Düsseldorf. Das Medienprojekt Wuppertal zeigt in der Filmreihe „Jung und jüdisch“, wie junge Juden trotz Hass und Hetze in Düsseldorf ihren Glauben leben.
Bücherverbrennungen, Tod und Verfolgung sind Gedanken, die viele zunächst mit dem Judentum verbinden. Stolpersteineerinnern vielerorts an das Grauen, dem das jüdische Volk im Nationalsozialismus ausgesetzt war. Doch wie sieht es heute aus? Längst ist ein aktives Gemeindeleben jüdischer Mitbürger zu finden. In Düsseldorf hat sich die drittgrößte jüdische Gemeinde in Deutschland gebildet. Dort kommen Jugendliche und junge Erwachsene ins Zentrum „Kadima“, um jüdische Gemeinschaft zu erleben. 2022 wirkten einige von ihnen bei einer Dokumentation des Wuppertaler Medienprojekts mit. Andreas von Hören, Medienpädagoge und Geschäftsführer des Vereins, erklärt, warum bildungspolitische Filmbeiträge wie „Jung und jüdisch“ (Mehr über den Film und wo man ihn sehen kann hier!) so wichtig sind.
Wie kam es zu der Idee für dieses Filmprojekt?
Unser Medienprojekt-Team will jungen Menschen eine Stimme geben, sie ermutigen, selbst mitzuwirken. Wir leben in einer multikulturellen Gesellschaft, in der jeder Verantwortung trägt, damit das friedliche Zusammenleben funktioniert. Grundsätzlich betreiben wir mit unseren Filmdokumentationen politische Bildung aus der Sicht der Betroffenen. Über das heutige Judentum weiß man hier zu wenig. Früher ging es bildungspolitisch darum, den Holocaust in Deutschland aufzuarbeiten. Doch das reicht heute nicht mehr aus, um gegen einen wachsenden Antisemitismus anzugehen. Wir wollen die jungen Juden ansprechen, von denen viele als Migranten, etwa aus der Ukraine oder aus Russland gekommen sind, und andere junge Menschen, deren Background in der Türkei oder in arabischen Staaten liegt, und genauso natürlich junge Menschen, deren Familien einen deutschen Hintergrund haben. Antisemitismus gibt es schon lange in Deutschland, bevor Migranten und Geflüchtete hierher einwanderten.
Traurige Wahrheit: Auf Schulhöfen ist „Du Jude“ heute ein Schimpfwort wie andere
War es schwierig, jüdische Menschen zu finden, die daran mitwirken wollten?
Das war nicht einfach. Viele jüdische Mitbürger haben aus berechtigten Gründen Angst vor Anfeindungen. Doch von früheren Filmprojekten besaßen wir gute Kontakte zu jüdischen Gemeinden. In Düsseldorf haben wir Vertrauen gefunden. Einige Jugendliche aus dem Zentrum Kadima waren bereit, vor laufender Kamera offen aus ihrem Leben zu erzählen. Sie sprechen darüber, was es für sie heißt, jüdisch zu sein. Da gibt es viele Facetten wie bei anderen Religionen auch. Jüdisch sein ist zu einem Teil eine Religion, zum anderen eine kulturelle Verwurzelung. Doch der Antisemitismus bedroht alle, die sich öffentlich zum Judentum bekennen. Traurige Wahrheit: Auf den Schulhöfen ist „Du Jude“ mittlerweile ein Schimpfwort wie andere.
Was macht den Film ein gutes Jahr nach Erscheinen so sehenswert?
Guckt man die einzelnen Beiträge an, spannt sich eine Art Brücke von den Mitwirkenden zu den Zuschauern. Von der Kamera sind die jungen Menschen so aufgenommen, als säße oder stünde man ihnen gegenüber und würde sich gerade persönlich kennenlernen. Die Filmemacher Karla Stindt und Michael Groß haben die Jugendlichen und jungen Erwachsenen erzählen lassen, was jüdisch sein jeweils bedeutet. Manche kommen ins Zentrum Kadima, um Gleichaltrige zu treffen, möchten gemeinsam essen, singen oder tanzen. Andere interessieren sich mehr für den Glauben und seine Besonderheiten. Wir hoffen, dass die hautnahe Darstellung eine Empathie bewirkt, dass man sich kennenlernt und sympathisch wird. Dass sich das Publikum fragt, warum in unserer Gesellschaft kein Platz für verschiedene Lebensformen und Glaubensrichtungen sein sollte. Der Nahostkonflikt verschafft dem Film eine neue Aktualität. Denn der Krieg mit seinen vielen schrecklichen Bildern dringt nach Deutschland. Auch hier hat das Zusammenleben gerade einen Riss bekommen. Speziell zum Krieg in Israel und Palästina nach dem schlimmen Angriff der Terrormiliz Hamas mit zahlreichen Opfern plant das Medienprojekt Wuppertal derzeit eine neue Filmreihe. Dafür suchen wir aktuell noch Teilnehmende, Einzelpersonen, Schulkassen oder Gruppen. Auch den Krieg in der Ukraine haben wir bereits filmisch thematisiert. Darin berichten junge Menschen aus der Ukraine über die Flucht aber auch über Erfahrungen in Deutschland, wo sie plötzlich Jugendlichen mit völlig anderen Realitäten gegenüberstehen.
Filmen wie „Jung und jüdisch“ auf Vimeo machen verschiedene Lebensformen sichtbar
Wer sollte den Film sehen? Wo kann er gezeigt werden?
Wir sind eine Filmeinrichtung für junge Menschen. Unsere Arbeiten richten sich an Schulen, Vereine und Gemeinden. Der Film kann überall laufen, wo Bildungsarbeit mit jungen Menschen gemacht wird. Aber auch durchaus im Vorprogramm großer Kinos. In Wuppertal oder in anderen Städten. Mit selbstproduzierten Filmen möchten wir in vielen Bereichen Berührungsängste auflösen und verschiedenen Meinungen und Lebensformen sichtbar machen gegen Hass und Hetze.
Gibt es Beiträge über andere Religionen, die im Medienprojekt Wuppertal entstanden sind?
Ja, wir haben seit unserem Start in 1992 auch viele Videos gedreht, die sich mit den Religionen befassen. Das ist ein Spiegel der multikulturellen Gesellschaft. Das Medienprojekt Wuppertal bietet jungen Menschen heute auch die Möglichkeit, eigene Filme zu machen, über Themen, die sie interessieren. Dabei geht es oft auch um die sexuelle Identität der Jugendlichen. Wir unterstützen sie kostenfrei mit Technik und Beratung. Aus jüngster Zeit stammt zum Beispiel die Serie aus Videotagebüchern aus dem Ramadan aber auch die Dokumentation über religiös begründeten Extremismus bei Jugendlichen.
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