Hollywood. . Auch 50 Jahre nach dem Tod bleiben die Verschwörungstheorien über den Menschen Marilyn Monroe lebendig. Eine ganze Erinnerungsindustrie dreht sich um die Hollywood-Ikone – und kann doch nur ahnen, wie es in ihrem Inneren aussah.
Kann ein Mythos so überlebensgroße Ausmaße annehmen, dass der zerbrechliche Mensch dahinter bis zur Unkenntlichkeit verschwindet? Können Wirklichkeit und Fiktion so verschmelzen, dass nur noch Superlative das Gedenken steuern und nicht die Tragik einer begnadet talentierten Frau, die meist verzweifelt versucht hat, mit dem Leben klarzukommen? Wer 50 Jahre nach dem Tod von Marilyn Monroe auf den mit 2000 Biografien, Bildbänden, Romanen, Liedern, Gedichten, Opern, Gemälden, Filmen und hundert Mal so vielen Nachrufen gefüllten kollektiven Dachboden des Monroe-Erbes steigt, kommt umso verwirrter und erschlagener wieder herunter. Die Flut der nachträglichen Wie-es-wirklich-wahr-Rekonstruktionen über Aufstieg und Fall einer der meistfotografierten Frauen des 20. Jahrhunderts verklärt mehr als sie enträtselt. Je länger der 5. August 1962 zurückliegt, desto unfassbarer wird ihr Tod. Und die Erinnerungsindustrie zeigt kein Erlahmen.
Marilyn Monroe ist daran nicht unschuldig. Die Frau, die nie zögerte, die Cola-Flaschen-Figur, die sie mitbrachte, kategorisch für die schönste im ganzen Raum zu erklären, arbeitete hart an ihrer Undurchschaubarkeit und bot der Außenwelt kaum mehr als Projektionsfläche. Ihr kurzes Leben bestand aus widersprüchlichen Facetten, angesiedelt zwischen jungmädchenhafter Verführungskunst („I wanna be loved by you . . .) und messerscharfem Kalkül („Ruhm ist eine Last. Er wärmt ein bisschen, aber nicht lange“).
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Sex-Symbol. Stil-Ikone, Diva, Männer-Fantasie, Vamp, Aschenputtel, Pin-Up-Girl, Königin von Hollywood. Jeder kann sich bis heute aus dem Fundus die Monroe zurechtpuzzeln, die er gerade braucht. Und zu Geld machen. Fotografen haben dies schon immer blendend verstanden. Wer die meist kostspieligen Bände durchblättert, in denen Meister des Augenblicks wie Eve Arnold, Philippe Halsman, Alfred Eisenstaedt, Richard Avedon, Arnold Newman oder Milton Greene „ihre“ Marilyn zeigen, ist verblüfft, wie unnachahmlich und professionell Marilyn Monroe mit nur einem Augenaufschlag betörende Natürlichkeit in ganz verschiedene Varianten von Glamour verwandeln konnte.
Versagensängste und Minderwertigkeitsgefühle
Das Innerste hielt sie stets verborgen. Selbst die letzten Fotos, die Lawrence Schiller und Bert Stern in den letzten Wochen vor dem Tod machten, offenbaren nicht die tiefsitzenden Versagensängste und Minderwertigkeitsgefühle, die Marilyn Monroe in die am Ende tödliche Endlosschleife von Beruhigungsmitteln, Alkohol, Schlaflosigkeit und Verzweiflung getrieben haben. Eine Frau, die der immer weiter auseinandergegangenen Schere zwischen Image und wahrem Ich am Ende nicht mehr Herr wurde. Eine Frau, die der Welt ein einziger roter Kussmund war und zum Dank dafür zermahlen wurde.
Thomas Noguchi, der Gerichtsmediziner, stieß bei der Obduktion der Leiche (166 Zentimeter lang, 53 Kilogramm schwer, keine „nennenswerte Schädigung“ innen wie außen) auf beträchtliche Mengen von Barbitursäure, Basis für etliche Narkose- und Schlafmittel. „Kleine Selbstmorde“ für die Nacht, die für die Monroe nach eigenen Worten jahrelang nichts anderes war als die Fortsetzung eines „langen, schrecklichen Tages“. In Hollywood, einem Ort, „wo sie dir 1000 Dollar für einen Kuss geben, aber nur 50 Cent für deine Seele“. Warum nur konnte ihr beizeiten niemand wirklich helfen?
Arthur Miller, Schriftsteller und Ehemann Nr. 3, sah in ihr das traurigste Mädchen
Arthur Miller, Schriftsteller (Tod eines Handlungsreisenden) und Ehemann Nr. 3, beschrieb seine Frau einmal als das „traurigste Mädchen, das ich kenne“. Bei der Kindheit kein Wunder. Schon als 9-Jährige, schreibt die ungewollt am 1. Juni 1926 als Norma Jean Baker zur Welt gekommene Tochter der schottisch-stämmigen Gladys Pearl Baker und des Norwegers Martin Edward Mortensen in ihrem Tagebuch, wurde sie das erste Mal vergewaltigt. Fehlender Halt in der Familie, die Mutter landete bald in der Psychiatrie, der Vater war abgängig, wuchs sich in Waisenhäusern und einem Dutzend Pflegefamilien zu einer zerstörerischen Angst vor dem Alleinsein und zugleich vor zu viel Nähe aus, die während ihrer gesamten Karriere anhielt. Erinnerungsorte: 1942 die erste Ehe im Überschwang mit dem jungen Marine-Soldaten James Dougherty. Monroe war 16. Zwei Jahre später folgt die Scheidung. 1946 der zaghafte Beginn der Film-Karriere, nachdem sie in einer Munitionsfabrik entdeckt worden war. Monroe schaltet von Brünett auf Blond um, auf Anraten ihrer PR-Agenten. 1953 das Titelfoto im ersten Playboy-Magazin. 1954 der Durchbruch auf der Leinwand mit „Blondinen bevorzugt“ und „Wie angelt man sich einen Millionär?“. Im gleichen Jahr die zweite Ehe mit dem opahaften Baseball-Star Joe DiMaggio. Auch hier ist nach zwei Jahren Schluss.
Die berühmte Szene am U-Bahn-Schacht
1955 die berühmte Szene am U-Bahn-Luftschacht in „Das verflixte 7. Jahr“. Der weiße, tanzende Faltenrock wird später einem reichen Fan bei einer Versteigerung 4,6 Millionen Dollar wert sein. 1956 die Ehe mit dem Schriftsteller Arthur Miller. 1959 das Kino-Comeback an der Seite von Tony Curtis und Jack Lemmon in der göttlichen Komödie „Manche mögen’s heiß“. 1962 der gehaucht gesungene Geburtstags-Gruß für John F. Kennedy im New Yorker Madison Square Garden. Im August dann das Ende. Gefunden wurde Marilyn Monroe unter einem Bettlaken, den Telefonhörer unter sich begraben, in ihrem Haus in Brentwood. Oder war es doch Mord?
Auch ein halbes Jahrhundert danach werden die Verschwörungstheorien, die mal die CIA, mal die Mafia hinter dem Tod wähnen, immer noch neu gedeutet. Zu den größten Stützen der Version, dass keine freiwillig oder irrtümlich eingenommene Überdosis die Ursache war, gehören der erst im vergangenen Jahr verstorbene ehemalige Bezirksstaatsanwalt John Miner und der damalige Assistent des Gerichtsmediziners, Lionel Grandison. Von Miner stammt die Information, dass kurz nach der Obduktion sämtliche Organe verschwunden seien, die Klarheit über die Todesursache hätten bringen können. Grandison behauptet, er sei trotz erheblicher Zweifel gezwungen worden, als Todesursache Selbstmord anzugeben. An der Ferse der Toten machte er einen seltsamen Injektions-Einstich geltend.
"MM" - die amerikanische Göttin der Liebe
Der Umstand, dass der „amerikanischen Göttin der Liebe“, wie die Schriftstellerin Joyce Carol Oates „MM“ nannte, bis heute eine wechselvolle Dreier-Beziehung mit Ex-Präsident John F. Kennedy und dessen Bruder Robert angedichtet bleibt, hat der Mystifizierung ihres Todes weiteren Vorschub geleistet. Schon 1986 wartete die englische BBC mit der These auf, die Monroe sei nach einem in lautstarkem Streit geendeten Abschiedsbesuch von Robert Kennedy, beobachtet von Monroes damaligem Sekretär Norman Jeffries, gestorben. Sechs Jahre später legten die Journalisten Peter Brown und Patte Barham mit Indizien für die Vermutung nach, dass die Kennedys aus Angst vor einem Bekanntwerden der Affäre den Geheimdienst CIA das tödliche Werk vollbringen ließen. Alle Versuche, den Fall erneut vor Gericht zu bringen, scheiterten bis heute an der Justiz.
Das Rätselraten geht weiter. Auch am Sonntag, wenn wieder Tausende an das Grab auf dem Friedhof im „Westwood Village Memorial Park“ bei Los Angeles strömen werden, um Blumen vor der Grabkammer mit der Aufschrift „Marilyn Monroe 1926 - 1962“ niederzulegen. Im Radio werden die Abschieds-Balladen von Elton John („Candle In The wind“) und Pete Seeger erklingen. Und die Fernsehstationen nehmen die Klassiker ins Programm. Auf dass einer der größten Storys des 20. Jahrhunderts nie aufhört, Mitleid und Mitgefühl auszulösen. Dabei ist am Morgen des 5. August 1962 in der ersten Nachrichtensendung einer kleinen Radiostation in Los Angeles bereits alles gesagt worden: „Seit Jean Harlow hat nie wieder eine Frau die weibliche Schönheit in einem solchen Maße verkörpert wie sie.“ Gefunden wurde Marilyn Monroe von Ralph Greenson. Ihrem letzten Psychiater. Und Liebhaber.