Berlin. Das Eis in der Arktis schmilzt. Ist es weg, droht eine verheerende Kettenreaktion, die Norddeutschland mit voller Wucht treffen kann.

„Das Schicksal der Erde liegt in unseren Händen.“ Mit diesem Satz untermalt Polar- und Klimaforscher Dirk Notz die größte Herausforderung unserer Zeit – den Klimawandel und seine Folgen. Eine Auswirkung der global steigenden Temperaturen ist das Schmelzen des Meereises in der Arktis. Notz hat in einem Team rund um den südkoreanischen Forscher Min Seung Ki der Pohang-Universität diese Entwicklung genauer untersucht.

„Wir haben uns angeschaut, wann die Arktis in Zukunft in den verschiedenen Monaten eisfrei sein könnte und welchen Anteil die Menschen am bisherigen Eisverlust haben“, erklärt der Professor für Ozeanografie. Dafür wurden laut Notz die Berechnungen für Vorhersagen so angepasst, dass sie empfindlicher auf Klimaerwärmungen reagieren.

Das Ergebnis sind genauere Pro­gnosen für die Zukunft, und diese sind ziemlich klar: Die Arktis, wie wir sie kennen, wird sich stark verändern. Und das wird auch Auswirkungen auf das Leben in Deutschland haben.

Forscher: „Arktischer Ozean wird mit dem Schiff befahrbar sein“

„Unsere Arbeit zeigt, dass wir irgendwann zwischen 2030 und 2050 damit rechnen müssen, dass die Arktis in manchen Sommern weitestgehend eisfrei sein wird“, erklärt Notz, „das heißt, der arktische Ozean wird dann ohne Eisschollen mit dem Schiff befahrbar sein.“ Wann genau dieser Zeitpunkt eintreten werde, das lasse sich nicht näher eingrenzen. Die Arktis werde in einem ungewöhnlich heißen Sommer das erste Mal eisfrei sein, erläutert er weiter.

Mindestens 90 Prozent dieses Eisverlusts der letzten drei Jahrzehnte können dabei laut dem Forscher direkt auf unseren menschlichen Ausstoß von Treibhausgasen zurückgeführt werden. Selbst wenn es jetzt eine Kehrtwende bei den Klimaschutzbemühungen geben würde, wäre das Schmelzen kaum aufzuhalten.

„Es lässt sich realistisch nicht mehr verhindern, dass wir einzelne eisfreie Sommer in der Arktis haben werden“, so der Polar- und Klimaforscher. Das Einzige, was noch abgewendet werden könne, sei eine jährliche Wiederholung dieser Situation. „Wenn wir wirklich wenig Treibhausgase ausstoßen, dann wird die Arktis nur dann eisfrei werden, wenn wir ungewöhnlich warme Sommer haben“, erläutert Notz. Die Emissionen auf null herunterzufahren, sei laut dem Experten der einzige Weg, um den Klimawandel zu stoppen.

Schmelze des Meereises hat langfristige Folgen für Deutschland

Zwar habe das Schmelzen des Meereises in der Arktis noch überschaubare direkte Folgen für unser Leben in Deutschland, aber für die Tiere in der Region könnten die Konsequenzen fatal sein. „Falls diese einen Sommer lang kein Eis mehr in ihrer Umgebung haben, dann kann dies eventuell zu massiven Verschiebungen im Ökosystem führen, die sich nicht mehr rückgängig machen lassen“, so Notz.

Langfristig hat der Verlust der Eisflächen dann aber doch Auswirkungen auf Deutschland, so der Forscher. „Als Folge des Schmelzens steigt der Meeresspiegel nicht an. Das Eis schwimmt bereits im Meer, und wenn es schmilzt, steigt der Meeresspiegel nicht, genauso wie auch das Glas nicht überschwappt, wenn die Eiswürfel im Getränk schmelzen“, erläutert der Wissenschaftler.

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Aber ein Anstieg des Meeresspiegels könne uns trotzdem drohen, wenn das Meereis in der Arktis schmelze. Denn eine Folge der fehlenden Eisdecke sei, dass sich das Wasser wesentlich stärker erwärmen würde, so Notz. Derzeit fungiere das Packeis noch wie ein gewaltiger Spiegel, der das Sonnenlicht zurück in das Weltall reflektiert und damit die Arktis kühlt, führt der Forscher aus.

„Dieser Sonnenlichtspiegel hat sich in den letzten 30 Jahren halbiert, und wenn der Rest verschwindet, wird im Sommer viel mehr Sonnenlicht in der Arktis bleiben“, erläutert er weiter. „Das führt wiederum zu der starken Erwärmung der Arktis.“

Steigt die Temperatur in der Arktis, könnte das wiederum Grönland stärker erwärmen. Schmilzt dort das Landeis, steigt der Meeresspiegel an. Die Folge wäre eine unmittelbare Betroffenheit in Deutschland, erklärt Notz.

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Forscher: „Norddeutschland muss leer geräumt werden“

Das gleiche Szenario erläutert Christian Haas, der im Bereich Meeresphysik am Alfred-Wegner-Institut forscht. Er macht deutlich, dass dieser Anstieg zwar sehr langsam passiert, aber eine der größten Bedrohungen überhaupt ist. 2100 könnte laut dem Klimaforscher der Anstieg bei 50 Zentimetern liegen. Seiner Meinung nach muss ein Umdenken in unserem Land stattfinden.

Wenn das Meereis in der Arktis schmilzt, kann das langfristig auch Folgen für unser Leben in Deutschland haben.
Wenn das Meereis in der Arktis schmilzt, kann das langfristig auch Folgen für unser Leben in Deutschland haben. © dpa | Nicky Wilson

„Die Regionen, die nah am Meeresspiegel sind, werden besonders stark betroffen sein“, sagt der Arktisexperte und fügt hinzu: „Deiche zu bauen, ist auf lange Sicht keine haltbare Lösung.“ Stattdessen kämen wir laut Haas nicht umhin, uns an die neuen Klimabedingungen anzupassen. „Norddeutschland muss leer geräumt werden“, erklärt er.

Gleichzeitig wird es ein Umdenken in der Landwirtschaft brauchen, so der Wissenschaftler. „Durch zukünftige Temperaturschwankungen kann es in Deutschland auch zu Stürmen, Hitzeperioden oder Dürren kommen“, so Haas. „Das heißt zum Beispiel, es müssen andere Sorten angebaut werden und wir brauchen Mischwälder, die an ein wärmeres Klima angepasst sind.“

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Beide Forscher sind sich einig, dass die Treibhausgasemissionen heruntergefahren werden müssen. „Das wird irgendwann passieren, weil es nicht immer heißer werden kann. Sonst funktionieren irgendwann unsere gesamten Wirtschaftssysteme nicht mehr“, pro­gnostiziert Notz.

Er sagt, dass es jetzt noch die Möglichkeit gebe, den Übergang zu komplett erneuerbaren Energien planvoll zu gestalten. Immer stärkere Unwetter könnten das laut dem Polar- und Klimaforscher aber in Zukunft ändern. „Dann wird der Zeitraum für den Übergang immer kürzer und der Handlungsdruck immer größer.“