Düsseldorf. Hochamt für die Hosen: Sechs Gründe, warum Ministerpräsident Wüst in der Düsseldorfer Band eine würdige Staatspreis-Trägerin gefunden hat.

Er braucht eigentlich weder Begründung noch Argumentationshilfe. Hendrik Wüst könnte den Staatspreis NRW, die höchste Auszeichnung des Landes, an fast jede und jeden verleihen, die ihm würdig erscheinen. Es ist seit bald 40 Jahren das Privileg des amtierenden Ministerpräsidenten, nach eigenem Gutdünken Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu dekorieren, die herausragende Leistungen erbracht haben und sich irgendwie mit Nordrhein-Westfalen in Verbindung bringen lassen.

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Wenn Wüst also am 30. Oktober mit allen diplomatischen Ehren im Düsseldorfer Apollo Varieté den Punkrock-Stars von den Toten Hosen die Staatspreis-Urkunde aushändigt, würde ein wenig Nostalgie ausreichen. „Alles wird gut“ war 1990 die erste eigene Single, die der damals 15-jährige Hendrik in seinem Jugendzimmer in Rhede auf die Kompaktanlage gelegt hat. So etwas verbindet ein Leben lang.

Die Verbürgerlichung der einstigen linksalternativen Systemsprenger

Wüst könnte sich auch bloß an der Ironie erfreuen, dass ausgerechnet er, der schon als Schüler in der Jungen Union des konservativen Münsterlandes sozialisiert wurde und seither wenig mehr als die CDU gesehen hat, mit dieser Staatspreis-Verleihung die Verbürgerlichung der einstigen linksalternativen Systemsprenger aus der Punk-Wiege des Ratinger Hofs einer besonderen Pointe zutreibt. Oder aber der Ministerpräsident hätte schlicht seine Freude an einem subversiven Ehrungswechsel: Letztes Jahr Angela Merkel, davor Michael Schumacher, jetzt eben die Jungs von der Opel-Gang.

Bei Lichte betrachtet gibt es für den Staatspreis an die Toten Hosen aber tatsächlich „1000 gute Gründe“, um einen der extrem erfolgreichen Songs aus der mehr als 40-jährigen Bandgeschichte zu zitieren. Die vielleicht wichtigsten sechs, die Wüst zu seiner Auswahl bewogen haben könnten, sind diese:

Die wilden 90er: „Die Toten Hosen“ posieren im Februar 1996 vor ihrem Karnevalswagen, mit dem sie am Düsseldorfer Rosenmontagszug teilnehmen. © picture-alliance / dpa | Achim Scheidemann

Freundschaft: Im Grunde bedient die Geschichte der Toten Hosen in einer Zeit immer flüchtigerer Beziehungen eine große Sehnsucht nach lebenslanger Freundschaft. Campino und Bassist Andi haben sich mit 14 im Hockeyclub in Mettmann kennengelernt, die Gitarristen Breiti und Kuddel sind ihre Jugendkumpels aus Düsseldorf. Schlagzeuger Vom ersetzte vor einem Vierteljahrhundert den inzwischen verstorbenen Drummer Wölli. Gemeinsam über 60 zu werden, unterschiedliche Persönlichkeiten auszuhalten und zusammen eine Familiengruft auf dem Düsseldorfer Südfriedhof zu reservieren – das schafft keine gecastete Boyband.

Die Hosen stellen mit ihrem Vermögen und ihrer Prominenz viel Vernünftiges an

Engagement: Die Hosen sind mit über 15 Millionen verkauften Tonträgern, zwölf ersten Plätzen in den Albumcharts und unzähligen Stadion-Tourneen reich geworden. Sie sind heute ein mittelständisches Unternehmen aus Düsseldorf-Flingern, das sich aufs Geldverdienen versteht. Doch die Hosen stellen mit ihrem Vermögen und ihrer Prominenz auch jede Menge Vernünftiges an. Sie engagieren sich in der Flüchtlings- und Entwicklungshilfe, sind unermüdlich im Kampf gegen Rechtsextremismus und unterstützen soziale Projekte. Bei allem kommerziellen Erfolg sind ihre Konzertkarten im Branchenvergleich noch immer erschwinglich. Die totale Live-Verausgabung für die Fans ist immer ihr Kerngeschäft geblieben.

Düsseldorf Die Toten Hosen im ISS Dome
Die Hosen geben grundsätzlich alles auf der Bühne: hier Campino beim Konzert in Düsseldorf auf der „Krach der Republik“ - Tour 2012. © WAZ FotoPool | Lars Heidrich

Die Hosen haben immer weiter gemacht

Durchhaltevermögen: Die Hosen konnten vor dem ersten großen Erfolg mit „Hier kommt Alex“ jahrelang nicht von ihrer Musik leben. Sie haben sich durchgeschlagen und mehr dem Exzess gefrönt. Bis auf Leadgitarrist Kuddel, der von klein auf mit großem Talent gesegnet war, hatte der Rest der wilden Combo zunächst nicht einmal musikalisch viel drauf. Es gab allein im NRW der 80er Jahre ein Dutzend Bands, denen man den Durchbruch eher zugetraut hätte. Die Hosen haben trotzdem immer weiter gemacht, selbst ohne Ausbildung die eigene Kunst perfektioniert und sich nach den Scorpions zur erfolgreichsten Rockband Deutschlands entwickelt.

Die Hosen würden nie als Fernsehjuroren über Möchtegern-Superstars urteilen

Respekt: Die frühen Jahre der Toten Hosen sind zwar durch Respektlosigkeit, Autoritätsverachtung und Zerstörung geprägt, doch kennzeichnend für sie wurde die Achtung vor anderen Künstlern und Berufsgruppen. Sie spielen gelegentlich gemeinsam mit klassischen Orchestermusikern, behandeln ihre Helfer hinter der Bühne ordentlich und würden nie als Fernsehjuroren über Möchtegern-Superstars urteilen. Musik als Ausdrucksform bleibt für sie etwas sehr Persönliches. Geniale Songs der einstigen Rivalen von den Berliner „Ärzten“ wie „Schrei nach Liebe“ werden heute problemlos bei Konzerten nachgespielt.

Der Heimatliebe der Hosen haftet nichts Piefiges an

Heimat: Die Toten Hosen gehören zu den bekanntesten Düsseldorf-Botschaftern und unterstützen seit Jahrzehnten die Teams von Fortuna und DEG. Trotzdem haftet ihrer Heimatliebe nichts Piefiges an. Dafür sorgen schon die riesige Fan-Basis in Südamerika, der britische Schlagzeuger Vom Ritchie, der in der Eifel komponierende Kuddel und der Halb-Engländer Campino mit seiner pathologischen Liebe zum FC Liverpool. Obwohl fast alles über die Hosen bekannt ist: Homestories aus ihrem Düsseldorfer Leben haben sie nie nötig gehabt.

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Fußballfan Campino: hier bei der Fortuna 2019. © picture alliance/AP Photo | Martin Meissner

Die Hosen sind in Würde alt geworden

Inklusion: Die aus bürgerlichen Elternhäusern stammenden Bandmitglieder haben zwar als schrill gekleidete und bunt frisierte Bürgerschreck-Typen Karriere gemacht. Ihr Publikum aber wollten sie immer so annehmen, wie es ist. Alt, jung, reich, arm, spießig, alternativ – völlig egal. Noch heute kann man problemlos seine Kinder mit zum Konzert nehmen und ein Stück zur Seite gehen, wenn Alt-Punks vor der Bühne im „Kreisel“ toben. Den Hosen ist etwas gelungen, was im Showbusiness so schwer ist: in Würde alt zu werden. Sie klingen heute radiotauglicher, ohne sich musikalisch untreu zu werden. Sie haben sogar der Versuchung widerstanden, als alte weiße Männer ihre wohl berühmteste Liedzeile aus dem „Wort zum Sonntag“ von 1986 wahrzumachen: „Ich bin noch keine 60, und ich bin auch nicht nah dran, und erst dann möchte ich erzählen, was früher einmal war.“

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