Essen. Deutschland importiert Millionen Tonnen Obst und Gemüse, obwohl heimische Lebensmittel gerade Saison haben. Was im Winter bei uns wächst.
Weintrauben aus Südafrika, Spargel aus Peru: Was hierzulande wegen des Klimas oder der Jahreszeit nicht wächst, liegt ganz selbstverständlich in den Regalen der Supermärkte und Discounter. Die ganzjährige Verfügbarkeit von Lebensmitteln aber hat ihren Preis zulasten der Umwelt, sei es das Schwinden der Wasservorräte in Anbauländern oder der CO₂-Ausstoß von Schiffen oder Flugzeuge auf den Transportwegen. Viele der Flugmeilen aber sind überflüssig, kritisieren Experten. Denn selbst im Winter gebe es genügend heimische Lebensmittel. Stimmt das?
Vor wenigen Tagen trugen Deutschlands Landwirte ihren Protest gegen die drohenden Subventionskürzungen auf riesigen Traktoren quer durchs Land – und ließen dabei ihre Muskeln spielen: „Ohne Bauern kein Essen“, so war es an vielen Fahrzeugen zu lesen. Ein starkes Argument, das die Branche gerne mit Zahlen untermauert: Statistisch ernährt eine Landwirtin oder ein Landwirt 139 Menschen, mehr als doppelt so viele wie noch 1990. Seit 1960 habe sich die Versorgungsleistung der deutschen Bauern gar mehr als verachtfacht. Über eine andere Statistik aber spricht die Agrarlobby weniger gern: Deutschland ist auf Importe angewiesen. Denn die Lebensmittel aus heimischer Erzeugung reichen allein nicht aus, um die Bevölkerung zu ernähren: Der Selbstversorgungsgrad liegt hierzulande bei etwa 80 Prozent.
Grüne Woche: Deutschland ist abhängig von Gemüse- und Obst-Importen
Die Grüne Woche in Berlin, die gerade geöffnet hat, ist die weltgrößte Agrarmesse. Dort präsentiert die deutsche Landwirtschaft, was sie zu leisten vermag. Wie abhängig aber Deutschland von Lebensmittel-Importen ist, lässt sich in der Außenhandelsstatistik nachlesen. Nur rund 20 Prozent unseres Obstbedarfs wird durch heimische Erzeugung gedeckt, bei Gemüse sind es 38 Prozent.
Rund elf Millionen Tonnen Orangen, Wassermelonen, Paprika, Pfirsiche, Äpfel, Zitronen oder Salate importierte Deutschland 2022. Drei Viertel aller importierten Orangen und Zitronen kommen aus Spanien, bei Melonen, Paprika und Salaten ist es die Hälfte. Selbst bei den wichtigsten heimischen Obstarten können deutsche Bauern bestenfalls knapp die Hälfte des Bedarfs aus eigener Erzeugung decken. Aus Italien kommen etwa 40 Prozent der importierten Speiseäpfel – obwohl der Apfel das meist geerntete Obst in Deutschland ist.
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Spanien und die Niederlande sind die mit Abstand wichtigsten Lieferländer. 83 Prozent der importierten Gurken stammen aus diesen beiden Ländern, weiß das Bundesamt für Ernährung und Landwirtschaft. Tomaten sind das beliebteste Gemüse in Deutschland, aber nur etwa 13 Prozent der Frischware stammt aus heimischem Anbau. 2022 führte Deutschland 655.000 Tonnen ein, fast die Hälfte davon aus den Niederlanden. „Für Brot, Schnitzel und Pommes ist hierzulande gesorgt“, fasst das Bundesinformationszentrum Landwirtschaft die Zahlen zusammen, „doch für fast alle Gemüsebeilagen sowie den Obstsalat zum Nachtisch sind wir auf Importe angewiesen.“
CO₂-Ausstoß von Flugzeugen und der Wassermangel in den Anbaugebieten belastet Bilanz
Doch die Wege per Flugzeug oder per Schiff schaffen Probleme. Lange wurden die globalen Handelsströme von Nahrungsmitteln nicht hinterfragt. Erst die Corona-Pandemie und der Ukraine-Krieg führten Verbraucher wieder vor Augen, wie anfällig Lieferketten in Krisenzeiten sind. Lange Transportwege verursachen einen hohen Energieverbrauch, insbesondere der CO₂-Ausstoß von Flugzeugen belastet das Klima. Die immer stärker spürbaren Folgen der globalen Erwärmung stellen zunehmend auch die Lebensmittelproduktion infrage. 2023 war weltweit das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Folgen des Extremwetters trafen Spanien, Italien oder Griechenland besonders heftig: Hitzewellen, Wassermangel oder auch Extremniederschläge führten zu massiven Ernteausfällen.
Umweltschäden aber werden als Kostenfaktor vernachlässigt. Im Sommer 2023 wagte der Discounter Penny ein Experiment: Für neun Produkte seines Sortiments verlangte Penny die „wahren Preise“. Jene Preise, die auch die Kosten für die Umweltschäden abbildeten, die der Gesellschaft durch den Konsum von Lebensmitteln entstehen. Diese Kosten hatte die Universität Greifswald gemeinsam mit der Technischen Hochschule Nürnberg ermittelt. Berücksichtigt wurden dabei die Kategorien Klima, Wasser, Boden und Gesundheit.
Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln: Verbraucher sollten saisonal und regional kaufen
Als Ergebnis verdoppelten sich die Preise für konventionelle tierische Produkte, während Biolebensmittel und vegane Lebensmittel sich deutlich geringer verteuerten. „Wir müssen uns der unbequemen Botschaft stellen, dass die Preise unserer Lebensmittel, die entlang der Lieferkette anfallen, die Umweltfolgekosten nicht widerspiegeln“, sagte Penny-Manager Stefan Görgen.
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Doch wie können sich Verbraucher bewusst für mehr Nachhaltigkeit bei Lebensmitteln entscheiden? „Kaufen Sie saisonal und regional“, rät das Bundeszentrum für Ernährung (BZfE). Saisonal und regional bedeutet: Um Umwelt, Klima und Ressourcen zu schonen, sollten Lebensmittel gekauft werden, die zur jeweiligen Jahreszeit im eigenen Land oder der eigenen Region möglichst umweltverträglich angebaut werden.
Auch im Winter Obst und Gemüse: „Frisch vom Feld“ und Lagerware
Doch geht das auch im Winter? Zugegeben: Würde importiertes Obst und Gemüse in Deutschland in der kalten Jahreszeit aus den Verkaufsregalen geräumt, sähe das Angebot bescheiden aus. Unzumutbar aber ist das keinesfalls, stellt das Nachhaltigkeitsportal Utopia fest: „Es gibt mehr als Kraut und Rüben, um gesund durch den Winter zu kommen.“
Saisonkalender für Lebensmittel zeigen, dass es auch in den Wintermonaten ein vielseitiges Angebot gibt. Unterschieden wird dabei zwischen den Kategorien „Frisch vom Feld“ und „Lagerware“. Frisch vom Feld bedeutet, dass das Gemüse oder Obst momentan frisch geerntet werden kann. Lagerware umfasst Sorten, die schon geerntet sind, aber lange gelagert werden, ohne an Frische und Qualität zu verlieren.
Vergessene Wintergemüsearten stehen wieder auf manchen Speisekarten
Star des Wintergemüses ist der Kohl. Er liefert in den kalten Monaten viele wichtigen Spurenelemente und Vitamin C. Kohlgemüse ist entweder frisch geerntet oder regional als Lagerwaren erhältlich. Grün-, Weiß-, Rot-, Rosen-, Wirsing-, Spitz- oder Chinakohl: die Auswahl ist groß. Auch auf Salate müssen Verbraucher im Winter nicht verzichten. Saison haben aktuell Feldsalat, Chicorée oder Winter-Portulak. Feldsalat etwa übersteht auch Frost bis minus 20 Grad. Pilze oder Lauch können ebenfalls im Winter frisch geerntet werden.
Wiederentdeckt werden im Zuge der Nachhaltigkeitsdebatte mehr und mehr auch vergessene Wintergemüse: Pastinake, Rote Bete, Schwarzwurzel, Steckrübe oder Topinambur. Einige dieser Gemüsearten galten lange als „Arme-Leute-Essen“, in den Wintern nach den Weltkriegen waren sie für viele Menschen eine der wenigen verfügbaren Lebensmittel. Heute tauchen sie wieder auf den Speisekarten mancher Restaurants auf.
Schwieriger ist es, im Winter Obst zu finden. Dennoch ist es auch in diesen Monaten möglich, Birnen oder Äpfel aus regionalem Anbau zu kaufen: Sie lassen sich gut lagern. Tipp: Wo Obst und Gemüse lagert, sollte es dort kühl sein. Äpfel und Birnen halten lange bei Temperaturen zwischen zwei und sechs Grad Celsius. Äpfel, aber auch Birnen, Pflaumen, Zitronen oder auch Lauch sollten möglichst getrennt gelagert werden. Sie produzieren das Gas Ethylen, das andere Obst- und Gemüsesorten schneller reifen lässt, bis sie schließlich anfangen zu schimmeln.
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