Berlin. . Die „Dritte Generation Ost“ vereint Menschen, die zur Wendezeit noch zu jung waren, um sich ein festes Bild von einer Identität der Ostdeutschen zu machen. Die Gruppe sucht mit Workshops, Diskussionen oder auch Kurzfilm-Wettbewerben nach neuen Sichtweisen auf die DDR.

Als 1989 die Mauer fiel, war Michael Hacker zehn Jahre alt. Geboren und aufgewachsen im sächsischen Hoyerswerda, gehörte er damit zu jenen Kindern und Jugendlichen, die die Wende als „Dritte Generation Ost“ miterlebt haben. An die Demonstrationen, den ganzen Umbruch, hat der heute 35-Jährige kaum Erinnerungen. Hoyerswerda lag eben nicht an der Grenze, Berichte über politische Veränderungen kamen erst spät bei der Bevölkerung an. Im Nachhinein hat ihn die Geschichte stets beschäftigt. Mit Gleichaltrigen gründete er deshalb im Jahr 2010 die Initiative „Dritte Generation Ost“: „Ich habe mich nicht wiedergefunden in den typischen Berichten und Dokumentationen über die Wende.“

2,4 Millionen Jungen und Mädchen wurden von 1975 bis 1985 im Osten der Republik geboren, sie zählen statistisch zu dieser „Dritten Generation“. In der Gruppe engagieren sich aber auch Ältere und Jüngere. „Wichtig sind uns gemeinsame Erfahrungen und Erlebnisse“ – Erinnerungen an Sommer an der Ostsee etwa, an Ferienlager oder daran, wie in der Familie mit dem System umgegangen wurde – „wir wollen einem nicht das Label überstülpen, nur weil er altersmäßig dazugehört“, betont Michael Hacker. . Im Studium haben die meisten von ihnen bemerkt, dass sie eine andere Sozialisation erfahren haben als die Kommilitonen aus dem Westen. „Für mich war es immer ein Thema, dass ich aus dem Osten war, aber es hat die anderen nicht interessiert. Sie konnten damit nichts anfangen“, erklärt Anne Langer, gebürtig aus Cottbus. Nun hat sie Gleichgesinnte getroffen, mit denen sie die Geschichte aus ihrer Sicht aufarbeiten kann.

Das erste Mal in den Westen

1989 war Anne Langer vier, der Mauerfall spielte für sie damals keine Rolle. Stattdessen weiß sie noch genau, wie es war, als sie mit der Familie das erste Mal in den Westen fuhr: „Alles war so farbig und nicht so grau.“ Ihre Eltern seien systemkritisch gewesen, hätten manchmal Nachbarn als „rote Socke“ bezeichnet. Erst später ist der Kulturwissenschaftlerin klar geworden, was das genau bedeutete. „In meiner Familie haben einige von der Wende profitiert, konnten ihr Abi nachholen und in den ­90er-Jahren studieren.“ Zu DDR-Zeiten waren Arbeiterkinder und Parteitreue bevorzugt worden. Bei den Gesprächen mit anderen Gleichaltrigen und der Auseinandersetzung mit dem Systemwechsel, komplettiert sich das Bild der 29-Jährigen über den Osten – sie bekommt andere Sichtweisen auf die DDR vermittelt und forscht nun, welche Perspektive die Elterngeneration heute einnimmt, wenn sie auf das geteilte Deutschland zurückblickt. Die Fragen rütteln auch an Tabus: Waren die Eltern in der SED? Was wussten sie? Die Auseinandersetzung mit Erinnerungskultur ist übrigens Anne Langers Job: Sie arbeitet bei der Stiftung „Denkmal für die ermordeten Juden“ in Berlin.

Unabhängig von Parteien

Für Henrik Schober war es Jugendlicher ganz normal, dass aus dem geteilten Deutschland wieder eine Republik wurde. Er ist einer der wenigen „Wessis“, die sich in der Gruppe engagieren. Übers Studium kam der Politikwissenschaftler mit dem Thema in Kontakt. „Ich hatte keine Verwandten in der DDR und auch sonst keine biografischen Berührungspunkte. Ich finde es spannend, welchen Herausforderungen sich die Region stellen musste und auch heute noch muss.“ Erst im Nachhinein sei ihm aufgegangen, welche Anstrengung hinter der Wiedervereinigung wirklich stand.

Dabei will die Dritte Generation Ost, die inzwischen von einem losen Zusammenschluss zum Verein „Perspektive hoch drei“ wurde, bewusst keine politischen Forderungen stellen. „Wir sind oft von Parteien eingeladen worden, um mit ihnen über unser Thema zu sprechen. Aber wir lassen uns nicht vor einen Karren spannen“, betont Michael Hacker. Stattdessen organisieren er und seine Mitstreiter lieber Biografieworkshops, laden zu Diskussionen ein und loben etwa den Kurzfilm-Wettbewerb „Mauersegler“ aus, bei dem Filmemacher ihren Blick auf die friedliche Revolution zeigen.

Zudem wird 2015 ein Buch erscheinen. Es heißt „Elternabend“ und setzt sich mit Fragen auseinander, wie die eigenen Eltern aufwuchsen und was ihre prägend­sten Erlebnisse in der DDR waren – und wie sie ihre Kinder im System erziehen konnten. Die Themen liegen auf der Hand, einige Mitglieder sind inzwischen selbst Eltern. Die Dritte Generation ist erwachsen geworden.