Essen. . Wagnis – geglückt. „Ulysses“ als Hörspiel. Der Ire James Joyce erzählte anspielungsreich einen Tag im Leben des Leopold Bloom. So umfasst auch die Adaption fast einen ganzen Tag. Rund 40 Sprecher lassen das Werk in 1290 Minuten erklingen.

Das potenzielle Scheitern des Lesers gehört bei gewissen Literaturen dazu. Die besten davon sind unverdächtig, bloß der Kunst zuliebe ihre Rätselspiele in Prosa gegossen zu haben. Bei James Joyce ist man sich da nicht so sicher. Der Meister selbst nährte solche Fantasien, als er die Welt wissen ließ, es bereite ihm durchaus Vergnügen, sich seiner literarischen Unsterblichkeit durch erzählerische Geheimniskrämerei vergewissert zu haben.

Ganz gleich, ob es Ironie oder ein Blick in die Autorenwerkstatt von James Joyce war – den singulären Status seines Hauptwerkes schmälert es nicht. Vor 90 Jahren erschien erstmals der „Ulysses“. Der Roman ist ein nicht verhallen wollendes Großstadt-Echo auf die antike „Odyssee“. Wo man ihn und die Seinen fassen will, hat man schon verloren – so nah hat Joyce das Heilige am Straßendreck Dublins festgemacht, das Seelenglück wie die fast verbrannte Schweineniere in der Bratpfanne, Kirchenglocke und Koitus. Diesen 16. Juni 1904, einen einzigen Tag im Leben des Helden Leopold Bloom, hat sich die Literaturgeschichte rot im Kalender angestrichen.

Denn Joyce hat das Erzählen auf eine Weise vorangebracht, die zu benennen einem heute vor allem deshalb seltsam vorkommt, weil sie so selbsterklärend geworden ist. Der Bewusstseinsstrom wurde Sprache. Er floss in vielen Stimmen, liederlich und lüstern, mal im geheuchelten Choral, mal beim Fremdgehen in Gedanken. Der Erzähler kroch seinem Personal in den Kopf, hörte mit seinen Ohren, trank mit seinen Kehlen, fühlte mit seinen Herzen – oder Hosen. Seltsam, dass die akustische Bühne nicht früher registriert hat, wie formidabel sich Struktur und Sprache des Romans für ein Hörspiel eignen.

Geschreckt haben mag der Umfang. Aber Deutschlandfunk und SWR haben sich getraut. Es sind so ziemlich die Besten ihrer Art für jenes Großprojekt verpflichtet worden, das eben auf den Markt gekommen ist: Klaus Buhlert allen voran, neben Walter Adler der wohl bedeutendste Hörspielregisseur unserer Zeit. Die Sprecher dieser von Chiffren und Wortwitz getränkten Romanballade sind stark. Manfred Zapatkas lebenssatt geräuschige Stimme schwebt über allem als „Erzähler“. Dietmar Bär und Jürgen Holtz, Thomas Thieme, Rufus Beck, Corinna Harfouch und Dutzend weitere tragen dieses Reich der Bootsmänner und Milchfrauen, der Priester und elitären Schwätzer bestechend konzentriert auf ihren Lippen.

Eine Odyssee von 1290 Minuten

Buhlert, auf dessen Kompositionskonto hier auch ein einfühlsamer, nie betäubender Musikeinsatz geht, ist an diesem Koloss nicht gescheitert. Alltag und Inferno, Verspieltes und Todesnähe führt er in dieser „Ulysses“-Fassung zu schöner Balance. Trotz Kürzungen haben wir es immer noch mit 1290 Minuten zu tun. Und doch kommt es einem zu wenig vor. Denn das ist der (einzige) Nachteil des gewählten Mediums: Man kann – anders als beim Lesen – auch das schönste Wort nicht gleich wiederholen, den Satz laut sprechen, ihn sich auf der Zunge zergehen lassen.

Aber was ist das anderes als ein Kompliment? James Joyce gilt es zuerst.

  • Ulysses, 23 CDs, 1290 Min, der hörverlag, 99,99 €, als MP3 79,99 Euro