Essen. Vegane Familien werden oft mit Vorurteilen konfrontiert, gerade wenn es um die Ernährung der Kinder geht. Wie gängig die Anfeindungen sind.
Einige haben es vielleicht noch nicht bemerkt, aber mit dem Frühlingsanfang hat die Grillsaison 2023 begonnen. Und spätestens, wenn die glühende Kohle in einigen Wochen bei Sonnenschein wieder in jedem zweiten Garten glimmt, wird man wieder Zeuge von Sätzen wie: Was willst Du denn essen, Du magst ja gar kein Fleisch? Probiere doch mal!
Oder: Geh mir weg mit dem Grünzeug, das gehört nicht auf den Grill! Oder: Vegane Würstchen sind gar keine Würstchen! Das sind nur die harmlosen Spitzen, mit denen vegan oder vegetarisch lebende Menschen immer noch konfrontiert werden. Und man muss sagen: Sie kennen das schon, denn Szenen wie diese lassen sich beinahe bei jeder größeren Grillparty beobachten.
Vegane Ernährung von Kindern sorgt für Anfeindungen
Aber es geht auch schlimmer, besonders hart trifft es vegane Familien, denn wenn Eltern ihre Kinder vegan aufwachsen lassen, erleben sie fast zwangsläufig Anfeindungen. Der Psychologe Guido F. Gebauer befragte im Auftrag der Internetportale vegan.eu und gleichklang.de 913 vegane Eltern mit Kindern unter 18 Jahren – und er stellte eine erschütternde Ablehnungsquote fest: „90,2 Prozent der befragten Eltern mit veganen Kindern waren bereits mit negativen Reaktionen ihres sozialen Umfeldes auf die Ernährung ihrer Kinder konfrontiert worden.“ Ein Viertel von ihnen gab an, dass sie sehr oft solche Reaktionen erlebt hatten.
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Die Art der Reaktionen, die derart Diskriminierte erlebt hatten, waren vielfältig: Vielen wurde vorgeworfen, die Gesundheit ihrer Kinder zu gefährden (85,9 Prozent), auch Mangelernährung der Kinder wurde ihnen unterstellt (83,7 Prozent), es wurde behauptet, sie würden die Kinder zur veganen Ernährung zwingen (71,4 Prozent) oder sie würden ihre Kinder manipulieren (62,8 Prozent).
Die Eltern erlebten, dass ihre Kinder in der Schule gehänselt wurden, Kindergärten ihre Anmeldung ablehnten oder Ärzte ihnen die Behandlung verweigerten. Auch leider gar nicht so selten: Der Vorwurf des Kindesmissbrauchs (28,9 Prozent). Und in einigen wenigen Fällen hatten Menschen aus dem sozialen Umfeld der Familie sogar das Jugendamt wegen der veganen Ernährung der Kinder eingeschaltet.
„Kein unbeschwertes Familienleben für Veganer möglich“
„Für vegane Familien ist derzeit in Deutschland kein unbeschwertes Familienleben möglich“, befindet der Psychologe Guido F. Gebauer. Die Gründe, warum vegane Eltern trotzdem an der Ernährung festhalten, kann man durchaus positiv sehen: 96,5 Prozent gaben an, dass sie sich ethisch dazu verpflichtet fühlen, ihre Kinder vegan zu ernähren. Und 91 Prozent wollten ihre Ernährungsweise einfach an die nächste Generation weitergeben.
Und die Kleinen befürworten und unterstützen die Entscheidung ihrer Eltern: 98,2 Prozent der befragten Kinder gaben an, dass sie sich sehr gerne, gerne oder eher gerne vegan ernähren.
Vorbehalten zum Trotz: Keine Ernährungsweise ist in den vergangenen Jahren so stark auf dem Vormarsch, wie die fleischlose. Aktuell gibt das Internet-Portal veganivore.de die Anzahl der Veganer in Deutschland mit 1,58 Millionen (2 Prozent) an. Zudem gibt es 7,9 Millionen Vegetarier (10 Prozent). Ein Großteil der Vegetarier ist weiblich (70 Prozent) und meist unter 30 Jahre alt. Die Mehrheit von ihnen verzichtet wegen der Nachhaltigkeit und des Tierwohls auf Fleisch (Quelle: ifd-allensbach).
„Sie können das selber beobachten in den Supermärkten, wie breit vegane Produkte, gerade auch Ersatzprodukte, dort angeboten werden“, sagt Christian Vagedes, Gründer der Veganen Gesellschaft Deutschland. Der Markt ist also da und wächst, so stark sogar, dass mittlerweile auch „Unternehmen aus der Finanzbranche“ einsteigen wollten.
Wie kommt es nun zu den Vorurteilen? „Es gibt in Deutschland diesen schönen Spruch: Was der Bauer nicht kennt, frisst er nicht. Und Menschen, die sich überhaupt nicht mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, tun sich natürlich sehr schwer. Dazu gehören auch Ärzte und Lehrer, die irgendwann mal vor 20, 30 Jahren ausgebildet worden sind – und die Entwicklung zum Veganismus hat ja erst vor 15 Jahren spürbar eingesetzt“, sagt der Verleger und Publizist.
Rein pflanzliches Bio-Vitamin B12 für Veganer
Bei den Ärzten hat er sogar ein gewisses Verständnis für deren Ablehnung gegenüber Veganern: „Wenn ich ein Medizinstudium absolviere, habe ich mit Ernährung nicht viel zu tun. Wenn dann jemand zum Arzt kommt und nach veganer Ernährung fragt, dann ist es eben nicht so, dass der Arzt dann wirklich versiert antworten kann – es sei denn er hat sich privat damit auseinandergesetzt oder fleißig die Ärztezeitung gelesen, wo dann doch mal Artikel über vegane Ernährung vorkommen.“
Tatsächlich gibt es, wenn man darauf achtet, seine Nahrungsaufnahme regelmäßig mit den richtigen Ergänzungsmitteln zu vervollständigen, gar keine Vorbehalte gegen eine vegane Ernährung, auch nicht bei Kindern. Oft wird ja angeführt, dass nicht genug Vitamin B12 zu sich genommen wird. „Mittlerweile gibt es übrigens auch ein rein pflanzliches Bio-Vitamin B12. Junge Ernährungswissenschaftler wissen einfach aufgrund von Studien, dass die vegane Ernährung vorn liegt, weil sie präventiv gegen bestimmte Krankheiten wirkt“, sagt Christian Vagedes.
Immerhin scheint es an der veganen Ernährung aus Sicht ihrer Anhänger kaum etwas zu bemängeln zu geben, denn auf die Frage, ob die Eltern die vegane Ernährung wegen der negativen Reaktionen aus dem Umfeld bereuen, stimmten dem nur 0,6 Prozent der Befragten zu. 99,4 Prozent sind also gern bereit, so weiterzumachen wie bisher, allen Schmähungen, Anfeindungen und anderen Nachteilen zum Trotz.
>>> Tipps für die vegane Ernährung von Kindern
Vegane Ernährung für Kinder wird teils kritisch gesehen, so warnen die Deutsche Gesellschaft für Ernährung und das Bundeszentrum für Ernährung vor Nährstoffmangel. Dies kann mit einer Reihe von Tipps vermieden werden, so dass vegane Kinder nichts zu befürchten haben.
Stillen: Bei veganer Ernährung sollte möglichst lange gestillt werden, über das erste Lebensjahr hinaus, ab dem siebten Monat mit Beikost. Die Mutter sollte Vitamin B12 nehmen.
Vitamin B12: Auch Kinder sollten es nehmen, das gibt es auch in Tropfenform. Ärzte können die Werte im Blick behalten.
Eiweiß: Davon steckt viel in Kartoffeln, Hülsenfrüchten, Reis, Vollkornbrot und Nüssen.
Kalzium: Viele Milch-Alternativen sind mit Kalzium angereichert, etwa Hafermilch, Soja- oder Reisdrinks. Auch Brokkoli, Grünkohl, Haselnüsse oder Mandeln liefern viel Kalzium.
Wichtig ist auch, an ausreichende Jodzufuhr zu denken, sowie Eisen und Zink über die Nahrung zu sich zu nehmen. Vitamin B2 und B6 liefern Pilze, Nüsse, Bananen und Möhren. Für die ungesättigten Fettsäuren EPA und DHA empfehlen sich Lein- und Rapsöle, besser sind Öle mit Mikroalgenzusatz
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