Essen. Die amerikanische Wahl-Venezianerin Donna Leon legt mit “Reiches Erbe“ einen Jubiläumskrimi mit gewohnt morbidem Charme vor. Eine Seniorin wird tot in ihrer Wohnung gefunden. Die Diagnose: Herzversagen. Nach und nach offenbaren sich jedoch Verstrickungen, zum Beispiel zu einer Organisation, die Frauen vor ihren gewalttätigen Männern versteckt.
Was sind schon zwanzig Jahre in einer traditionsreichen Stadt wie Venedig? Stets waren die Plätze und Gassen, die Brücken und Kanäle die heimlichen Hauptdarsteller im Werk von Donna Leon. Der leicht morbide Charme bestimmt seit 1992 den Ton der Krimireihe um Kommissar Guido Brunetti, in seinem nunmehr zwanzigsten Fall mehr denn je.
Im typischen Schlendertempo staunender Touristen entwickelt sich ein Kriminalfall, der anfangs gar keiner zu sein scheint. Eine Seniorin liegt tot in ihrer Wohnung, Pathologe Rizzardi diagnostiziert Herzversagen. Dabei aber spielt er, in Brunettis Augen, die Druckstellen an Hals und Schulter der betagten Dame arg herunter.
Auf Suche nach der wahren Todesursache
Im Alleingang spürt Brunetti der wahren Todesursache nach. Die tote alte Dame nämlich hatte nicht nur die noch Älteren in einem Pflegeheim besucht und ist möglicherweise in einen Erb-Zwist verstrickt. Sondern sie war auch Mitglied einer Organisation, die Frauen vor ihren gewalttätigen Männern versteckt.
Es wäre falsch zu behaupten, dass der Leser der Lösung dieses (möglichen) Kriminalfalls entgegenfiebert. Fans aber dürften erneut die Seitenhiebe auf italienische Verhältnisse genießen, all die Beugungen von Vorschriften, die kleinen „Freundschafts“-Dienste. Ein Leon-Roman gleicht einer guten Ehe: Man kennt sich, ganz große Überraschungen sind nicht mehr zu erwarten, doch lässt der andere die Gegenwart „wärmer und irgendwie heller“ scheinen. So jedenfalls geht es Guido Brunetti mit seiner Ehefrau Paola: „Über zwanzig Jahre, und sie vermochte es immer noch.“
Donna Leon: Reiches Erbe. Diogenes, 320 S., 22,90 €