Berlin. Treue im Tierreich ist selten. Das gilt auch für die Menschen. Viele Paare zerbrechen an Untreue. Sollte man seinem Partner verzeihen?
- Wer in seiner Beziehung betrogen wird, steht vor der Frage, ob man die Affäre seinem Partner verzeihen sollte
- Was sagen Psychologen zu der Frage, ob man Fremdgehen verzeihen sollte?
- Im Gespräch mit unserer Redaktion erklären sie außerdem, welche Chance sich aus dem Fremdgehen entwickeln kann
Wenn der Partner oder die Partnerin fremdgeht, bricht oft eine Welt zusammen – auf beiden Seiten. Der eine Partner versinkt in Schuldgefühlen, der andere möchte den Betrüger am liebsten auf dem Beziehungsfriedhof beerdigen. Wie geht es weiter, wenn das Vertrauen so tief erschüttert ist und man mit verletzten Gefühlen, Wut und Enttäuschung zurückbleibt? Lohnt es sich, der Liebe trotz Vertrauensbruch noch eine Chance zu geben? Zwei Paartherapeuten geben Rat.
Wie oft gehen Frauen und Männer fremd?
Ob einmaliger Seitensprung oder langjährige Affäre: Sexuelle Untreue gilt als einer der häufigsten Trennungsgründe und gehört in Deutschland häufiger zum Beziehungsalltag als man denkt. Laut einer repräsentativen Studie der Online-Partnervermittlung ElitePartner von 2020 gaben 30 Prozent der 5600 befragten Vergebenen und ehemals Vergebenen an, schon einmal Sex außerhalb der Beziehung gehabt zu haben – ohne Wissen des Partners.
Frauen sind den Umfrageergebnissen zufolge häufiger untreu: Fast jede dritte Frau (31 Prozent) gab in der aktuellen Studie an, schon einmal in einer festen Beziehung fremdgegangen zu sein – bei den Männern waren es 27 Prozent.
Der jährlich in den USA durchgeführte repräsentative "General Social Survey" der Universität Chicago kommt sogar zu dem Ergebnis, dass im Jahr 2021 30 Prozent der verheirateten Frauen und 60 Prozent der verheirateten Männer in der Ehe untreu waren.
Was sind die häufigsten Gründe für einen Seitensprung?
Um einen Partner für einen One-Night-Stand oder eine Affäre zu finden, muss man heute nicht einmal mehr vor die Tür gehen. Partnerbörsen und Smartphone-Apps wie Tinder machen es immer einfacher, sich auf ein schnelles Liebesabenteuer einzulassen. Und danach sehnen sich offenbar nicht nur Singles: Laut einer Studie der Universität Picardie Jules Verne in Frankreich sind zwei Drittel der Tinder-Nutzer in festen Händen oder sogar verheiratet – und nutzen die Dating-App demnach nur zur Unterhaltung außerhalb der Beziehung oder für das Selbstbewusstsein.
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Warum riskieren so viele Menschen ihre oft langjährigen Beziehungen für eine weniger bedeutsame Affäre oder einen einmaligen Flirt? "Männer neigen eher zu gelegentlichen und opportunistischen Seitensprüngen, weil sie vor allem sexuelle Abwechslung suchen", sagt Diplom-Psychologin Lisa Fischbach von ElitePartner. Frauen hingegen gehen vor allem aus emotionalen Gründen fremd. Statt zu einmaligen Ausrutschern neigen sie eher zu Verhältnissen und Affären, in die sie sich dann oft verlieben, so Fischbach. Fast jede dritte Frau entwickelt während eines Seitensprungs Gefühle, ergab auch die Studie von ElitePartner.
Drei weitere typische Gründe für Untreue sind:
1. Mangelnde Wertschätzung und Aufmerksamkeit
Wenn Menschen in ihrem Beziehungsalltag Wertschätzung und Bestätigung durch den Partner vermissen, werden sie häufiger untreu. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der University of Maryland, die mangelndes Selbstwertgefühl als einen der häufigsten Gründe für Untreue ausgemacht hat. "Ich wollte mich besser fühlen", "Es gab mir ein Gefühl von Unabhängigkeit", waren einige der Antworten, die im Rahmen dieser Studie gegeben wurden. Wer fremdgeht, fühlt sich begehrt und genießt die Aufmerksamkeit, die er in seiner Beziehung vielleicht vermisst, sagt auch Diplom-Psychologin Lisa Fischbach.
2. Der Wunsch nach Abwechslung
Langeweile, Eintönigkeit, Mangel an Abwechslung motivieren erwartungsgemäß dazu, sich auf neue Abenteuer einzulassen. Das Interesse am Unbekannten führt auch in Beziehungen zu Seitensprüngen. Gerade in langjährigen Partnerschaften haben sich oft Routinen und Alltäglichkeiten eingeschlichen, so dass neue, aufregende Kontakte einen besonderen Reiz ausüben können.
3. Sexuelles Verlangen
Sex ist häufig das Hauptmotiv für eine Affäre, so die US-Studie. Dies gilt zwar auch für Frauen, ist aber häufiger ein Grund, warum Männer fremdgehen – immerhin jeder siebte Mann neigt zur Untreue, wenn körperliche Vorlieben in der Partnerschaft nicht ausgelebt werden können, ergab auch die Studie von ElitePartner.
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Bedeutet ein Seitensprung automatisch, dass man seinen Partner nicht mehr liebt?
Eric Hegmann, Paar- und Sexualtherapeut und Mitbegründer der Modern Love School, erklärt, dass ein Seitensprung keineswegs einen Mangel an Liebe bedeutet. "Partner, die zurückkommen, treffen eine Entscheidung für die Beziehung", sagt Hegmann. "Die meisten, die ich in der Praxis erlebe, sind Menschen, die sich nie im Leben hätten träumen lassen, dass gerade sie so etwas tun würden." Eigentlich würden sie die meisten Aspekte ihres Zusammenlebens beibehalten wollen. Aber auf irgendeiner Ebene der Liebe, sei es die erotische Anziehungskraft, die seelische Anziehungskraft oder die Liebe zum Zusammenleben, gab es ein Aufmerksamkeitsdefizit, etwas wurde nicht genügend beachtet und gepflegt. So entstehen nach Ansicht des Experten Seitensprünge und Affären.
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Führt ein Seitensprung zwangsläufig immer zur Trennung?
Obwohl Vertrauensbrüche immer häufiger vorkommen, muss ein Fremdgehen nicht zwangsläufig der Grund für eine Trennung sein. Denn ein Seitensprung kann auch Chancen bieten, wenn man sich der Gründe für den Fehltritt bewusst ist und vielleicht erst durch den Betrug gemerkt hat, wie wichtig einem der Partner nach wie vor ist. Schließlich geht es in einer Partnerschaft nicht nur um körperliches Begehren, sondern auch um über Jahre gewachsenes Vertrauen und viele gemeinsame prägende Erlebnisse.
Nach Ansicht von Hegmann haben es vor allem jüngere Menschen mit weniger Lebens- und Beziehungserfahrung schwer, nach einem Seitensprung wieder zueinander zu finden. "Das mag auch viel damit zu tun haben, dass die Partnersuche heute als so schwierig und anstrengend erlebt wird und man auch nach jahrelanger Suche nach dem richtigen Partner und der Hoffnung, ihn endlich gefunden zu haben, mit dieser neuen Realität nicht zurechtkommt", so Hegmann. Je älter die Paare sind, desto differenzierter wird oft betrachtet: Lohnt es sich wirklich, jetzt alles aufzugeben?
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Wie können Paare nach einem Seitensprung ihre Beziehung retten?
Diplom-Psychologin Lisa Fischbach hat sich intensiv mit dem Thema Untreue beschäftigt und erklärt: "Nach einem Seitensprung macht es wenig Sinn, in die "alte" Beziehung zurückkehren zu wollen, denn es bleibt immer eine Partnerschaft, die Untreue erlebt hat. Also sollten sich beide Partner überlegen, ob sie eine "neue" Beziehung miteinander eingehen wollen und was in Zukunft anders laufen soll."
Folgende Fragen können dabei helfen:
- Was soll die Krise zeigen?
- Gab es Veränderungen, die das Paar auseinander gebracht haben?
- Gab es genug Aufmerksamkeit in der Partnerschaft oder fehlten kleine Abenteuer?
- Was ist im Laufe der Beziehung zu kurz gekommen?
- Was erwarten beide Seiten von der Partnerschaft?
Darüber hinaus ist es nach Ansicht der Expertin sehr wichtig, dass der untreue Partner die Verantwortung für die Untreue und die dadurch verursachten Verletzungen übernimmt und sich aufrichtig entschuldigt. Hegmann betont, dass dies ohne Druck des Partners erfolgen sollte: "Wenn wir Menschen dazu zwingen, sich schuldig zu fühlen, und zwar für eine der vielleicht bedeutsamsten Dinge in ihrem Leben, hindern wir sie daran, sich zu zeigen und dem Schmerz des anderen gegenüber mitfühlend zu sein."
Der Betrogene wiederum muss bereit sein, die Opferrolle hinter sich zu lassen und aufrichtig zu verzeihen, natürlich mit der Unterstützung des untreuen Partners. Erst dann, so die Experten, könne eine neue gemeinsame Zukunft und die Chance auf eine gestärkte Beziehung entstehen.
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Lohnt es sich auch nach einer Affäre, die Beziehung zu retten?
"Ein Seitensprung kann meiner Erfahrung nach tatsächlich dazu führen, dass ein Paar die Gespräche führt, die es führen sollte, aber bisher nicht führen konnte", sagt Hegmann. Ebenso kann sich ein längerer Seitensprung – eine Affäre – positiv auf eine Partnerschaft auswirken. Denn das Paar könne den Vorfall nutzen, um die Beziehung neu zu ordnen und zu verbessern, so Hegmann.
Zudem stünden bei einer Affäre in der Regel nicht Langfristigkeit und tiefe Gefühle im Vordergrund, sondern Erotik und Sex. "Wenn ein Partner mehr, öfter und anders Sex will als der andere, kann man darüber reden und Lösungen finden." Denn man könne und solle dem Partner seine Sexualität nicht vorschreiben. "Genauso wenig sollte man den anderen im Unklaren darüber lassen, wie man seine Sexualität außerhalb der Beziehung auslebt."
Möglich ist auch, wieder mehr Nähe und Verbindlichkeit in die Beziehung zu bringen. Sexualtherapeuten sagen oft: Männer suchen Nähe durch Sex, Frauen brauchen Nähe für Sex. Auch wenn Nähe unterschiedlich definiert wird: Es geht um Nähe! Fehlt diese Komponente in der Beziehung, wird sie woanders gesucht.
Die besten Chancen, einer Affäre entgegenzuwirken, haben laut Hegmann Paare, die sich aufeinander konzentrieren und ihre Beziehung im Alltag pflegen, zum Beispiel durch: Liebevolle Kommunikation, Wertschätzung der Andersartigkeit des anderen, Umgang mit Konflikten lernen und Date Nights! "Alles, was die Bindung zwischen den Partnern stärkt, minimiert das Risiko des Fremdgehens", sagt der Paartherapeut.
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Wann ist eine Paartherapie sinnvoll?
Paarberatungen sind grundsätzlich immer sinnvoll, sagen die Experten Fischmann und Hegmann. "Ein zu früh gibt es nicht", so Hegmann. Denn die eine, große Liebe, die ein Leben lang hält, ohne Krisen und Fremdgelüste, gibt es heute nicht mehr allzu oft. Ehen halten in Deutschland durchschnittlich 15,1 Jahre, sagt das Statistische Bundesamt für 2022. Warum nicht alle paar Jahre mit dem Blick von außen prüfen, was noch gut läuft und was nicht?
Paartherapeuten helfen Paaren mit Untreueerfahrung dabei, offen miteinander zu reden. Nichts zu beschönigen, nicht immer um den heißen Brei herumzureden und sich gegenseitig in der Komfortzone zu halten. "Es ist notwendig, beide Erfahrungen gleichzeitig festzuhalten, um nicht in die Schuld-, Verrats- und Opferdynamik hineingezogen zu werden, zu der es einen so starken Sog gibt", sagt Hegmann. So fließen die Informationen endlich wieder und die Ursache des Konflikts wird aufgespürt. Aha-Erlebnisse stellen sich ein. "Ach, so siehst du das?", und schon macht es bei vielen Paaren "Klick".
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