Essen. Unter großer Anteilnahme wurden in Essen-Steele elf Stolpersteine für jüdische Opfer des NS-Regimes verlegt. Erinnerungen werden lebendig.
Gedenksteine im Boden als stille Erinnerung: Zu den bisher in Steele verlegten 47 Stolpersteinen kamen nun elf neue Steine für jüdische Mitbürger hinzu, die von den Nationalsozialisten verfolgt und fast alle auch ermordet wurden. Während der mit über 100 Teilnehmern gut besuchten Verlegung verteilte Arnd Hepprich einen Sonderdruck des Steeler Archivs, der die neu verlegten Stolpersteine einordnet. Sie mahnen zum Innehalten und Gedenken.
In der Fußgängerzone berichtete eine sichtlich angefasste Dagmar Günther, dass sie Kontakt zu Angehörigen der in der Shoa ermordeten Familien Fultheim und Stern hat. Die schrecklichen Gräueltaten der Geschichte verschmelzen mit leider viel zu aktuellen Geschehnissen: „Eigentlich wollten sie es daheim in Israel per Zoommeeting verfolgen. Aber sie haben da jetzt ganz andere Probleme.“
Worte der Essenerin gehen zu Herz und Erinnern an das Enkelkind
Die 60-jährige wohnt in Steele, hatte Hebräisch gelernt und Anfang der 1990er zwei Jahre lang in Israel gelebt. In ihrem Kibbuz war sie völlig unvermittelt auf einen Nachfahren von Steeler Juden getroffen, die der Vernichtung entkamen, aber geliebte Familienmitglieder betrauerten. Denen sind nun an der Bochumer Straße 6 Stolpersteine gewidmet. Hier in Nähe zum Grendplatz stand das renommierte Geschäft „Porzellan-Stern“. Der Schwiegersohn der Fultheims, Wilhelm Stern, musste unter Druck verkaufen.
Zu Herz gehen die Worte: „Judithlein hat sich unberufen gut entwickelt, sie ist 1 ¾ Jahre, groß und kräftig und spricht alles. Der Opa hat bei ihr einen Stein im Brett.“ So schrieb Mathilde Fultheim im Oktober 1941 liebevoll über die innige Beziehung ihres Mannes Max zur Enkeltochter. Doch der Opa war zwei Monate später tot. Er starb im Ghetto Łódź, seine Frau überlebte ihn nur kurz. Auch Tochter Gertrud Stern, ihr Ehemann Wilhelm, die Kinder Kurt und Judis sowie die Hausangestellte Rosa Mathias wurden ermordet.
Essener floh nach England uns sah seine Familie nie wieder
An der Dahlhauser Straße 20 berichteten Marienschülerinnen von Abraham und Auguste Kongrecki und ihrem Sohn Siegfried. Die Familie hatte seit 1930 ein Geschäft für Weiß- und Wollwaren, das in der Pogromnacht 1938 verwüstet wurde. Siegfried als einziger jüdischer Schüler an der Bergstraße hatte unter Misshandlungen zu leiden durch Mitschüler, die der Hitler-Jugend angehörten. Als es zu schlimm wurde, blieb er daheim.
Abraham Kongrecki konnte 1939 nach England fliehen, sah aber seine kleine Familie nie wieder. Zwei Jahre später wurden Ehefrau und Sohn nach Litzmannstadt deportiert. Siegfried starb dort am „Fleckfieber“, keine 15 Jahre alt. Auguste überlebte ihn nur um wenige Wochen.
Im Center Carrée Steele liegen nun Stolpersteine für Regina, Max, Kurt und Ernst sowie Eva Erna Mayer. Sie wohnten in dem im Krieg zerstörten Haus Ahestraße 27. Hier lesen Schüler der Wolfskuhle aus den Biographien. Die 85-jährige Regina Mayer wurde 1942 in Theresienstadt ermordet.
Ihr Sohn Max und seine holländische Frau Eva Erna waren 1933 mit den Kindern in die Niederlande geflohen. Doch Max sowie die Söhne Kurt und Ernst wurden entdeckt, deportiert und in Auschwitz ermordet. Eva Erna Mayer wurde von Menschen versteckt und überlebte den Holocaust. Aber als sie nach dem Krieg vom Tod des Ehemanns und der Söhne erfuhr, war sie ein gebrochener Mensch.
Künstler kam bereits zum vierten Mal nach Essen-Steele
Gunter Demnig stieß mit seiner Aktion „Stolpersteine“ eine Kultur des Erinnerns an. Nun sind bereits über 100.000 dieser kubischen Mahnmale verlegt in 31 Ländern. Der Künstler war nun schon zum vierten Mal in Steele: „Ich hätte nie gedacht, dass es so groß wird. Ich musste zwei zusätzliche Werkstätten einrichten.“
Für Demnig und die Essener Stolpersteinbeauftragte Birgit Hartigs ging es weiter nach Rüttenscheid. Dort an der Moorenstraße 21 waren bei der Verlegung für Max, Edda, Klaus und Gert Jonas Angehörige dabei. Am Palmbuschweg 154 wurde der NS-Opfer Lisa, Gertrud und Siegfried Weiss gedacht. Sie waren Sinti. Die Stolpersteine für Theodor und Johanna Blum am Karnaper Markt 3 sind die ersten überhaupt im Stadtteil Karnap.