Berlin. . Die ostdeutschen Städte Jena und Chemnitz konnten nach der Wende an ihre industriellen und handwerklichen Traditionen anknüpfen, die es schon vor der DDR-Zeit gab. Es gibt aber auch negative Beispiele wie Suhl und Cottbus, wo es noch immer an Arbeitsplätzen fehlt.

Wird die Stadt Jena erwähnt, fällt vielen Bundesbürgern besonders ein Name ein: Lothar Späth. Der ehemalige CDU-Ministerpräsident Baden-Württembergs machte dort eine zweite Karriere als Industriemanager von Jenoptik. Weniger bekannt ist, dass Jena ein Vorbild für den wirtschaftlichen Wiederaufbau Ostdeutschlands darstellt. „Jena und Chemnitz sind gute Beispiele für eine gelungene Re-Industrialisierung“, sagt Martin Rosenfeld vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH).

Millionen Industriearbeitsplätze gingen nach der Wende in Ostdeutschland verloren. Viele Stellen der DDR-Kombinate waren nach dem Fall der Mauer in der Marktwirtschaft nicht mehr konkurrenzfähig. Produktionen wurden aber auch geschlossen, weil die neuen Eigentümer ihre alten Westbetriebe schützen wollten. Das zwischenzeitliche Ergebnis: Die Arbeitslosigkeit stieg teilweise auf über 20 Prozent. Doch diese Zeiten sind vorbei. An vielen Orten gibt es wieder Industrie, an anderen ist die Re-Industrialisierung im Gange.

Re-Industrialisierung im Osten

So stehen in der thüringischen Stadt Jena Fertigungshallen und Forschungsabteilungen dreier großer Firmen. Carl Zeiss stellt Linsen und optoelektronische Geräte her. Jenoptik ist ein wichtiger Anbieter von Laser-Technologie. Und Schott produziert Spezialglas, das unter anderem in Solarzellen zum Einsatz kommt. Im sächsischen Chemnitz ist es ähnlich, aber mit anderer Spezialisierung. Die Firmen Niles Simmons und Union fertigen dort Werkzeugmaschinen. Hinzu kommt die Produktion von Fahrzeugteilen. VW betreibt in Chemnitz ein Motorenwerk.

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„Beide Regionen konnten an lange handwerkliche und industrielle Traditionen anknüpfen“, erklärt Ökonom Rosenfeld – und benennt damit eine wichtige Voraussetzung der Re-Industrialisierung in Ostdeutschland. Wo diese funktioniert, setzt sie eine Entwicklung fort, die im 19. Jahrhundert oder schon früher begann. In Jena ist dies die Glasherstellung, in Chemnitz der Maschinenbau. Mitte des 19. Jahrhunderts wurde Deutschlands erste Werkzeugmaschinen-Fabrik dort gegründet. Dieses Wissen gab es in der Region auch nach dem Fall der Mauer noch, es konnte reaktiviert werden.

Kein kompletter Garaus des Mittelstands

Zweitens erscheint wichtig, dass „sowohl mittelständische Strukturen als auch größere Betriebe vorhanden waren“, so Rosenfeld. Sowohl in Jena als auch in Chemnitz hatten die großindustriellen Kombinate der DDR kleineren Firmen nicht komplett den Garaus gemacht. So gelang es Erben oder neuen Besitzern in einigen Fällen, an die Tradition vor der Zeit des Sozialismus anzuschließen. Und so hing die Entwicklung nicht nur an wenigen Großbetrieben, sondern auch mittelständische Unternehmen boten wieder Arbeitsplätze.

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Außerdem betont Gerhard Heimpold, ebenfalls Ökonom am IWH, den dritten entscheidenden Faktor: „Sachsen und Thüringen weisen an den Standorten Dresden, Chemnitz, Jena und Ilmenau starke Universitäten mit naturwissenschaftlich-technischer Orientierung auf, die offenbar positiv in die Industrie in den Regionen hineinwirken.“ Was die Wissenschaftler an den Hochschulen austüfteln, kann im besten Falle vor Ort in neue Produkte einfließen.

Erstens Tradition, zweitens eine Verbindung von Mittelstand und Großunternehmen, drittens Wissenschaft – dies sind die drei wesentlichen Bestandteile, die Wirtschaftsforschern zufolge ein Cluster (Netzwerk) ausmachen. Wo diese vorhanden sind, funktioniert die Wirtschaftsentwicklung erfahrungsgemäß besonders gut. Einige Regionen in Ostdeutschland hatten das Glück, über diese Voraussetzungen zu verfügen. Andere nicht: Beispielsweise Suhl, Cottbus und Schwerin haben keine industrielle Renaissance erlebt.