Düsseldorf. Sänger der Toten Hosen bringt seine Vorlesungen als Buch heraus: „Kästner, Kraftwerk und Cock Sparrer“. Von den Tiefen des Niveaus bis zur Kunst.

Als Campino (62) im April dieses Jahres für zwei Vorlesungen als Gastprofessor an der Heinrich-Heine-Universität antrat, war das eine kleine Medien-Sensation: 30.000 wollten ihn dort sehen, nur 500 konnten jeweils dabei sein. Wer den Sänger der Toten Hosen da verpasst hat, kann jetzt alles nachlesen: Im Büchlein „Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer – Eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik“ teilt er eine erweiterte Form seiner Gedanken.

Campino hatte es an der Heinrich-Heine-Universität nur bis in die Mensa geschafft

Die Ironie: Campino ist zwar als kluger, reflektierter Kopf im Rockgeschäft bekannt, aber eben nicht an der Uni gebildet, eher als Autodidakt. Auch wenn er an der Heinrich-Heine-Uni eingeschrieben war, „hatte ich es damals gerade mal bis in die Mensa geschafft“.

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Und so überrascht es kaum, dass man kaum neue sprachwissenschaftliche Erkenntnisse zum Thema „Gebrauchslyrik“ erhält, sondern eine ganz subjektive Entdeckungstour des Songschreibers und, ja, auch Lyrikers entlang seiner eigenen Geschichte, vom 15-jährigen Jung-Punk hin zum ausgewachsenen Rockstar. Es waren schon gewaltige kreative und inhaltliche Sprünge von der provokanten Mitgröl-Hymne „Hofgarten“ (1983, Refrain: „Ficken, Bumsen, Blasen, alles auf dem Rasen!“)  bis zum ergreifenden „Nur zu Besuch“ (2001), mit dem Campino einen Brief an seine gerade verstorbene Mutter schreibt. Campino schreibt zu ersterem: „Wir wollten damals Schmuddelkinder sein, das Niveau so weit runterziehen wie niemand sonst und fanden das lustig.“

Eine totale Kriegserklärung an die Jugend

Beeinflusst von Rockmusik aus England und Amerika wurde Andreas Frege in Mettmann zweisprachig groß, bevor er zu Campino wurde. Er fühlte sich wie viele andere als Außenseiter und bekam viel von frühen Punkbands mit, etwa von Sham 69 („If The Kids Are United“). Er und seine Mitmusiker, erst bei der Band ZK, später bei den Toten Hosen, wehrten sich auch gegen reaktionäre Texte, wie sie etwa ein Freddy Quinn einst sang: „Ihr lungert herum in Parks und in Gassen, wer kann eure sinnlose Faulheit nicht fassen? WIR!“ Das war für Campino nicht nur Provokation, es war „eine totale Kriegserklärung an die Jugend“.

Immer wieder bezieht sich Campino auf die Lyrik Erich Kästners, der ja als Kinderbuchautor („darin ist er Weltmeister“) berühmt geworden ist. Dabei sind seine Themen so vielfältig, von „Kleine Führung durch die Jugend“ (1928), das die Abnabelung von den Eltern beschreibt, über „Neues vom Tage“ (1958), das sich kritisch mit der Kirche auseinandersetzt bis hin zu „Eine sachliche Romanze“ (1928), was von einem Paar erzählt, das sich auseinandergelebt hat.

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Campino beschreibt, wie er als junger Musiker auch die ganz natürliche Verachtung der Jugendlichen für alles erlebt hat, was ein paar Jahre vor ihrer Zeit erschaffen wurde. Was dazu führte, dass er Hannes Wader, Franz Josef Degenhardt und Ton Steine Scherben erst viel später zu würdigen wusste. Er erklärt, warum er die gesellschaftskritischen Texte von Cock Sparrer so mochte, aber auch die verknappten Zeilen von Kraftwerk zu schätzen weiß, die ohne die Verbindung zur Musik nicht halb so eindrucksvoll wären.

Die Toten Hosen: „Systemkasper“ im medialen Shitstorm?

In der zweiten Vorlesung setzt er sich kritisch mit der medialen Wahrnehmung in der Zeit von Social Media auseinander, Titel: „Alle haben was zu sagen. Die Kakophonie unserer Zeit“. Was auch ein großes Thema für die Toten Hosen ist, denn sie sind bereits oft in den Shitstorm der sozialen Medien geraten, auch ohne Zutun, egal ob von links oder von rechts. „Systemkasper“ und „Champagner-Sozialist“ hat man ihn schon geschimpft. Und er selbst, ja eher als politisch links bekannt, geht aus heutiger Sicht kritisch mit einem Text in Gericht, der 1983 selbstverständlich als pure Ironie verstanden wurde – „Ülüsü“ (war eine Türkin)–, nach diversen Rechtsrucks in diesem Land heute aber auch missverstanden werden könnte.

Am Ende stellt Campino seine eigenen Fähigkeiten als Gebrauchslyriker und Songschreiber ein wenig infrage, indem er wiedergibt, was eine KI ausgespuckt hat auf die Bitte, ein Gedicht über Verlust und Vergänglichkeit im Stil von Campino, Erich Kästner und Heinrich Heine zu verfassen: „In Nächten, die so kalt wie Stahl, blickt man zurück, erzählt von Qual …“ Campino fragt, ob es jemand merken würde, wenn er sich selbst als Autor der Zeilen ausgäbe. Und schließt mit den so versöhnlichen wie hoffnungsvollen Worten: „Dass die Maschine den Menschen besiegt, daran möchte ich nicht glauben. (…) Der Mensch besitzt immer noch einen Rest Wahnsinn, den die Maschine nie berechnen können wird.“

Campino: Kästner, Kraftwerk, Cock Sparrer – eine Liebeserklärung an die Gebrauchslyrik, Piper, 160 Seiten, 16 €