Essen. Wenn Menschen in Not geraten, ist kein Geld mehr da für Hund, Katze oder Kaninchen. In solchen Fällen hilft in Essen die Tiertafel. Ein Besuch.
Elfi hat Hunger. Der sechs Jahre alte Irische Wolfshund wartet geduldig auf die Futterausgabe. Am anderen Ende der Leine ist Heike. „Dass ich hier einmal stehen werde, um Essen für mein Tier zu holen, war früher für mich unvorstellbar“, sagt die 62-Jährige. Sie war berufstätig und mit ihrem Leben zufrieden. Als sie vor sieben Jahren in Teilzeit ging, konnte sie sich endlich einen Hund anschaffen. „Ich hatte so lange davon geträumt“, sagt sie. Dann bekam Heike aber gesundheitliche Probleme, bald war sie berufsunfähig. Es folgte der soziale Abstieg. Sie musste in eine kleinere Wohnung ziehen, ihr Auto verkaufen – und sie wusste nicht mehr, wie sie Elfi ernähren sollte. Den Hund abgeben? „Das kam für mich niemals infrage. Eher hätte ich auf der Straße gelebt.“
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Tiere sind ja oft wie Familienmitglieder
Hilfe bekommen Elfi und Heike bei der Tiertafel in Essen. Einmal im Monat reihen sie sich ein in die Warteschlange vor dem kleinen Ladenlokal in der nördlichen Innenstadt. Hier treffen sie auf Ehrenamtliche, denen es wichtig ist, dass Menschen, die in Not geraten sind, ihre Haustiere behalten können. „Tiere sind ja oft wie Familienmitglieder für die Menschen, und sie geben ihnen Halt in schwierigen Zeiten“, sagt Sandra Lachmann. Die 52-Jährige hat die Tiertafel im Jahr 2016 mitgegründet und ist die erste Vorsitzende des Vereins, der heute rund 70 Mitglieder hat.
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In der Anfangszeit waren die Mitglieder noch mit einem Transporter in der Stadt unterwegs. Sie haben Geschäfte abgeklappert, um für ihr neues Angebot zu werben und um Futterspenden zu bitten. Inzwischen ist das Angebot bekannt geworden. Menschen, die Futter oder Tierzubehör abgeben möchten, melden sich bei der Tiertafel. Firmen überweisen auch schon mal größere Summen, etwa nach einer Weihnachtsfeier. Ein Selbstläufer ist das Spendensammeln aber lange noch nicht. „Wir erleben derzeit sogar einen Rückgang beim Spendenaufkommen“, sagt Sandra Lachmann. „Zugleich steigt die Nachfrage. Alles wird teurer und viele Leute müssen mehr aufs Geld schauen.“
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Dann zeigt Sandra Lachmann das Futterlager. Philipp (18) und Lars (21) sind hier damit beschäftigt, Katzenfutterdosen zu sortieren. Ihr Arbeitgeber hat die beiden jungen Männer an diesem Nachmittag im Rahmen eines Azubi-Projekts zur Tiertafel geschickt, damit sie neben dem Job auch mal mit dem Ehrenamt in Kontakt kommen. „Macht Spaß, hier mal mit anzupacken“, sagt Philipp und wuchtet einen weiteren Katzenfutter-Karton in die Höhe.
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An den Wänden des Lagers sind große Schwerlastregale befestigt. Beladen sind sie mit jeder Menge Tierfutter. Manche Ablageflächen sind aber leer. „Schauen Sie mal, hier lagern wir eigentlich Hundefutter, das Fach ist normalerweise pickepackevoll, jetzt ist noch jede Menge Platz“, sagt Sandra Lachmann. „Das zeigt auch, dass weniger Spenden reinkommen.“
Rekord liegt bei 896 Kilogramm Futter
Wer die Räume der Tiertafel betritt, steht bald vorm Schreibtisch von Jens Lachmann. Der 53-Jährige schaut auf einen Computerbildschirm und heißt die Menschen willkommen. 788 Menschen und 1481 Tiere – Hunde, Katzen, Nager und Vögel – sind in seiner Datenbank registriert. Von ihnen kommen jeden Monat rund 150 Menschen, um Futter für ihre Tiere zu holen. Anfangs hatten die Vereinsmitglieder noch alle Informationen in einem Hängeregister verwaltet. „Dann wurde das aber immer mehr. Da hab ich gesagt: Komm, wir machen das jetzt digital“, erzählt Jens Lachmann und ruft seine Statistik auf.
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16 Kilogramm Tierfutter haben die Helfer im August 2016 bei der allerersten Essensausgabe über den Tresen gereicht. Anfang Mai 2024 wurde ein neuer Rekord aufgestellt: An jenem Nachmittag wurden 896 Kilogramm ausgegeben. Und ein paar Mausklicks später hat Jens Lachmann noch eine Zahl parat: „Bis heute haben wir insgesamt 47.810 Kilogramm Tierfutter abgegeben.“
Wolfshund Elfi braucht besonders viel Futter. 17 Kilo Trockenfutter und eine Auswahl an Leckerchen nimmt Frauchen Heike heute mit nach Hause. „Das reicht für einen halben Monat“, sagt sie. Das Futter hat sie nicht geschenkt bekommen. Sie hat dafür bezahlt. 2,50 Euro fallen bei einem großen Hund wie Elfi an. „Das hat auch etwas mit Würde zu tun“, sagt Sandra Lachmann. „Die Menschen, die zu uns kommen, sind ja keine Bettler – sie sind hier Kunden.“
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Die Tiertafel lädt immer Mitte des Monats zur Futter-Abgabe. Und der Zeitpunkt ist kein Zufall. „Anfang des Monats haben die Leute meist noch genügend Geld, Mitte oder Ende des Monats wird es dann eng“, weiß Sandra Lachmann aus vielen Gesprächen mit den Tiertafel-Kunden. Bei Katzen kalkulieren die Ehrenamtlichen mit einer Futtermenge von 200 Gramm pro Tag, bei Hunden berechnen sie die Menge anhand der Körpergröße. Ein Chihuahua isst nun mal weniger als ein Schäferhund.
Moni Gerbrandt (71) holt einen Hundebuggy aus dem Lager. Die kinderwagenähnliche Transporthilfe war jüngst gespendet worden – und die zweite Vorsitzende des Vereins wusste sofort, wem sie damit eine Freude machen könnte. „Gudrun!“, ruft sie, „wart mal, ich hab hier noch was für Dich!“. Moni kennt ihre Gäste, immer ist Zeit für ein kurzes Pläuschchen.
Als Gudrun den Buggy sieht, kullert ein Freudentränchen über ihre Wange. Lange hatte sie gehofft, dass eines Tages solch ein Wagen gespendet wird. „Mein kleiner Terrier-Mischling ist jetzt zwölf Jahre alt und sehr krank“, sagt die 60-Jährige. „Er hat Krebs, überall Metastasen, und kann kaum noch laufen.“ Die Behandlung ist teuer. Der Tierarzt hat zwar eine Ratenzahlung akzeptiert, doch jetzt muss Gudrun sparen, wo es nur geht. Ihre Klamotten kauft sie Second-Hand, ihre Haare schneidet sie selbst. 80 Euro für einen Friseurbesuch? Das Geld gibt sie lieber für ihr Tier aus. „Ich freue mich so über den Buggy“, sagt sie. „Jetzt kann ich mit meinem Hund noch einmal in die Gruga – das hatte ich ihm versprochen.“
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Sachspenden sind immer willkommen
Sachspenden sind bei der Tiertafel tatsächlich sehr willkommen. Alles wird angenommen, nichts landet im Müll. Halsbänder und Leinen, Mäntelchen, Geschirre, Näpfe, Kratzbäume für Katzen, Körbchen für Hunde, Auto-Transportboxen und Spielzeug warten auf neue Besitzer. Wer etwas für sein Tier benötigt, kann es sich nehmen und wirft im Gegenzug einen kleinen Obolus in eine Spendendose. „Jeder gibt soviel, wie er sich leisten kann“, erklärt Jens Lachmann.
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An der Essensausgabe nimmt nun Petra (67) eine Futter-Ration für ihre Französische Bulldogge entgegen. Das Tier hatte jüngst eine Operation. 1000 Euro musste Petra bezahlen. Das Geld fehlt nun an anderer Stelle. „Da hilft es sehr, dass ich hier Futter bekomme“, sagt sie. „Ich bin sehr dankbar.“
Solche Worte sind für Roland Otto (65) und viele andere Ehrenamtliche die Motivation für das, was sie tun. Seit dem vergangenen Jahr engagiert er sich bei der Tiertafel. Als für ihn der Ruhestand näher kam, suchte er eine sinnvolle Aufgabe – „und die“, sagt er, „habe ich hier gefunden“.
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