Bochum.. Wer heute zur Schule geht, kennt die Mauer nur noch aus Erzählungen. Der Osten ist vielen Jugendlichen fremd, Kenntnisse über die DDR sind gering. Was wissen die nordrhein-westfälische Schüler eigentlich über den anderen Teil Deutschlands? Einer Studie zufolge: wenig.
Als er 16 war, ist Robin in den Osten gefahren. Zusammen mit seinem Vater, die beiden wollten nach Rostock, Auswärtsspiel des VfL. Robin war vorher schon mal drüben, außerdem hat er eine Oma in Wolfsburg, Zonengrenze. Trotzdem hat diese Fahrt durch die brandenburgische und mecklenburgische Provinz bleibenden Eindruck hinterlassen – so fremd kam ihm das andere Deutschland vor. „Wir sind durch verlassene Dörfer gefahren, vorbei an kaputten Häusern, kein Mensch war auf der Straße“, erinnert sich Robin. „Das war ein ganz anderes Gefühl, als wenn man durchs Sauerland fährt.“
Seit einem Vierteljahrhundert sind West und Ost wiedervereinigt. Dass eine Mauer das Land und den ganzen Kontinent teilte – wer heute zur Schule geht, kennt das nur aus Erzählungen. Was wissen Jugendliche im Revier eigentlich von diesem Stück Zeitgeschichte? Haben sie einen Zugang zur DDR – oder ist der Kampf zwischen Kapitalisten und Kommunisten für sie so weit weg wie eine Heimatschnulze aus den 50ern?
Studien stellen NRW-Schülern ein schlechtes Zeugnis aus
Wir treffen Robin, Thorben, Franziska, Helen und Dennis, junge Erwachsene kurz vor dem Abitur, sie besuchen verschiedene Schulen, alle sind in Bochum aufgewachsen. Denken sie an die DDR, fällt ihnen Erich Honecker ein und die Stasi. Thorben hat von Leuten aus dem Osten schon oft den Satz gehört, früher sei nicht alles schlecht gewesen, „irgendwo muss das ja herkommen“. Franziska findet „die ganze Planwirtschaft am krassesten“. Und Dennis weiß, dass „sich sogar Eheleute gegenseitig ausspioniert haben“. Jeder der fünf hat sich auf seine Weise mit dem Thema auseinandergesetzt.
Man muss erwähnen: Das trifft nicht auf alle Schüler zu. Studien attestieren nordrhein-westfälischen Jugendlichen, dass sie ziemlich wenig Ahnung haben, viel weniger als Schüler aus anderen Bundesländern. In einer Untersuchung des „Forschungsverbundes SED-Staat“ der Freien Universität Berlin wiesen die Forscher sogar explizit darauf hin, dass „die geringen Kenntnisse nordrhein-westfälischer Schüler“ über die DDR den ganzen deutschen Durchschnitt senkten.
Schüler aus Bochum, Dortmund, Oberhausen und anderen Städten sollten ankreuzen, ob Aussagen wie „Die Stasi war ein Geheimdienst, wie ihn jeder Staat hat“ stimmen oder nicht. Die Ergebnisse der Neunt- und Zehntklässler schreckten die Forscher auf. Konrad Adenauer und Willy Brandt hielten sie für DDR-Politiker, unter SED-Chef Honecker sei demokratisch gewählt worden. Allerdings stellte die Studie auch fest: „Das schlechte Abschneiden der westdeutschen Schulstandorte resultiert insbesondere aus den schlechten Ergebnissen der Migrantenkinder, die im Westen einen großen Teil der Schüler stellen.“
Die DDR konkurriert im Unterricht mit vermeintlich spannenderen Ereignissen im 20. Jahrhundert: Erster Weltkrieg, Zweiter Weltkrieg, Naziherrschaft, Demokratisierung . . . „Da fällt die DDR etwas hinten über“, glaubt Dennis.
Viel Betroffenheit, wenige Fakten
Die Berliner Forscher kamen zu dem Schluss, der Geschichtsunterricht sei zu wenig auf die Vermittlung von Sachwissen ausgerichtet. „Fast scheint es, als sollten nordrhein-westfälische Schüler nicht durch Fakten verwirrt werden“, heißt es. „Vielmehr stehen hier Kategorien wie Interesse oder persönliche Betroffenheit im Vordergrund.“ Die Bochumer Geschichtslehrerin Silke Hannover, die auch Robin, Thorben, Franziska, Helen und Dennis unterrichtet, wünscht sich mehr Stunden, um stärker in die Tiefe gehen zu können. Die DDR sei für Jugendliche einfach eine von vielen historischen Etappen. „Die Unterschiede zwischen Ossis und Wessis spielen aber nach wie vor eine Rolle.“
Immerhin: Nicht nur NRW-Schüler haben wenig Ahnung. Die 18-jährige Helen hat als Austauschschülerin in Kanada erfahren, wie gering das Interesse mancher nordamerikanischer Jugendlicher an Weltgeschichte ist. „Ich galt dort als Expertin für alle Europathemen“, erzählt Helen. „Einige waren tatsächlich ganz überrascht, als ich ihnen gesagt habe, dass es die Mauer gar nicht mehr gibt.“