Essen. Sie gelten vielen als die beste Band der Welt. Und sie zählen zu den wenigen, die in fünfzig Jahren mit lediglich sieben Musikern ausgekommen sind: Die Rolling Stones waren immer eine musikalische Rasselbande und werden gerade deshalb so bewundert.
Hand aufs Herz: Wen bewunderten wir eigentlich mehr? Den Streber, der dem Lehrer die Schultasche trug? Oder die Rasselbande, die hinter dem Fahrradschuppen rauchte? Und was wundert uns mehr: Dass der Streber Leiter einer Bausparkasse geworden ist? Oder dass die Rasselbande immer noch fidel und munter ist, ein halbes Jahrhundert nach dem frühen Unfug? Die Antwort, mein Freund, weiß ganz allein der Wind – außerdem natürlich alle Stones-Fans, die zum runden Jubiläum der größten Rockband aller Zeiten noch einmal den „Street Fighting Man“ raushängen lassen, natürlich mit Kopfhörer, damit die Nachbarn im Reihenhaus nicht gestört werden.
Dass sich die Legende längst vom Leben abgekoppelt hat, ist wahr, aber nicht weiter wichtig. Bei Licht betrachtet, leben die Stones heute wie der Leiter der Bausparkasse, nur auf größerem Fuß natürlich. Keith Richards verbringt seine Zeit in seiner Privatbibliothek, Charlie beim Maßschneider in der Londoner Savile Row, Mick in der Festgeldabteilung seiner Bank. Nur Ronnie Wood, der baggert ab und an die Thekenschlampe an und beißt beim Inder dem Kellner ins Bein. Aber Ronnie muss, da sind sich die Hardcore-Fans einig, noch ein weiteres halbes Jahrhundert warten, bis er endlich ein richtiger Stone ist, wo er doch kein Gründungsmitglied ist!
Das bittere Ende im Swimming Pool
Ronnie Wood sprang damals (nach einem Intermezzo mit einem gewissen Mick Taylor, der musikalisch, aber langweilig war) für Brian Jones ein, und der war unbestreitbar ein echter Stone. Drei Kinder mit drei verschiedenen Frauen schon mit 18 und ständig benebelt. Außerdem ein richtiges Arschloch, erklärt Keith, der ihn gemeinsam mit Mick feuerte. Kurz darauf ertrank er in seinem Swimming Pool. Aber was das Rasselbanden-Gen angeht, war Brian unbestreitbar der Anführer. Nehmen wir nur den Drogenkonsum. So wild war das bei den anderen gar nicht am Anfang. Mick war Lehrerkind, Charlie schon damals ein disziplinierter Profi, Bill sparte sein Geld lieber für einen richtigen Vox-Verstärker – und Keith, den wir heute gern als verkommenen Geist des Rock’n’ Roll würdigen, enthüllt in seiner famosen Autobiographie „Life“ seinen persönlichen Superkick: Er klaute Mutter Doris die Tabletten gegen Menstruationsbeschwerden.
Rebellen sehen heute anders aus, aber für 1962 waren die Stones eine offene Provokation. Sie spielten Chicago-Blues, schwarze Musik, gaben freche Widerworte und ließen sich die Haare wachsen – gegen die ausdrückliche Anweisung ihres ersten Managers Andrew Loog Oldham, der sich kurz zuvor im Streit vom Beatles-Betreuer Brian Epstein getrennt hatte. Innerhalb weniger Monate verkörperten die Stones den Gegenentwurf zum Establishment, wie das damals so schön hieß.
Der Zimmergenosse pinkelte auf die Köpfe
Geplant war das nicht, es gab ja noch keine Casting-Shows, aber Obrigkeit und Eltern fühlten sich herausgefordert. Während tausende von Mädchen bei den Stones-Konzerten schwitzend in Ohnmacht fielen, filzte die Polizei die Behausungen der Band, was am Anfang keine angenehme Aufgabe war. Die Band war zwar erfolgreich, Geld gab es allerdings nicht. Man hauste also gemeinsam in einer Bruchbude im Londoner Vorort Fulham, Edith Grove Nummer 102, aus Kostengründen gemeinsam mit einem gewissen James Phelge, der den Zimmergenossen gern vom Treppenabsatz aus auf den Kopf pinkelte. Einige Jagger-Richards-Songs wurden übrigens unter dem Pseudonym Nanker-Phelge veröffentlicht, ein Tribut an Mister Phelge und eine besonders schlimme Grimasse, die Brian Jones „Nanker“ nannte.
Keiths Mutter Doris verdiente ihr Geld mit der Vorführung von Waschmaschinen und kümmerte sich folgerichtig um die dreckigen Hemden, und zur Band gehörten 1962 noch so illustre Namen wie Dick Taylor, der später bei den Pretty Things mitspielte, oder Drummer Mick Avory, der nach manchen Quellen beim allerersten Auftritt der Stones am 12. Juli 1962 im Londoner Marquee dabei war und danach zu den Kinks wechselte. Außerdem im Dunstkreis: ein Drummer, den britische Boulevardzeitungen Jahrzehnte später bei einem Stones-Konzert als Hot-Dog-Verkäufer vor dem Wembley-Stadion aufspürten.
Wann war genau die Geburt der Stones?
War der allererste Auftritt auch die Geburt der Stones? Die Band sagt nein und verweist als offiziellen Termin auf den 15. Januar 1963, als Charlie Watts zum ersten Mal dabei war, in einem Pub in Ealing. Aber das kann auch profane Gründe haben. Schließlich musste die geplante Tournee zum 50. verschoben werden, angeblich mit Rücksicht auf die Gesundheit von Keith. Keith kränkelt. Seit einem Sturz im Jahr 2006, als ein Blutgerinnsel aus dem Gehirn entfernt werden musste, gibt es offenbar Probleme. Genaues weiß man nicht, nicht einmal, ob der Sturz bei einem Wettklettern mit Ronnie von einer Kokospalme oder beim Stolpern über die Hecke im Garten passierte. Beides übrigens Original-Versionen von Keith, der aber auch schon mal behauptete (und natürlich später dementierte), er hätte die Asche des verstorbenen Vaters im Haschisch-Pfeifchen geraucht.
Aus der Palme fallen geht gerade noch an, aus der Rolle fällt heute keiner mehr. Bill Wyman, der die Band 1992 verließ, verkauft inzwischen Metalldetektoren. Bill war, wie sagt man es am elegantesten: der Schürzenjäger vom Dienst. Auf der Bühne schon wählte er die Groupies aus, die seine Assistenten ihm nach dem Auftritt zuführten. Nach seinen Aufzeichnungen (Bill war auch irgendwie ein Buchhalter) schlief er in den ersten zwei Jahren der Band mit 278 Frauen. Jagger mit 30, Keith mit sechs und Charlie mit einer, seiner eigenen. Bills Freundin Mandy war 13, und nach der Heirat wurde es richtig kompliziert. Kurz darauf kündigte Bills Sohn Stephen nämlich die Hochzeit mit Mandys Mutter an. Hätte das geklappt, wäre Bill Schwiegersohn seines eigenen Sohnes geworden, was aber zum Glück dann doch nicht eintraf.
Lieblingsdroge? „Ich atme!“
Mick ist längst ein Fitness-Freak mit Leibkoch und persönlichem Trainer. Außerdem hat er den Buddhismus entdeckt. Neulich war er in Laos und hat mit Mönchen meditiert, Mick im Kloster! Charlie überstand Kehlkopf-Krebs und lebt wie immer gediegen als Country Gentleman auf dem Gestüt der Gattin, Ronnie trinkt nach der gründlich missglückten Affäre mit der russischen Kellnerin Jekaterina Iwanowa zurzeit Milch, Kokosnussmilch.
Keith gibt auf die Frage nach der aktuellen Lieblingsdroge „Ich atme!“ zur Antwort, aber wenn sie auf die Bühne gehen, mein Gott – da ist es immer noch so wie damals! Dreckige Musik, verkommene Texte, plötzlich weiß man wieder, warum die britische Regierung nach den ersten Auftritten der Stones die Wehrpflicht wieder einführen wollte und aufgebrachte Eltern nach der Ed-Sullivan-Show die Telefone der amerikanischen TV-Gesellschaft CBS tagelang blockierten. Dann ist es wie damals, hinterm Fahrradschuppen – und überhaupt nicht wie in der Bausparkasse.
- Noch bis zum 26. August läuft die Ausstellung „50/fifty - 50 Jahre Rolling Stones“ im Rock’n’Popmuseum Gronau (Udo-Lindenberg-Platz 1), mittwochs bis sonntags 10-18 Uhr. Eintritt: Erwachsene 7,50 Euro, Kinder bis 6 Jahre frei.