Gießen. Immer mehr Korallen sterben – Maren Ziegler und ihr Team versuchen von Deutschland aus, das Überleben der Riffe weltweit zu sichern.
Hinter einer schweren Eisentür liegt der frisch renovierte Forschungsbereich von Maren Ziegler. Hier liegt ein Duft von Meerwasser in der Luft. Schließt man die Augen und blendet die Laboratmosphäre aus, könnte man sich an die See träumen.
Im zweiten Stock eines in die Jahre gekommenen Hochhauskomplexes im hessischen Gießen – mitten in Deutschland – eröffnet sich eine exotische Welt. Vor den beiden Schauaquarien mit Meeresökosystemen im Miniaturformat, in denen neben Korallen und Clownfischen noch weitere bunte Riffbewohner leben, fühlt es sich mit etwas Fantasie sogar an wie im Schnorchelurlaub.
Die beiden Becken sind Teil der Korallenaquarienanlage des Instituts für Tierökologie und Spezielle Zoologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen – die größte Forschungsanlage ihrer Art in Deutschland. Für ihre Arbeit stehen Meeresbiologin Ziegler und ihrem bis zu 15-köpfigen Team dort rund 50 Korallenbecken zur Verfügung – mit insgesamt gut 10.000 Litern Meerwasser, also etwa 66 Badewannen voll.
Forschungsteam will Korallen helfen, sich besser anzupassen
Hauptforschungsthema ist der Einfluss des Klimawandels auf Korallenriffe. Der Fokus liegt hier auf der Erwärmung und Übersäuerung des Meerwassers – die beiden Hauptstressoren für Korallen. Aber auch der Einfluss von Mikroplastik auf Korallen wird untersucht.
„Unser Ziel ist es herauszufinden, wie wir Korallen helfen können, mit Hitzestress besser umzugehen“, erklärt Ziegler. „Wir wollen verstehen, wie wir ihre Anpassungsprozesse unterstützen und so auch die Evolution der Korallen beschleunigen können, damit sie weniger schnell ab- oder gar aussterben.“
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Und das ist dringend nötig. Denn der Klimawandel zerstört Korallenriffe, die Heimat von einem Drittel aller im Meer lebenden Arten. Vor der Küste von Mexiko etwa war die Korallenbleiche dieses Jahr so schlimm wie nie zuvor. Ein Grund dafür sind die hohen Wassertemperaturen, die derzeit oft mehrere Monate andauern.
„Man kann sich das vorstellen wie in einer zu heißen Badewanne“, erklärt Ziegler. „Wir würden irgendwann einfach aufstehen oder kaltes Wasser nachfüllen, Korallen können das natürlich nicht und das bedeutet unglaublich viel Stress für die koloniebildenden Nesseltiere.“
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Korallenbleiche so schlimm wie nie zuvor
Mittlerweile ist bereits ein Drittel des weltweiten Korallenbestandes unwiederbringlich zerstört. Die Tiere mit ihrem charakteristischen Kalkskelett konnten sich von einer Bleiche nicht erholen.
Hier setzt eine Forschungsarbeit in Zieglers Team an: So untersucht die irische Masterstudentin Anna Sweeney, wie gebleichte Korallen auf unterschiedliches Futter reagieren – kleine Krebse, Plankton, aber auch Honigwasser. Was kann ihnen helfen, eine Bleiche länger zu überleben?
Denn im Grunde ist eine Bleiche für Korallen vergleichbar mit einer krassen Diät. Diese können sie eine Zeit lang durchhalten, dann geht ihnen die Energie aus.
Normalerweise gehen Korallen eine Symbiose mit Mikroalgen und Bakterien ein. „Die Korallen bieten den Algen Lebensraum“, sagt Ziegler. „Allein auf einem Quadratzentimeter Koralle siedeln sich gut eine Million Mikroalgen an.“ Im Austausch erhalten die Korallen Sauerstoff und Zucker, den die Algen bei der Photosynthese ausscheiden.
Klimawandel: Zu warmes Wasser bringt System aus dem Gleichgewicht
Bei steigenden Wassertemperaturen produzieren die Algen aber sogenannte Sauerstoffradikale. „Diese greifen die Zellen der Korallen an“, so die Forscherin. „Zudem verändern sich die mikrobiellen Gemeinschaften, die auf den Tieren leben und binden etwa mehr Stickstoff.“
Auch das schade den Tieren und führe schließlich alles in allem dazu, dass die Korallen die Algen abstoßen und bleichen, sagt Meeresbiologin Ziegler. Davon gehe man zumindest aktuell aus. Abschließend geklärt sei diese plausible Theorie aber noch nicht.
Ein anderer Ansatz des Gießener Teams ist es, die mikrobielle Gemeinschaft auf den Korallen zu verändern – ihnen etwa unterschiedliche Mikroalgen anzubieten, um zu sehen, welche Symbiose die Tiere resistenter gegen Hitzestress macht.
Die große Aquarienanlage, die Zieglers Kollege Thomas Wilke mit viel Herzblut und Fördergeldern aufgebaut hat, bietet für die Forschungsarbeit ideale Voraussetzungen. Zudem kommt man vom nahe gelegenen Drehkreuzflughafen in Frankfurt am Main gut zu den verschiedenen Riffen weltweit, um erarbeitete Theorien zu überprüfen.
Mit hitzetoleranteren Korallen Zeit gewinnen
Maren Zieglers Hoffnung ist, durch die Forschungsarbeit zu verstehen, was eine hitzetolerante Koralle ausmacht und so etwas Zeit zu gewinnen. „Die Arbeit mit den Korallen hat mich sehr demütig gemacht“, sagt die Biologin. „Riffe zeigen beispielhaft, was wir Menschen auf der Erde angerichtet haben – durch den Klimawandel, aber auch durch Überfischung, Übersäuerung und Mikroplastik in den Meeren.“
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Es gehe nicht darum ein paar Tausend Korallenarten vor dem Aussterben zu bewahren, mahnt sie. „Ein ganzes Meeresökosystem ist von Korallenriffen abhängig. Es geht also um viel, viel mehr – auch für uns Menschen, beispielsweise mit Blick auf Nahrung, Küstenschutz oder Tourismus“, sagt Ziegler – ein Gedanke, den die Forscherin im Alltag verdränge, um nicht an der Dramatik zu verzweifeln.
Maren Ziegler betont: „Am Ende gibt es nur einen Weg, unsere Korallenriffe und gleichzeitig auch uns zu retten – und das ist, den Klimawandel aufzuhalten. Sofort. Jeder muss etwas tun. Der gesellschaftliche Druck muss wachsen.“