Oberhausen. Die Oberhausener Disco-Zelte Music Circus Ruhr und Blue Moon zogen einst tausende Tanzwütige in ihren Bann – nun verbünden sie sich zum Revival.

Wer auf dem Speicher in verstaubten Kartons noch eine Jacke aus der Jugend findet, kann in den Taschen wahre Zeitkapseln freilegen. Das goldene Schokoriegel-Papier von Raider, verwaschene Kinotickets aus der Zeit von „Zurück in die Zukunft“, aber auch kleine Abrisskarten aus legendären Oberhausener Diskotheken.

Wahrscheinlich wäre das Papier heute genauso verblichen wie die Erinnerungen an die Zelt-Manege des Music Circus Ruhr, die schwitzigen Nächte im Party-Wigwam Blue Moon oder den engen Eingangsschlauch des Tanzclubs Old Daddy Oberhausen. In den 1980er- bis weit in die 1990er-Jahre sorgten diese Diskotheken im Ruhrgebiet für Karawanen mit Schwof-Schwelgern.

Die Tanz-Schlachten sind in Oberhausen längst geschlagen, die Discos seit Jahrzehnten dicht. Der fiese, aber irgendwie betörende Geruchsmix aus Zigarettenqualm, Schweiß und Discounter-Deo ist aus dem Gedächtnis vieler pensionierter Nachtschwärmer so gut wie verschwunden. Bis jetzt.

Music Circus Ruhr, Blue Moon und Old Daddy: Party zum Tanz in den Mai

In Oberhausen hat vor wenigen Wochen eine wohlig stimmende Nachricht bei Anhängern der stillgelegten Diskotheken eine regelrechte Zappel-Revolution ausgelöst. Music Circus Ruhr, Blue Moon und Old Daddy kehren zurück, schließen sich zum Tanz in den Mai (30. April) für einen Abend zusammen zur großen Revival-Sause. Einlass ab 34 Jahren. Nach wenigen Tagen waren alle 4000 Eintrittskarten ausverkauft. Noch einmal hören, spüren, riechen, richtig jung sein. Willkommen in der Zeitmaschine.

Rückblende, 1980! Der junge Peter Jurjahn steuert den ehemaligen Kinosaal Lito-Palast an der Finanzstraße in der Sterkrader Innenstadt an. Es ist der Tag, an dem nach Haltern und Duisburg das Old Daddy auch in Oberhausen erstmals öffnet. Jurjahn ist gerade 15 Jahre jung, hat am selben Tag seine Lehre bei der Ruhrkohle begonnen. Doch zum Feiern kommt er nicht. „Sie sagten am Eingang: Wir brauchen noch jemanden für die Kasse.“ Jurjahn sitzt fortan Woche für Woche abends heimlich am Eingang, lässt sich von den Kumpels decken, damit die Eltern nichts erfahren.

„Toten Hose“-Konzert im Oberhausener Old Daddy

Er sieht das Old Daddy wachsen und 1987 dort ein legendäres Konzert der aufstrebenden Toten Hosen, die erst ein Jahr später „Hier kommt Alex“ schreiben werden. „Eine Wahnsinnszeit“, sagt Jurjahn, der heute die Lizenz der Old-Daddy-Marke besitzt und den Kulttempel betreibt. Beim Revival ist er Co-Gastgeber.

„Viele Leute sind früher in alle drei Diskotheken gegangen“, sagt Jurjahn. „Darum passt es auch gut, dass wir zu dritt feiern.“ Was er erzählt, ist spektakulärer, als man denkt. Die Betreiber der Disco-Zelte waren sich früher spinnefeind.

In den Ringecken stehen das Blue Moon des Halterner Unternehmers Edgar Engel, der zugleich mehrere Old-Daddy-Diskotheken besitzt und 1993 die Diskothek Turbinenhalle eröffnen wird. Auf der anderen Seite dreht im Music Circus eine junge Veranstalterriege um Olaf Hasenbein die Musik auf. Neun Freunde zwischen 24 und 31 Jahren leihen sich dafür Geld – bei der Sparkasse und von der Oma.

Der Oberhausener Music Circus Ruhr in alter Pracht am Stadion Niederrhein. Hierhin strömten jedes Wochenende zigtausende Nachtschwärmer.
Der Oberhausener Music Circus Ruhr in alter Pracht am Stadion Niederrhein. Hierhin strömten jedes Wochenende zigtausende Nachtschwärmer. © Stöck

Am Anfang haben sie für Edgar Engel noch Werbeplakate an Hauswände geklebt – bis sie im Mai 1987 den Music Circus Ruhr starten. Harald Engel baut nur kurz danach ein Konkurrenzzelt an der Kreuzung Mülheimer Straße und Essener Straße. Der Disco-Name ist dem Music Circus zum Verwechseln ähnlich. „Die Leute konnten das nicht auseinanderhalten“, erinnert sich Hasenbein.

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Der Zwist landet vor Gericht. Engel gibt klein bei und zieht einige Hundert Meter weiter neben den Peter-Behrens-Bau an der Essener Straße. Das Blue Moon ist geboren. Die Presse schreibt vom „Zeltkrieg“. Die Partymacher beharken sich bei Getränke- und Kartenpreisen. In Werbeanzeigen wird man bissig gegen den Kontrahenten. Wer früher eine gemeinsame Sause der Ausgeh-Godzillas im Jahr 2023 vorausgesagt hätte, bei dem hätte man vermutet, man hätte ihm etwas in den Kiba gemischt. Doch die Zeiten ändern sich.

Wiederauferstehung des Oberhausener Disco-Trios

Seit 2007 führt der Krefelder Geschäftsmann Michael Neumann die Turbinenhalle. Auch er ist beim Revival Co-Gastgeber. In seiner Turbinenhalle sowie in Jurjahns Kulttempel steigt nun die Wiederauferstehung des kultigen Disco-Trios – leider ohne Partyzelte. Das Blue-Moon-Zelt war übrigens, anders als es uns der Name weismachen wollte, niemals komplett blau.

Die Plane schimmert in einem blassen Rot und Blau – schlank gestreift. Zwischen 1987 und 1993 sind im Zelt sämtliche Modesünden zu sehen. Vom Blue-System-Pullover bis zu den hohen Plateausohlen von Buffalo-Boots. Es schallt Rock, Alternative, Pop und später Eurodance.

James Brown und Ramones in Oberhausen

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Und im Music Circus? „Unsere erste Zeltplane roch noch nach Kamel“, sagt Music-Circus-Boss Olaf Hasenbein. „Wir hatten uns das Reservezelt vom Zirkus Williams Althoff ausgeliehen.“ In der Manege drehen Besucher immer zuerst eine Spazierrunde. Sehen und gesehen werden. Im Tiger-Käfig mit echten Gitterstäben klirren Cocktail-Gläser. „Time to wonder“ von Fury in the Slaughterhouse wird zur Erkennungsmelodie. Sie knutschen an den Zeltmasten. Bass dröhnt wabernd in den Ohren. Und nach wenigen Stunden auf der Tanzfläche perlt das Kondenswasser von der Zeltplane.

Plötzlich spielen hier auch Weltstars. „James Brown? Und dann direkt neben der Emscher? Das hat uns keiner geglaubt. Alle haben gedacht, wir lassen einen Stimmenimitator singen“, erzählt Olaf Hasenbein. „Aber es war der Echte.“ Doch der große Name des Funk-Megastars macht den Music Circus über Nacht in der Konzert-Szene bekannt. Zwei Jahre später lassen die Punk-Legenden Ramones ihre Fans in der Manege pogen.

Die Disko-Zelte lockten etliche Stars nach Oberhausen: die Toten Hosen, James Brown und die Ramones zum Beispiel.
Die Disko-Zelte lockten etliche Stars nach Oberhausen: die Toten Hosen, James Brown und die Ramones zum Beispiel. © Tom Thöne / WAZ FotoPool | Tom Thöne

Für Al-Bundy-Partys tragen sie Sofagarnituren an die Tanzfläche, um dem Serien-Schuhverkäufer aus „Eine schrecklich nette Familie“ zu huldigen. 1996 ist Schluss. Der „Music Circus 2000“ macht unter neuer Leitung nur kurz weiter. „Es ist eine Zeit, die sich nicht zurückholen lässt. Aber wir versuchen es immer wieder“, scherzt Hasenbein.

Tatsächlich hat der Music Circus schon Revival-Erfahrung gesammelt. 2012 bauen die Macher sogar ein echtes Disco-Zirkuszelt nach. Wiederholen fünf Jahre lang erfolgreich eine jährliche Sause.

Aus dem Partyspaß ist für die Macher längst Business geworden: Hasenbein führt einen weltweit bekannten Verleih von großen Zelten. Festivals wie „Wacken“ und „Rock im Park“ gehören zu den Kunden. Der Firmenname: MCR, die Abkürzung der damaligen Diskothek.

Emotionen lassen sich zurückholen, Original-Schauplätze nicht. Im Old Daddy spielt heute eine Laien-Theatergruppe. Auf dem Platz des Music Circus hat Rot-Weiß Oberhausen ein Fußball-Leistungszentrum eröffnet. Und wo früher das Blue Moon lärmte, steht die Neue Mitte Oberhausen samt Centro.