Neuss. Wohnen auf acht Quadratmetern: Gina (63) und Marcus (61) aus NRW leben das von vielen gefeierte Vanlife. Doch wie abenteuerlich ist es wirklich?
Auf einem Bauernhof in Bosnien, in der Wüste Marokkos, an der portugiesischen Steilküste: „Wenn ich morgens aufwache, weiß ich manchmal gar nicht, wo ich bin, weil wir so viel unterwegs sind“, sagt Marcus. Mit der Rente haben er und seine Frau Gina nicht nur das Arbeitsleben hinter sich gelassen, sondern auch ihre Wohnung. Sie reisen in einem umgebauten Transporter durch die Welt.
Abgelegene Orte entdecken, bleiben, wo immer es ihnen gefällt: Das ist es, was das Ehepaar aus Neuss und etliche andere, eigentlich vor allem junge Menschen, am sogenannten Vanlife fasziniert. Mit einem Transporter, Bulli oder Auto unterwegs zu sein, ist für viele längst mehr als bloß eine Möglichkeit, den Urlaub zu verbringen. Während anfangs nur Aussteigerinnen und Aussteiger ihre feste Bleibe aufgaben, ziehen mittlerweile immer häufiger Menschen dauerhaft in ein Zuhause auf vier Rädern.
Vanlife verspricht Nähe zur Natur und Freiheit
Vanlife wird als Lebensmodell verkauft, das Nähe zur Natur, Freiheit und den Ausstieg aus dem Hamsterrad verspricht. So präsentieren es jedenfalls die rund 17 Millionen Fotos, die unter dem gleichnamigen Hashtag bereits auf der Social-Media-Plattform Instagram geteilt wurden. Doch wie idyllisch ist das Leben im Van tatsächlich – vor allem im Alter?
Gina (63) hat es sich am kleinen Tisch gemütlich gemacht, während Marcus (61) auf dem Gasherd Wasser für den Kaffee aufkocht. „Es kann sich immer nur einer frei bewegen, der andere muss irgendwo sitzen oder liegen“, sagt Marcus. Seit über einem Jahr spielt sich das Leben des Ehepaars nun schon auf acht Quadratmetern ab.
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„Da ist das Wohnzimmer“, sagt Marcus und zeigt auf den Tisch, an dem Gina sitzt. „Hier die Küche. Und hier“, sagt er, während er einen Vorhang zur Seite schiebt, „das Bad mit Toilette und Dusche.“ Hinter einem anderen Vorhang verstecken sich Bett und ein paar Regale. „Oh nein, es tropft durch das Dachfenster!“, sagt Marcus. Auf dem Parkplatz des Friedhofs Grimlinghausen in Neuss sammelt sich das Wasser bereits in großen Pfützen. Nichts für Schönwetter-Camper.
Nur wenige Meter vom Parkplatz entfernt spielte sich Gina und Marcus altes, ganz durchschnittliches Leben ab. Sie lebten in einer großen Wohnung. Gina arbeitete als Apothekerin, Marcus als Ingenieur. „Meine Arbeitsstelle war hier direkt um die Ecke“, sagt er. Dass er seinen Job frühzeitig kündigen und die beiden ihre Rente ohne feste Bleibe verbringen würden, hätten sie sich damals nicht vorstellen können.
So richtig gepackt hat Gina und Marcus die Reiselust erst zu Ginas 50. Geburtstag, den die beiden in Mexiko feierten. Mit der ersten großen Fernreise wuchs ihr Wunsch, mehr von der Welt zu sehen. 2016 nahmen sie sich eine einjährige Auszeit vom Job, entdeckten Vietnam, Australien, Chile – und einen neuen Lebensstil.
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„Wenn du so lange unterwegs bist, bist du für den hiesigen Arbeitsmarkt eigentlich geschädigt. Ich habe nicht mehr den Sinn dahinter gesehen, habe den maßlosen Konsum nicht mehr verstanden“, sagt Marcus. Kurz nach der Weltreise träumte er schon wieder vom nächsten Abenteuer. „Wir haben viele Reisedokus geguckt und sind dann irgendwann auf Videos gestoßen, in denen Leute Transporter zum Camper ausbauen. Da waren wir sofort begeistert.“
Vanlife bedeutet auch zwangsweise Minimalismus
Sie „sammelten ihren Mut“ und kauften einen weißen Citroën, der zu ihrem Corona-Projekt wurde. Innerhalb von zwei Jahren bauten sie alles nach ihren Vorstellungen um, investierten insgesamt rund 30.000 Euro in ihren „Balu“. „Schon bei der ersten Reise nach Kroatien und Slowenien haben wir gemerkt, dass es genau das Richtige für uns ist“, sagt Gina. Marcus erzählt, dass ein Gedanke anfing, „an ihm zu nagen“: Wie wäre es, wenn wir nicht nur Urlaub mit dem Van machen, sondern wirklich darin leben würden?
Die Idee ließ sie nicht mehr los. „2023 habe ich meinen Job gekündigt. Wir wollten Vanlife eigentlich erstmal nur für ein Jahr testen, unsere Wohnung untervermieten. Aber da hat der Vermieter nicht mitgespielt. Also haben wir unser ganzes Leben umgekrempelt“, sagt Marcus. Sie trennten sich von fast allem, was sie besaßen. „Wir hatten schon vorher viel ausgemistet, weil wir öfter mal umgezogen sind. Aber bei einigen Möbeln hat es echt wehgetan.“
Vanlife, das bedeutet auch Verzicht. Auf Besitz, aber auch auf Komfort, Routine, Sicherheit. „Wir sind nie lange an einem Ort, reisen eigentlich alle paar Tage weiter. Es ist schon nervig, immer einen neuen Stellplatz suchen zu müssen. Und gerade in Deutschland ist die Infrastruktur oft schlecht. Man hat zum Beispiel nur wenige Möglichkeiten, die Toilette zu leeren“, erzählt Gina. Am meisten störe die beiden am Vanlife aber, dass sie ihre Freunde und Familie seltener sehen. Wenn sie, wie jetzt, in Deutschland sind, holen sie all die Besuche nach.
„Man weiß nie so richtig, was einen erwartet. Das hält uns jung.“
Andererseits schätzen sie die Möglichkeit, unterwegs immer wieder neue Menschen kennenzulernen, tief in fremde Kulturen einzutauchen. „Das hält uns jung“, sagt Gina. Ältere Paare, die wie sie im Van leben, kennen die beiden kaum. Dabei haben ältere Nomadinnen und Nomaden einen großen Vorteil gegenüber den jüngeren, findet Gina: „Wir müssen uns weniger Gedanken über die Zukunft machen, vor allem, was das Finanzielle angeht.“ 1800 Euro geben sie pro Monat aus, leben von der Rente und ihrem Ersparten.
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„Das Geld wird für Jüngere oft zum Problem. Klar können sie auch von unterwegs aus arbeiten, aber wenn dann noch die Familienplanung dazu kommt, wird es kompliziert. Viele, die wir kennen, kehren irgendwann ins normale Leben zurück“, erzählt sie. Ob die beiden sich das auch vorstellen können? „Zurzeit nicht. Dafür lieben wir die Freiheit viel zu sehr“, sagt Gina. Solange sie fit genug sind, soll „Balu“ ihr Zuhause bleiben, wollen sie jeden Morgen an einem anderen Ort aufwachen.
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