Essen. . Die einen fühlen sich nur wohl, wenn die Wohnung komplett aufgeräumt ist. Die anderen empfinden das als ungemütlich. Der Wunsch nach Ordnung ist bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt. Aber es gibt Wege, wie man trotzdem ohne Streit zusammenleben kann. Wir zeigen ein paar davon.
„Kannst du nicht mal eben deine Zeitschriften zum Altpapiercontainer bringen?“ – „Nein, da stehen spannende Artikel drin. Außerdem will ich jetzt erst mal in Ruhe meine Zeitung lesen.“ – „Ich sauge täglich. Wann hat man sonst in so kurzer Zeit ein so schönes Ergebnis?“ – „Saugen? Um diese Uhrzeit? Über Wollmäuse stolpert doch keiner.“
Ordnung – oder Unordnung – ist das größte Streitthema bei Paaren. Wir ärgern uns über vollgestopfte Schränke, herumfliegende Schuhe und zerwühlte Schubladen mehr als über einen Mangel an Zärtlichkeit. Während die einen ihren Schreibtisch jeden Abend so aufräumen, als ob es ihr letzter Arbeitstag wäre, fühlen sich die anderen noch wohl, wenn zwischen den Stapeln lediglich der Gang vom Computer zur Kaffeemaschine gesichert ist. Warum haben wir ein unterschiedliches Bedürfnis nach Ordnung? Und sollten sich die Unordentlichen endlich mal zur Ordnung disziplinieren? Oder ist es an der Zeit, dass die Ordentlichen einen lockeren Umgang mit der Unordnung gewinnen?
„Endlich zufrieden leben mit dem Chaos“, „Wie uns Stapeln glücklich macht“, „Feng Shui gegen den Ordnungswahn des Alltags“ – Nein, so lauten die Buchtitel zum Thema (Un)Ordnung natürlich nicht. Die vielen Ratgeber, die regelmäßig zu diesem Thema erscheinen, wollen Ordnung schaffen. Denn Ordentlichkeit ist eine Tugend. Es ist eines der Ideale unserer Gesellschaft. Und Unordnung die Abart. Trotzdem gehen die Meinungen sehr auseinander bei der Frage: Was ist noch ordentlich und was schon chaotisch?
Der Grundstein für unser unterschiedliches Ordnungsverständnis wird in unserem Elternhaus gelegt: „Die äußere Ordnung lernen wir in hohem Maße in der Familie“, sagt der Psychologe Werner Gross. „Wie mein Vater, wie meine Mutter damit umgeht, das ist ein zentraler Faktor.“ Werden die Schuhe beim Hereinkommen in den Flur geschleudert? Oder haben sie einen festen Platz im Schuhschrank? Kinder schauen zu, übernehmen die Ordnungsregeln für ihr eigenes Leben. Modell-Lernen heißt der Fachbegriff. Werden die Kinder dann erwachsen, findet der eine es völlig in Ordnung, wenn die Schuhe in einer Ecke liegen, während der Partner es nicht ertragen kann, sobald auch nur ein Paar vor dem und nicht im Schrank steht.
Manche Kinder rebellieren auch gegen das Ordnungsverständnis der Eltern. So kann jemand, der in einem sehr reinlichen Haus aufgewachsen ist, später besonders chaotisch werden – oder umgekehrt.
Auch das Geschlecht hat Einfluss auf das Ordnungsverständnis, so Werner Gross vom Psychologischen Forum Offenbach. Werden Mädchen traditionell erzogen, wird ihnen die Ordnungs-Aufgabe im Haus zugeschrieben. „Der Mann ist der Chef der Familie, der Ernährer. Die Frau ist für das Innenleben, die Emotionen, die Ordnung im Hause zuständig. Deshalb fühlen sich auch heute noch viele Frauen für die Ordnung verantwortlich.“ Da jedoch das Rollenverständnis von Mann und Frau bei den jüngeren Generationen mittlerweile nicht mehr so trennscharf ist, wird auch der Punkt Ordnung immer mehr zur Verhandlungssache.
Unordnung ist solange in Ordnung, wie man sie selbst in Ordnung findet
„Sie kann nichts wegwerfen.“ – „Diese Hose hast du das letzte Mal vor zwanzig Jahren getragen.“ – „Die ist doch noch gut! Außerdem sind schmale Hosenbeine wieder modern.“ – „In unserer Garage liegt alles griffbereit.“ – „Nur fürs Auto ist dort leider kein Platz mehr.“ – „Ich werde nicht fürs Aufräumen bezahlt.“ – „Und ich habe keine Zeit.“
Wir verfügen nur begrenzt über Energie für die Aufgaben des Alltags. Es kommt darauf an, für was wir sie nutzen wollen. Legen wir viel Wert auf ein ordentliches Zuhause? Dann räumen wir auf. (Oder organisieren eine Putzkraft, die uns regelmäßig dazu zwingt, die Wohnung in Ordnung zu halten.) Ist uns die Lektüre eines guten Buches wichtiger? Dann stellen wir die Kaffeetasse auf dem Zeitschriftenstapel ab – und entspannen. Es sei denn, wir rutschen dann unruhig auf dem Sessel hin und her, weil wir nicht ganz ehrlich mit uns sind: „Im Regal ist kein Platzmehr. Aber Bücher schmeißt man doch nicht weg! Schade, dass ich den spontanen Besuch nur durch den Türspalt begrüßen konnte.“
Unordnung ist solange in Ordnung, wie man sie selbst in Ordnung findet. Fühlt man sich in Wirklichkeit jedoch gar nicht wohl damit, kann manches nur eine Ausrede sein: „Ich will doch nicht in einer Wegwerfgesellschaft leben.“
„Doch bevor man zur Wegwerfgesellschaft gehört, gehört man zur Konsumgesellschaft. Klingt das tugendhafter?“, will Constanze Köpp ihre Leser zur Ordentlichkeit motivieren. In ihrem Buch „Aufgeräumt leben – Warum weniger Haben mehr Sein ist“ sieht sie im Ausmisten die Lösung bei Ordnungssorgen. Wer gedankenlos kaufe, solle sich nicht wundern, wenn die Fülle zum Ballast werde. Menschen, die gerne mehr Ordnung hätten, aber nicht wissen, wie sie anfangen sollen, können Tipps aus solchen Büchern helfen: Nehmen Sie sich vor, jeden Tag drei überflüssige Teile aus einem Raum zu entsorgen. Oder: Lagern Sie Dinge, von denen Sie nicht wissen, ob Sie diese noch brauchen, in einer Kiste. Haben Sie die Sachen nach einem Jahr nicht vermisst, können sie diese getrost wegwerfen. Oder doch lieber verkaufen, verschenken oder tauschen?
„Ich habe die Schubkarre vors Haus gestellt und die alten Zeitschriften aus dem Fenster geworfen. Das war so befreiend!“ – „Dein Schreibtisch sieht immer noch aus wie eine Müllkippe!“ – „Wer Ordnung hält, ist nur zu faul zum Suchen.“ – „Und wie viel Zeit verschwendest du mit Suchen?“ – „ Nur kleine Geister halten Ordnung!“
Sind die Unordentlichen wirklich die Genies? Lange Zeit wurde in der Werbebranche die gegenteilige Meinung vertreten: Aufgeräumte Schreibtische und weiße Wände würden den Geistesblitz fördern. Nachgefragt in der Presseabteilung der erfolgreichen Hamburger Werbeagentur „Jung von Matt / Elbe“ heißt es: „Bei uns gibt es die Regel, dass am Abend der Schreibtisch blitzblank zu sein hat. Aber ob die von allen eingehalten wird?“ Die Anfrage wird weitergeleitet an den stellvertretenden Geschäftsführer: Jan Rexhausen meldet sich mit einem Lachen: „Wer hat über meinen Schreibtisch gelästert?“ Also aufgeräumt sei der nicht. Die vielen Projekte . . . Die Papierstapel dazu müsse er stets griffbereit haben. „Meinem Arbeitsplatz sieht man an, dass dort gearbeitet wird. Und einmal im Jahr gibt es bei uns ja den Klarschifftag, um zu prüfen: Was habe ich schon lange nicht mehr in die Hand genommen?“ Die strenge Ordnungsregel sei aus den 80ern. Solange sich Tassen und Gummibäume nicht stapelten, sei heute niemand mehr so streng. Die Mitarbeiter sollten sich schließlich wohlfühlen. „Ordnung ist das Genie des Mittelmaßes“, sagt Rexhausen. „Bei uns gibt es nur eine Regel, die wirklich zählt: Mach geiles Zeug!“
Die Kreativität von Unordentlichen
Eine Studie an der Universität in Minnesota bestätigt die Kreativität von Unordentlichen: Die Menschen sollten in einem Experiment Lösungen finden, wofür man Tennisbälle noch nutzen könnte. Ein Teil der Probanden arbeitete in einem aufgeräumten Raum, der andere in einem Durcheinander. Das Ergebnis: Die Menschen entwickelten im Chaos originellere Lösungen.
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Und auch der Psychologe Werner Gross erklärt: „Man kann nicht sagen, dass Unordentliche per se kreativ sind. Aber sie sind Leute, die etwas Neues wagen. Und neue Wege sind immer mit Ungewissheiten verbunden, mit einem Stück Chaos. Sie haben gelernt, das auszuhalten.“
„Das Genie überblickt das Chaos!“ – „1000 ungelesene E-Mails im Eingang sind normal.“ – „Er ist ordentlicher als ich, aber ich finde seinen verlegten Schlüssel immer.“
Es gibt Unordentliche, die sind wirklich chaotisch, sie verzetteln sich, wissen nicht, wo sie etwas hingelegt haben. Aber dann gibt es noch die anderen Unordentlichen, bei denen man sich wundert: Wie kann man in diesem Chaos arbeiten? Bittet man diese Menschen jedoch um eine wichtige Unterlage, ziehen sie diese mit einem Handgriff aus einem Stapel. Unordentlich zu sein ist etwas anderes, als keine Ordnung zu haben. Hinter dem Chaos kann ein System stecken, das jedoch nur derjenige durchschaut, der es geschaffen hat.
Umgekehrt können Ordentliche unorganisiert sein. Ihre Wohnung sieht ordentlich aus, aber sie wissen nicht, wo sie den wichtigen Brief von der Versicherung hingelegt haben. Neben der äußeren Ordnung gibt es immer auch eine innere Ordnung – oder Unordnung. Die können, aber sie müssen nicht zusammenhängen.
Äußere Ordnung sagt nichts über die innere Ordnung aus
„Wenn der Schreibtisch nicht aufgeräumt ist, kann ich nicht arbeiten. Ich habe das Gefühl, die Übersicht zu verlieren.“ – „Wenn ich keinen klaren Gedanken mehr fassen kann, dann räume ich die Bude auf.“
Die äußere Ordnung sagt also nicht immer etwas über die innere Ordnung aus. Bei den Extremen wird es besonders deutlich, etwa bei zwanghaften Persönlichkeiten: „Leute, die einen Zwang haben, versuchen, ihr inneres Chaos durch eine äußere Ordnung zu bändigen“, erklärt Gross. Indem sie etwa siebenmal nachschauen, ob der Herd auch wirklich aus ist. Die Journalistin Sandra Winkler schreibt in ihrem humorvollen Sachbuch „Er nannte mich Fräulein Gaga“ über ihren eigenen Ordnungsfimmel. Sie fragt sich, ob es noch ein Tick oder schon nicht mehr gesund ist, wenn sie unbedingt die Fußmatten – selbst vor fremden Wohnungen – gerade rücken muss. Außerdem kann sie es nur schwer ertragen, wenn Schuhe auf ihren Schnürsenkeln stehen.
„Der Zwang kann eine Stütze sein, die man diesem Menschen nicht einfach wegreißen darf“, sagt Gross. Ähnlich verhält es sich bei Messies. Menschen, die in großer Unordnung leben und nicht wissen, wie sie sich organisieren sollen. Man hilft diesen Menschen nicht, wenn man für sie aufräumt. Ältere Menschen gleichen etwa mit ihrer Unordnung einen Verlust aus: „Erinnerungen sind dann Wärmflaschen für die Seele“, sagt der Messie-Experte. „Da werden die Brautschuhe aufbewahrt oder die Anzüge des Mannes, der vor zehn Jahren gestorben ist.“
Nicht jeder Unordentliche ist ein Messie
Erst wenn die hygienischen Zustände chaotisch sind, wird es kritisch. Das Wichtigste ist jedoch, ob die Menschen selbst unglücklich sind. Gross: „Leidet der Betroffene, der Partner oder die Partnerin unter dem Messie-Verhalten?“ Dann brauchen sie Hilfe, um die Gründe zu finden: Ist es ein Protest gegenüber der Mutter, die ständig hinter einem hergewischt hat? Oder haben die Eltern selbst in chaotischen Zuständen gelebt? Manche Forscher sehen auch in biochemischen Veränderungen im Kopf einen Grund für das extreme Verhalten. Etwa 1,8 Millionen Messies leben in Deutschland. Doch nicht jeder Unordentliche ist ein Messie. Genauso wenig wie nicht jeder mit einem Ordnungsfimmel eine Zwangsstörung hat.
„Warum räumt er die Gabeln rechts in die Schublade ein statt links? Das ist unlogisch!“ – „Was regt Sie sich über die paar Socken auf dem Boden auf? Wenn sie am Regal war, brauche ich ewig, bis meine CD-Sammlung wieder sortiert ist.“
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Meist ist es ja nicht die eigene, sondern die (Un)Ordnung der anderen, über die wir uns ärgern. Ein berühmtes Beispiel: Eigentlich brauchten Hilde Müller und Marianne Klein nur einen Behälter, um die Gläser für die Feier des SPD-Ortsvereins zu spülen. Sie fanden in dem Leverkusener Museum 1973 eine Wanne, beschmiert mit Fett, beklebt mit Heftpflastern. Was für eine Sauerei! Doch die Frauen putzten schnell und gaben einen ordentlichen Empfang. Was sie nicht wussten: Gar nichts war damit in Ordnung. 40 000 DM Schadensersatz wurden für ihr Chaos fällig. Die Badewanne war Kunst – von Joseph Beuys.
Sauberkeit und Ordnung hängen zusammen. Wobei es wiederum aufgeräumte Typen gibt, die ohne Probleme über dicke Staubschichten hinwegsehen. Während unordentliche Menschen es vielleicht nicht mögen, wenn die Toilette nicht täglich geputzt wird.
Wenn Paare über Ordnung streiten
Was können Paare mit unterschiedlichem Ordnungssinn nun tun, wenn sie sich ständig darüber streiten? „Problematisch wird es, wenn einer seine Vorstellung von Ordnung für die einzig richtige hält“, sagt der Psychologe Rüdiger Wacker. Derjenige, der sich selbst als ordentlicher einschätzt, ist nicht automatisch im Recht. „Bereits die Worte sind gefährlich. Wenn man von Ordnung und Unordnung spricht, ist man schon parteiisch.“ Der Essener Paartherapeut empfiehlt, von verschiedenen Ordnungskonzepten zu sprechen. „Es wird auch leichter, wenn beide sagen, WIR haben ein Ordnungsproblem.“ Und das dann auch so meint und bespricht, was den Partnern wichtig ist, womit sie sich wohlfühlen. Denn schließlich geht es nicht um eine Schuldfrage, sondern um unterschiedliche Vorstellungen – und wie man damit leben kann. Rüdiger Wacker: „Ordnung kann eigentlich nicht der Trennungsgrund sein, sondern nur das Nicht-Darüber-Reden.“
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Ein Tausch ist ein Lösungsweg: Derjenige, der es gerne aufgeräumter hätte, könnte den Großteil der Hausarbeit übernehmen. Dafür sollte der Partner andere Aufgaben erfüllen: Kindern bei den Hausaufgaben helfen oder die Steuererklärung machen. „Es ist wichtig, dass beide in den Kompromiss investieren“, betont der Psychologe. Oder man teilt die Wohnung auf: „Dir gehört der eine Raum, mir der andere, und dann haben wir ein gemeinsames Zimmer, für das wir zusammen ein Ordnungskonzept finden.“
Überlegen, ob es ums Rechthaben geht
So können Paare mit unterschiedlichen Ordnungsansprüchen zusammenleben. Es sei denn, es geht eigentlich gar nicht um Ordnung, wenn man sich eine Stunde lang über Socken auf dem Boden streitet. Wacker: „Dann kann man in einer ruhigen Minute gemeinsam überlegen, ob es da um etwas anderes ging, ums Rechthaben zum Beispiel.“
Und vielleicht können Paare auch irgendwann das Positive sehen: Der Ordentliche trifft etwa schneller Entscheidungen, während der Unordentliche den Durchblick bewahrt, wenn das Leben chaotisch zugeht. Der Ordentliche sortiert gemeinsame Dinge so, dass jeder in der Wohnung alles wiederfindet. Und der Unordentliche zeigt, dass die Wäsche auch mal liegen bleiben darf, sobald die Sonne raus in den Garten lockt.
„Wir hatten uns fast getrennt, weil ich sein Chaos nicht mehr ertragen konnte. Und er sich meiner Ordnung nicht unterordnen wollte. Dann haben wir zwei kleine Wohnungen gefunden und leben seitdem glücklich Tür an Tür.“ – „Wir haben jetzt eine Spülmaschine. Endlich gibt es keine Diskussion mehr darüber, wer spült und wie oft.“ – „Warum stehen wieder die dreckigen Teller in der Spüle? Die Spülmaschine befindet sich doch direkt darunter . . .“
Ursus Wehrli, der Mann der Parkplätze und Buchstabensuppe neu sortiert
Wenn Ursus Wehrli aufräumt, schreckt der Kabarettist und Fotokünstler vor nichts zurück. Tisch und Stuhl verrückt er selbst auf einem Van-Gogh-Gemälde. Am liebsten würde er die Berge in seiner Heimat in der Schweiz neu ordnen. Aber das wäre sehr aufwändig. So sortierte er für sein drittes Buch erst einmal parkende Autos nach Farben oder die Buchstaben in der Suppe.
Hat Sie beim Mittagessen die Ordnungswut gepackt?
Wehrli: Jedes Kind hat schon mal mit den Buchstaben aus der Suppe den Namen an den Tellerrand geschrieben. Ich wollte sie gerne alphabetisch ordnen. Das Alphabet ist ja eine der vielen vorgegebenen Ordnungen, denen wir uns unterwerfen. Das war allerdings nicht einfach. Die Buchstaben schwimmen ständig davon.
Wollen Sie damit ein Loblied auf die Ordnung singen oder dem Chaos ein Denkmal setzen?
Wehrli: Ich will die Leute nicht belehren. Ich habe Lust, Dinge neu darzustellen. Und ich will zeigen, dass es nie nur eine richtige Wahrheit gibt, sondern immer mehrere Blickwinkel.
Welche Erkenntnisse gewinnen Sie aus solch einer neuen Übersicht?
Wehrli: Die Dinge neu zu ordnen, kann sehr inspirierend sein. Ich habe kürzlich CDs sortiert. Alle Bands, die im Namen eine Farbe tragen, kamen zusammen: Yello, James Brown, Roy Black. Und alle mit Nahrungsmitteln: Meat Loaf, Cranberries, Fettes Brot. Man entdeckt die Musik so ganz neu. Und wenn man seine eigene Ordnung hat, findet man die CDs auch sofort wieder. Weil man genau weiß, wo man suchen muss.
- Ursus Wehrli: Die Kunst, aufzuräumen. Kein & Aber. 48 Seiten, 16,90 Euro. Als Pocketausgabe: 9,90 Euro
Das sagt der Familientherapeut zum Chaos der Kinder
Endlich Feierabend: „Essen ist fertig!“. Aber keine kleinen Füße trappeln herbei. Die Eltern öffnen daraufhin das Kinderzimmer und sehen ihren Sprössling mitten in einem Spielzeug-Chaos! So die Sicht der Erwachsenen. Das Kind sieht jedoch keine Unordnung, sondern eine wunderbare Fantasiewelt, aus der es gerissen wird. Wer nun schimpft und sich über das Chaos beschwert, wird sein Kind kaum erreichen. „Es ist gut, wenn der Erwachsene in solchen Momenten erst einmal fragt: In welchem Spiel bist du gerade?“, sagt der Familientherapeut Klaus Baringhorst. „Dann holt man das Kind dort ab, wo es steht.“
Regeln und Rituale können helfen, das Ordnungsverständnis der Familie zu vermitteln: „Wenn gespielt wird, dann wird danach auch aufgeräumt.“ Befehle bringen wenig; Vorleben führt eher zum Ziel. Die erste Zeit mithelfen beim Aufräumen, aber dabei den Kindern auch ihre eigene Ordnung lassen. Und: „Wenn sich Eltern in aufgeräumten Räumen wohlfühlen, dann leuchtet das auch Kindern irgendwann ein.“
Ordnung ist immer wieder Thema in der Praxis für Familientherapie in Holzwickede: „Weil es unterschiedliche Ordnungsvorstellungen gibt, entzünden sich daran Konflikte“. Während Eltern kleinen Kindern Grenzen setzen, wollen Teenager sich mit ihrer Zimmer-Ordnung selbst abgrenzen: In meinem eigenen Reich kann ich tun und lassen, was ich will. „In gewissem Maß muss das toleriert werden“, so der Therapeut. „Aber natürlich haben auch Eltern ihre Wünsche. Der erste Schritt kann nur sein, sich gemeinsam an den Tisch zu setzen. Was will der eine, was der andere?“
An solchen Problemen des Alltags werde dann deutlich, wie die Beziehung zwischen den Familienmitgliedern ist: Eskaliert die Situation? Oder hält man den Konflikt aus? „Dann kann man einen Konsens finden."