Gelsenkirchen. In der Gelsenkirchener Müller’s Mühle werden Spezialmehle produziert, aus denen Fleischersatzprodukte hergestellt werden. Ein Werksbesuch.

Im gleichmäßigen Takt fallen Tausende Kichererbsen auf das kurze Förderband. Während die meisten der Kügelchen bis zum anderen Ende des Bandes purzeln, fliegen einige kreuz und quer durch die Luft. „Mit der Luftsäule können wir alles, das leichter als das Zielprodukt ist, absaugen“, erklärt Matthias Tögel.

Seine kurzen braunen Haare sind hinter dem weißen Netz verschwunden, in den Taschen seiner beigen Hose stecken unterschiedliche Werkzeuge. Nur ein kleiner Mehlfleck am Ärmel seines roten Pullovers verrät Tögels Aufgabe: Als Obermüller ist er dafür zuständig, dass die Erbsen, Bohnen und Linsen in der Müller’s Mühle in Gelsenkirchen verarbeitet werden – und damit auch die Grundlage für Fleischersatzprodukte liefern.

Studie zeigt: Vegetarische und vegane Fleischersatzprodukte werden beliebter

Vegetarische oder vegane Alternativen werden immer beliebter, zeigt eine Untersuchung des Statistischen Bundesamtes. Bratwurst oder Tofuwurst? Nackensteak oder Seitanschnitzel? Schinken Spicker aus Schweinefleisch oder Sonnenblumenkernen? „Diese Frage beantworten offenbar zunehmend mehr Verbraucherinnen und Verbraucher zugunsten der vegetarischen oder veganen Alternative“, lautet das Ergebnis der Marktanalyse.

So stieg die Produktion von Fleischersatzprodukten 2020 in Deutschland um mehr als ein Drittel im Vergleich zum Vorjahr. Insgesamt wurden rund 83,7 Tausend Tonnen bundesweit hergestellt. Der Wert der Produkte erhöhte sich im Vergleich zu 2019 von 272,8 auf 374,9 Millionen Euro (plus 37 Prozent). Mit der Rügenwalder Mühle machte einer der größten Lebensmittelproduzenten im Sommer 2020 erstmals mehr Umsatz mit vegetarischen und veganen Produkten als mit der klassischen Wurst.

In der Gelsenkirchener Müller’s Mühle läuft alles automatisch, erklärt Geschäftsführer Markus Prantl.
In der Gelsenkirchener Müller’s Mühle läuft alles automatisch, erklärt Geschäftsführer Markus Prantl. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

Veggie-Boom: Gelsenkirchener Mühle investiert 14,5 Millionen Euro in neues Werk

Auch bei Müller’s Mühle hat man längst auf den wachsenden Bedarf reagiert und rund 14,5 Millionen Euro in ein neues Werk investiert. Die hochmodernen Geräte in der strahlend weißen Halle sortieren, schleifen und zermahlen die insgesamt vier verschiedenen Hülsenfrüchte zu stärke- oder proteinkonzentrierten Mehlen für die Lebensmittelproduktion oder zu veredelten Mehlen für den Endverbrauch.

„Wir arbeiten daran, unsere Produkte für den Fleischersatz zu perfektionieren“, sagt Geschäftsführer Markus Prantl. Dabei sei die Mühle im engen Austausch mit den Lebensmittelproduzenten und helfe etwa bei der Auswahl des passenden Basisprodukts. Die GoodMills-Gruppe, zu der Müller’s Mühle gehört, arbeite darüber hinaus an eigenen Rezepturen für Fleisch- und Fischalternativen.

Unter Lieferengpässen im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine leidet man Gelsenkirchen nicht. Es gebe ausreichend Hülsenfrüchte und Reis, betont ein Sprecher von Good Mills. „Allerdings gibt es Probleme mit steigenden Preisen bei der Energie und in der Logistik“, sagt er.

Deutsche achten vermehrt auf gesunde und fleischlose Ernährung

Am Kerngeschäft hat sich bei Müller’s Mühle seit knapp 130 Jahren allerdings kaum etwas verändert, 100.000 Tonnen Reis und Hülsenfrüchte werden am Stadthafen jährlich verarbeitet. „Wir beobachten schon länger einen Trend hin zu Hülsenfrüchten“, sagt Prantl.

Für die derzeit hohe Nachfrage seien vor allem zwei Faktoren entscheidend. Zum einen würde die Wertschätzung für Lebensmittel in der deutschen Gesellschaft steigen – auch als Folge der Corona-Pandemie. „Die Menschen hatten wieder mehr Zeit, gemeinsam zu Hause zu kochen und zu essen“, so Prantl. Außerdem achten die Deutschen vermehrt auf eine pflanzlich-basierte Ernährung, was zum Beispiel die hohe Nachfrage nach Chips und Nudeln aus Kichererbsen oder Erbsen erkläre.

Erbsen werden in der Müller’s Mühle in Gelsenkirchen verarbeitet – und dienen als Basis für Fleischersatzprodukte.
Erbsen werden in der Müller’s Mühle in Gelsenkirchen verarbeitet – und dienen als Basis für Fleischersatzprodukte. © FUNKE Foto Services | Bernd Thissen

„In früheren Generationen war es nicht normal, jeden Tag Fleisch zu essen.

Zum anderen gebe es immer mehr „Flexitarier“, die sich zwar nicht ausschließlich vegan oder vegetarisch ernähren, aber dennoch häufig zur pflanzlichen Alternative greifen. „Back to the roots“, also zurück zu den Wurzeln, beschreibt die derzeitige Entwicklung laut Prantl am besten, denn: „In früheren Generationen war es nicht normal, jeden Tag Fleisch zu essen. Da gab es oft nur den Sonntagsbraten.“

Fleisch und Fisch aus Deutschland

Der Wert der in Deutschland produzierten Fleisch- und Fischerzeugnisse lag laut Statistischem Bundesamt im Jahr 2020 bei rund 38,6 Milliarden Euro – und betrug damit mehr als das Hundertfache des Wertes der Fleischersatzprodukte (374,9 Millionen Euro).

Im Vergleich zum Vorjahr sank der Wert des produzierten Fleisches jedoch leicht, auch als Folge der Pandemie: Einige Produktionsbetriebe mussten etwa wegen Verstößen gegen Hygieneschutzauflagen und hohen Ansteckungszahlen unter den Beschäftigten zeitweise schließen.

In Sekundenschnelle rasen die Kichererbsen durch das Rohrsystem und werden dabei von einer Kamera fotografiert. Der angeschlossene Computer erkennt sofort, wenn eine Erbse zu dunkel oder zu hell ist – und schießt sie mit Druckluft aus dem System. „Hier läuft alles automatisch. Die größte Herausforderung ist und bleibt es, die Maschinen so einzustellen, dass die Eigenschaften des Mehls am Ende immer die gleichen sind, auch wenn sich die Rohprodukte naturbedingt permanent verändern“, sagt Obermüller Tögel.

Fachkräftemangel: Gelsenkirchener Mühle hat Nachwuchsprobleme

Er nimmt eine Handvoll Kichererbsen aus der Maschine, um sie zu begutachten. „In der Bevölkerung herrscht immer noch das Bild vom eingestaubten Müller vor. Dabei betreiben wir eine hochmoderne Anlage.“ Müller’s Mühle stellten die Vorurteile vor die Schwierigkeit, junge Menschen für den Beruf zu begeistern. Der Fachkräftemangel sei, wie in vielen anderen Branchen, deutlich zu spüren, so Geschäftsführer Prantl.

Dabei beruhe Handwerk und Technik zwar seit tausenden Jahren auf demselben Prinzip – „Stein auf Stein“ – die zu verarbeitenden Produkte werden durch den Veggie-Boom aber immer vielfältiger. „Ich bin mir sicher, dass in Zukunft noch ganz neue Gerichte entstehen, die nicht nur als Alternativen entwickelt werden“, sagt Prantl. „Das ist die logische Weiterentwicklung des Trends.“