Oberhausen. In Oberhausen prägten eins Kinos das Stadtbild, das „Oberhausener Manifest“ hat die deutsche Filmindustrie verändert. Ein Rückblick.
In Christoph Schlingensiefs groteskem Abgesang auf den Neuen Deutschen Film, „Die 120 Tage von Bottrop“, ertönt an prominenter Stelle ein erbarmungswürdig hingeächzter Todesseufzer: „Oooberhausen!“ Und das hat weniger damit zu tun, dass Schlingensief ausgerechnet in jener Stadt geboren wurde, als vielmehr mit der schweren Last des „Oberhausener Manifests“ („Papas Kino ist tot“), mit der Schlingensief das Filmemachen begann.
Mit dem Manifest wurde 1962 bei den VIII. Westdeutschen Kurzfilmtagen der Grundstein für eine Abkehr konventioneller Unterhaltungskost von Heimatfilm und Karl-May-Geballere hin zu gesellschaftskritischen und politisch relevanten Filmen begründet, was den Weg ebnete für Regisseure wie Rainer Werner Fassbinder, Alexander Kluge, Wim Wenders („Paris, Texas“, „Der Himmel über Berlin“, in Oberhausen aufgewachsen), Volker Schlöndorff und Werner Herzog.
Von 24 Kinos zu Hochzeiten sind in Oberhausen noch drei übrig geblieben
Insofern hat Oberhausen seinen bedeutenden Platz in den Jahrbüchern der deutschen Kinogeschichte sicher. Und die Kinobegeisterung hatte sich hier ebenso breitgemacht, auch wenn die Emscherstadt vom in den 60er-Jahren einsetzenden Kinosterben nicht verschont blieb.
Oberhausen hatte zur Zeit des Wirtschaftswunders ganze 24 Kinos, im Jahr 1954 sollen für damalige Verhältnisse erstaunliche 800.000 D-Mark in die Stadtkassen geflossen sein. Heute sind nur noch drei Kinos übrig, auch wenn zwei davon über mehrere Säle verfügen.
Allein entlang der Marktstraße konnte man zur Hochzeit des Kinos kaum bummeln, ohne über ein Lichtspielhaus zu stolpern. Da gab es das Palast-Kino gegenüber vom damaligen Kaufhof, das bis vor ein paar Jahren als eine verlassene Ruine in einem Hinterhaus vor sich hin schimmelt. Es gab das Apollo gegenüber vom ehemaligen C&A-Haus. Das City (später zum Programmkino Casablanca umfunktioniert) an der Nohlstraße, heute eine Gaststätte.
Die eigentliche Kinomeile jedoch war die benachbarte Elsässer-Straße, wo es heute noch die Lichtburg mit ihren damals 1200 Sitzen gibt, das Gloria, das mehr als 400 Sessel hatte. Und auf der gegenüberliegenden Seite den Europa-Palast, der fast über 1200 Sitzplätze verfügte.
Lange Schlangen vor Lichtburg und Europa in Oberhausen
An den Wochenenden trafen sich die Schlangen vor Lichtburg und Europa mitten auf der Straße, so lang waren sie. Es ist eine hübsche Ironie, dass ausgerechnet das Foyer des Europa-Palasts den Oberhausenern heute noch bestens vertraut ist, weil dort in den 90er-Jahren das Café Transatlantik einzog, der eigentliche Saal jedoch verwaist als eine Art „Lost Place“ dahinter liegt.
Seit seiner Schließung als Kino hat der Europa-Palast ein paar neue Nutzungen erlebt, etwa als 1989 hier der legendäre Star-Club einzog, eine Nachwuchs-Bühne nach Hamburger Vorbild mitten in der Innenstadt. Hier wurde auch versucht, die Rocky Horror Show als Dauer-Musical zu etablieren, lange vor den Plänen für den „Broadway an der Ruhr“. Bis vor etwa 20 Jahren diente der Saal dem Theater Oberhausen unter Klaus Weise als Probebühne: Während hinten die Inszenierungen ausgearbeitet wurden, wurde vorne im Café gefrühstückt.
Seitdem wird das Europa nur noch selten genutzt. In der Verwaltung weiß man zwar darum, dass man ein fast vergessenes Kleinod in der Innenstadt hat, aber die immer wieder angestoßene Sanierung zum Mehrzwecksaal ist bislang immer wieder gescheitert, auch wegen der hohen Sanierungskosten von 4,7 Millionen Euro, die teils vom Land mitgetragen werden müssten.
„Auch die Kurzfilmtage waren sehr daran interessiert, hier wieder eine feste Spielstätte zu haben“, sagt Ratsmitglied Axel Scherer (SPD) aus Oberhausen, der sich für eine neue Nutzung einsetzt. Den Kinocharakter mit den Logen sieht man dem 1955 eröffneten Saal auch heute noch an. Scherer: „Es dürfte einer der schönsten Säle in Westdeutschland gewesen sein, ein tolles, tolles Ding!“
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Auch dafür, dass die Umwidmung eines Kinos gelungen ist, liefert Oberhausen ein hübsches Beispiel, in den Lito-Palast (Lito steht für Licht und Ton) von 1931 mit seinen 900 Plätzen, zog in den 1980ern die Oberhausener Disco Old Daddy ein, die mehr als ein Jahrzehnt die Jugendlichen der Stadt prägte – unter anderem mit einem legendären Konzert der Toten Hosen vor ihrem Durchbruch.
Das tiefste Kino Deutschlands – 609 Meter unter der Erde
Auch wenn die Zahl von 24 Kinos in den frühen 60er-Jahren, die sich natürlich auch in die Stadtteile erstreckten (Atrium in Osterfeld, Capitol in Lirich, Kastell in Holten, Residenz in Alstaden) aus heutiger Sicht sehr hoch erscheint, standen andere Revierstädte dem in nichts nach.
Der Historiker Holger Klein-Wiele listete in einem Beitrag fürs Oberhausener Geschichtsmagazin „Schichtwechsel“ auf, dass vor Kriegsbeginn 1939 in Oberhausen neun Kinos betrieben wurden. Zum Vergleich: Die Nachbarstadt Mülheim verfügte über acht Kinos. Aber Essen hatte zu dieser Zeit ganze 45 Säle (man denke an Lichtburg und Eulenspiegel), Gelsenkirchen inklusive Buer damals schon 23 Säle (heute noch zu bewundern: die Schauburg in Buer).
Auch einen absoluten, wenngleich sehr erfreulichen Tiefpunkt kann man aus der Stadt vermelden: Im Besucherbergwerk der ehemaligen Zeche Oberhausen gab es Ende der 1930er-Jahre auch Deutschlands tiefstes Kino: Selbst 609 Meter unter der Erde wurden noch mit Begeisterung Filme geschaut.
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