

    Boisson nennt eine Ausnahme: „Wenn das Paar vorher darüber gesprochen hat, dass sie von einer Affäre nichts wissen wollen, ist das natürlich okay.“

    Nicht lügen & nicht zu viel teilen? So finden Paare den richtigen Weg

    Absolut keine Geheimnisse in einer Beziehung zu haben, hält Bräu nicht nur für unrealistisch, sondern auch für wenig erstrebenswert: „Das wäre ja eine absolute Symbiose. Und wer wirklich alles vom Partner wissen muss, der wird wohl tendenziell ein Kontroll-Mensch sein oder sehr unsicher.“ Die Therapeutin erlebe es sehr oft in ihrer Praxis: Viele Paare würden Geheimnisse miteinander teilen und sich dann wundern, warum es anschließend Probleme gibt.

    Um das zu vermeiden, rät Boisson: „Paare dürfen verhandeln, welche Geheimnisse voreinander in Ordnung sind und welche nicht.“ Das sei je nach Beziehung individuell. Und auch das Taktgefühl spiele einer Rolle: „Ist es wirklich hilfreich, etwas, wie ,Mein Ex-Partner war hübscher als du‘, zu sagen? Ich denke nicht“, so die Therapeutin.