Essen. Monat für Monat messen Forscher in den Meeren Rekordtemperaturen. Nun verblassen weltweit die Korallenriffe. Warum es trotzdem Hoffnung gibt..
Seit über einem Jahr brechen die Temperaturen in den Weltmeeren alle Rekorde. Es begann mit den Messergebnissen vom 5. März 2023. Seitdem liegt die mittlere Oberflächentemperatur im Nordatlantik an jedem einzelnen Tag höher als jemals zuvor gemessen. Jeden Tag ein Rekord. Es ist das Ausmaß dieser Extreme, das selbst Klimaforscher überrascht.
Die Daten kommen von der US-Klimabehörde NOAA (National Oceanic and Atmospheric Administration). Abertausende Messungen von Satelliten, Schiffen oder Bojen überall auf der Welt sollen ein möglichst genaues Bild von den Temperaturen an der Meeresoberfläche liefern. Schon lange weiß man, dass die Ozeane große Teile der Wärme aufnehmen, die durch den menschengemachten Klimawandel auf der Erde entsteht.
Wissenschaftler der US-Behörde NOAA: Vierte globale Korallenbleiche hat begonnen
„Ozeane sind ein verdammt guter Indikator für die Klimaerwärmung“, sagt Mojib Latif vom Geomar-Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel. Das aktuell auftretende Klimaphänomen El Niño wirke zusätzlich. Allerdings könne dies die hohen Temperaturen im Pazifik und im Indischen Ozean erklären, aber nicht die Erwärmung im Atlantik.
Die Hitze hat nun aber in den Weltmeeren einen Waldbrand unter Wasser entfacht. Vor wenigen Wochen haben Wissenschaftler der NOAA gemeinsam mit der International Coral Reef Initiative (ICRI), einem Netzwerk globaler Korallenriffwissenschaftler, die Öffentlichkeit über ihre neuen Datenauswertungen informiert. Demnach erlebt die Welt derzeit die vierte globale Massenbleiche von Korallenriffen.
Solche Ereignisse seien früher eher selten gewesen. Nun aber ist es das zweite Ereignis dieser Größenordnung in den vergangenen zehn Jahren und das vierte seit dem Jahr 1998.
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54 Prozent der weltweiten Riffe seien von einer Bleiche betroffen, jede Woche komme etwa ein Prozent hinzu, teilte NOAA-Koordinator Derek Manzello mit. Er stellte einen direkten Zusammenhang mit dem globalen Temperaturanstieg her: „Dies würde nicht ohne den Klimawandel passieren.“
Korallen und Algen leben in einer Symbiose – bis die Hitze kommt
Korallen werden auch Blumen der Meere genannt. Dabei sind sie keine Pflanzen, sondern Nesseltiere, die in Kolonien leben. Korallen bestehen aus kleinen Polypen und Mineralskeletten, die sie selbst aus Kalziumkarbonat (kohlensaurer Kalk) produzieren. Ihre bunten Farben und einen Großteil der Energie, die sie zum Leben brauchen, verdanken Korallen Tausenden von mikroskopisch kleinen Algen, die im Inneren ihrer Polypen leben und die ihnen bei der Photosynthese helfen. Im Gegenzug versorgen Korallen die Algen mit Nährstoffen.
Hitze macht dieser Zweckgemeinschaft ein Ende. Ist das Wasser, in dem die Korallen leben, über längere Zeit wärmer als normalerweise, erleiden die Meerestiere Hitzestress. Ab einer bestimmten Temperaturschwelle, bei tropischen Arten sind es 29 Grad, beginnen die Algen, giftige Stoffe zu produzieren. Als Folge stoßen die Korallen ihre Algen ab, um zu überleben. Dadurch verlieren sie ihre Farbe, ihre weißen Korallenskelette schimmern durch die Polypen hindurch. Dieser Vorgang wird Bleiche genannt. Als Folge sind die Tiere noch anfälliger für Hungertod. Gebleichte Riffe sind in großer Gefahr, abzusterben.
Biodiversität: In Korallenriffen lebt ein Drittel aller bekannten Arten im Meer
Die aktuelle Massenbleiche begann Anfang 2023 in allen Riffen weltweit und wurde zunächst in mindestens 53 Ländern und Gebieten bestätigt, darunter in den USA (Florida), in der Karibik, im östlichen tropischen Pazifik und dem australischen Great Barrier Reef. Betroffen sind zudem große Teile des Südpazifiks, das Rote Meer, der Persische Golf und der Golf von Aden. Die jüngsten Meldungen bestätigen nun auch eine weit verbreitete Korallenbleiche in Teilen des Indischen Ozeans und vor der Westküste Indonesiens. Inzwischen sei die Bleiche in 62 Ländern und Territorien festgestellt worden, teilte die US-Meeresbehörde NOAA vor wenigen Tagen mit.
Korallenriffe zählen zu den Biodiversitäts-Hotspots des Planeten. Obwohl sie weniger als ein Prozent der Meeresfläche bedecken, lebt in ihnen ein Drittel aller bekannter Arten im Meer. Weil sie mehr als ein Viertel aller bekannten Meeresfische beherbergen, sind sie für viele Küstenbewohner eine wichtige Nahrungsquelle. Zugleich aber sind Korallenriffe für die Küstengemeinden von entscheidender Bedeutung: Sie fungieren als wichtiges Verteidigungssystem gegen die Gefahr von Überschwemmungen durch Stürme und den Anstieg des Meeresspiegels.
Ein ausgebleichtes Korallenriff ist nicht automatisch tot
Noch ist unklar, wie viele Korallenriffe in welchem Umfang betroffen sind. Ein Absterben der Korallen sei bisher für Gebiete vor Florida und in der Karibik nachgewiesen, so die NOAA. Eine Bleiche muss aber nicht automatisch den Tod der Korallen bedeuten. Normalisieren sich die Wassertemperaturen, können sich die Korallen erholen. Ein ausgebleichtes Riff sei kein totes Riff, sondern ein Riff, das ums Überleben kämpft, heißt es.
Deswegen herrscht auch am Great Barrier Reef vor der Ostküste Australiens noch Hoffnung. Mitte Februar wurde am größten Korallenriffsystem der Welt an fünf verschiedenen Riffen im nördlichen und südlichen Bereich eine ausgedehnte Korallenbleiche beobachtet. Im März wurde dann die fünfte Massenbleiche innerhalb von nur acht Jahren bestätigt.
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Wissenschaftler hoffen auf den kühlenden Effekt von La Niña
Erste Luftaufnahmen deuteten darauf hin, dass fast die Hälfte der Riffe Rekordwerte an Hitzestress erlitten hatten. Wissenschaftler sprachen vom „höchsten thermischen Stress“, den das Naturwunder je erlebt habe. Fast 60 Prozent der Riffe waren Hitzestress ausgesetzt. Zum ersten Mal wurde in allen drei Regionen des Great Barrier Reef eine extreme Bleiche beobachtet. Dabei sind mehr als 90 Prozent der Korallenbedeckung an einem Riff ausgebleicht.
Die neuesten Nachrichten der Reef Authority stimmen die Experten optimistischer. Die Meerestemperaturen im gesamten Great Barrier Reef Marine Park sind demnach auf unter das durchschnittliche Sommermaximum gesunken und liegen wieder unter dem Schwellenwert, der Hitzestress bei Korallen verursacht.
NOAA-Experte Manzello hofft nun, dass das kühlende Wetterphänomen La Niña den Korallen in den kommenden Monaten zur Hilfe kommt. Die NOAA sagt voraus, dass La Niña wischen Juni und August dieses Jahres eintreffen könnte, was „einen Hoffnungsschimmer“ darstelle.
Die zunehmende Häufigkeit und Intensität der marinen Hitzewellen aber seien durch den Klimawandel verursacht, sagt Selina Stead, Chefin des Australian Institute of Marine Science (AIMS). „Der Klimawandel ist die größte Bedrohung für Korallenriffe weltweit und diese globale Bestätigung zeigt, wie groß seine Auswirkungen in den letzten 12 Monaten waren.“
Dies ist ein Artikel aus der Digitalen Sonntagszeitung. Die Digitale Sonntagszeitung ist für alle Zeitungsabonnenten kostenfrei. Hier können Sie sich freischalten lassen.Sie sind noch kein Abonnent? Hier geht es zu unseren Angeboten.