Das kennt jeder: Dieses elende Papierchaos auf dem Schreibtisch. Und je höher die Berge wachsen, desto größer ist die Hemmschwelle sie abzuarbeiten. Was würde man dafür geben, wenn all die einzelnen Blätter auf wundersame Weise von alleine den Weg in die Ordner fänden? Karin und Dorit Delsing helfen diesem Wunschtraum auf die Sprünge. Seit mittlerweile zehn Jahren sind die beiden entfernt verwandten Essenerinnen mit ihrem Sortierdienst selbstständig. Im April 2004 gründeten sie als Bilanzbuchhalterin und Bürokauffrau gemeinsam die Firma „OrdnungsLiebe“.

Auf die Idee gebracht hatten sie zahlreiche Mandanten ihrer früheren Anwaltskanzlei, die Berge von Papier in Plastiktüten und Umzugskartons auf ihrem Schreibtisch entleerten – mit dem verzweifelten Kommentar: „Ich steig da nicht mehr durch. Schauen Sie, was Sie davon gebrauchen können.“ Schon damals waren die Delsing-Damen als Ordnungshüter „verschrien“, die auch gerne mal ihrem Chef eine scherzhafte Standpauke zur Zettelwirtschaft auf seinem Schreibtisch hielten.

„Wir hatten festgestellt, dass es unheimlich viele Leute gibt, die Probleme damit haben, ihre Unterlagen ordentlich abzuheften, um sie dann im entscheidenden Moment wiederzufinden“, erklärt Dorit Delsing. Das reiche von Handwerkern, die wenig Zeit für den Bürokram haben, über Privatleute, bei denen der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht, weil sie ihre Post nicht öffnen, bis hin zu verwitweten älteren Menschen, bei denen die Ordnung in den Papieren mit dem Ehepartner gestorben ist. Damals waren sie mit ihrer Idee noch unter den Pionieren, mittlerweile sei der „Sortierdienst“ ein etablierter Begriff.

Vor zehn Jahren fingen die Delsings bei Null an. „Wir hatten zwar die Idee, aber nicht einen Kunden“, erinnert sich Karin Delsing. „Unser Risiko war aber auch begrenzt. Wir mussten kaum etwas investieren“, erklärt die Buchhalterin. „Wir arbeiten beide von zu Hause oder direkt bei den Kunden vor Ort und bestellen Ordner oder Schnellhefter nur nach Bedarf.“ Mit dem heimischen Drucker erstellten sie Flyer und steckten sie in ganz Essen hinter Scheibenwischer, erzählt die 54-Jährige schmunzelnd. Die meisten Kunden hätten sie in den vergangenen Jahren aber über Mund-zu-Mund-Propaganda bekommen. Denn elementar seien bei ihrem Geschäft Vertrauen und Diskretion. Letzteres ergebe sich allerdings von alleine.

„Die Zahlen und Inhalte interessieren mich bei der Masse an Papier, die wir regelmäßig bearbeiten, überhaupt nicht“, erklärt Karin Delsing. „Ich könnte meinen Kunden nach einem halben Jahr noch sagen, in welchen Ordner ich den Fahrzeugschein geheftet habe, aber was im Detail in den Briefen oder Rechnungen stand, das nehme ich schon beim Sortieren kaum wahr“, sagt die 54-Jährige. Das Vertrauen darauf sei die Geschäftsgrundlage. „Die Leute geben uns ihr ganzes Leben. Von Liebesbriefen bis hin zu den Kontoauszügen. Diskretion ist da ein absolutes Muss“, erklärt die gelernte Buchhalterin.

Die Hemmschwelle, sich bei ihnen zu melden, sie jedoch sehr hoch, erzählt Dorit Delsing. „Den Leuten ist es häufig sehr unangenehm, dass sie es selber nicht schaffen, Ordnung in ihr Leben zu bringen“, sagt die 51-Jährige. Dabei seien die meisten in ihrem Beruf sehr erfolgreich. Nur der Papierkram würde sie völlig überfordern. „Eigentlich verkaufen wir Zeit, die die Leute dann für ihr eigentliches Geschäft haben, oder eben für Hobbys“, meint Karin Delsing. Gerade für kleine Handwerksbetriebe, die keine eigene Buchhaltung haben, sei ihre Dienstleistung ein willkommenes Angebot. „Und bei uns zahlen die Kunden auch keinen großen Verwaltungsapparat, sondern nur unsere Pauschale von 35 Euro pro Stunde.“

„Die Kunden sind immer ganz irritiert, dass ich Freude daran habe, Berge von Papier zu sortieren und abzuheften“, erzählt Karin Delsing. „Ich setze mich meistens mitten auf den Fußboden und breite alles um mich herum aus. Am Anfang habe ich pures Chaos, am Ende alles wunderbar in einer Reihe von Ordnern sortiert“, strahlt sie.

„Manchmal wissen wir bei Kunden aber auch gar nicht, wo wir anfangen sollen“, erzählt Dorit Delsing. Sie seien einmal in ein Zimmer geführt worden, das komplett mit Papierbergen gefüllt war. „Es war einfach alles voll: Der Boden, der Tisch, der Stuhl, die Fensterbank.“ Die Kunden waren völlig verzweifelt und wären aus diesem Papiersumpf wohl alleine nicht wieder herausgekommen. „Wir haben dann eine Woche lang jeden Tag umgeschichtet, aussortiert und eingeordnet“, erinnert sich Dorit Delsing. Natürlich würden sie nie ohne Absprache etwas wegwerfen. „Wir geben unseren Kunden aber eine Empfehlung“, erklären die zwei Ordnungshüterinnen: „k.w.“ bedeutet „kann weg“. „Bei solchen Großaufträgen schauen wir immer erst einmal, was wir in wenigen Stunden geschafft bekommen und überlegen dann gemeinsam mit den Kunden weiter, wie viel ihnen ihre Ordnung noch wert ist, damit es auch finanziell für sie überschaubar bleibt“, sagt Dorit Delsing.

Hin und wieder sind die beiden Damen von „OrdnungsLiebe“ auch als Suchdienst gefragt. „Einmal hat uns eine Kundin gebeten, ihr dabei zu helfen, ihren Personalausweis zu suchen, weil sie in ein paar Tagen verreisen wollte“, erinnern sich die Delsings. „In einem andern Fall habe ich zwischen Aktenbergen ein Gebiss gefunden“, schmunzelt Karin Delsing. Das habe sie dann diskret zur Seite gelegt.

Es gibt aber auch immer wieder schöne persönliche Geschichten. Eine alte Dame habe sie einmal beauftragt, das Leben ihrer Eltern in einem Album für ihre Enkel zu dokumentieren. Aus einem Wust aus Papieren hätten sie Fotos, oder die Hochzeitsurkunde aus New York gefischt und die alten Feldpostbriefe des Vaters von Sütterlin in die heutige Schrift übersetzt.

„Egal bei welchen Aufträgen. Zum Schluss fällt den Leuten immer ein Stein vom Herzen, wenn sie die Unordnung erstmal los sind“, sagt Dorit Delsing. Aber die Kunden müssten natürlich mitarbeiten. „Wir können ihnen ein Ordnungssystem schaffen und vielleicht nach einiger Zeit wieder kommen, aber den Alltag müssen sie selber bewerkstelligen“.