Essen. Der Verkauf von Wohlfahrtsmarken hilft seit 1949 Kinder, Senioren und Menschen in sozialer Not. Nun hinterlässt das Projekt tragische Lücken.

„Helfer der Menschheit“ – unter diesem Titel entstanden im Dezember 1949 erstmals vier kleine Kunstwerke, die einen großen Zweck erfüllen sollten: Kinder, Senioren sowie kranken und benachteiligten Menschen aus ihrer sozialen Not zu retten. Die Rede ist von den sogenannten Wohlfahrtsmarken, besonders gestaltete Briefmarken, die zu einem Zuschlagswert verkauft werden. Der Extraerlös geht an die sechs Spitzenverbände der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland: die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Caritas, die Diakonie, den Paritätischen, das Deutsche Rote Kreuz und die Zentralwohlfahrtsstelle der Juden.

Die Wohlfahrtsmarke: Ein Herzensprojekt seit 1949

Wohl kaum jemand hätte damals vermutet, dass dies der Beginn einer großen Erfolgsgeschichte sein würde. Mehr als vier Milliarden Marken wurden seit 1949 auf Briefe und Postkarten geklebt, in Alben sortiert, unter Sammlerinnen und Sammlern getauscht und auf Auktionen versteigert. Jedes Jahr hat eine neue Designreihe viele soziale Projekte gefördert. „Die Idee geht auf einen ehemaligen Mitarbeiter des Caritas-Verbandes Gruno Jörge zurück“, erklärt Sigrid Forster, Leiterin der Abteilung Wohlfahrtsmarke bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (BAGFW).

Als „Helfer der Menschheit“ wurden in der ersten Serie vier Persönlichkeiten geehrt: Elisabeth von Thüringen, eine Landgräfin aus dem 13. Jahrhundert, Paracelsus von Hohenheim, ein Astrologe und Arzt aus dem 16. Jahrhundert, Friedrich Fröbel, ein Pädagoge aus dem 19. Jahrhundert und Johann Hinrich Wichern, ein Theologe aus dem 19. Jahrhundert.

Die „Helfer der Menschheit“ waren 1949 die ersten Symbole auf den Wohlfahrtsmarken.
Die „Helfer der Menschheit“ waren 1949 die ersten Symbole auf den Wohlfahrtsmarken. © Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V.

Mit Ausnahme des Jahres 1950 wurde seitdem jedes Jahr eine neue Reihe designt. Da Deutschland damals noch in vier Besatzungszonen aufgeteilt war, hat es in einzelnen Jahren Extraausgaben für das Saarland gegeben. Der Trend, einzelne Persönlichkeiten als „Helfer der Menschheit“ abzudrucken, zog sich bis zum Jahre 1955 durch.

„Dann ist man dazu übergegangen, Berufsgruppen abzubilden“, so Forster. „Von da an sind die Themen sehr vielfältig geworden.“ So gab es Serien zu den Märchen der Brüder Grimm, zu Pflanzen, Trachten, Tieren, Filmschauspielern, Naturphänomenen und vielem mehr. Zu Mauerzeiten wurden 25 Extraausgaben für die Deutsche Bundespost Berlin gedruckt. „Für Sammler sind diese Marken heute besonders interessant“, sagt Forster. Dabei gebe es noch viele weitere Serien, hinter denen eine spannende Geschichte steckt.

Bis zu 150.000 Euro wert

Die Wohlfahrtsmarke mit Audrey Hepburn wurde bei einer Briefmarkenauktion im Wiesbadener Kurhaus im Jahr 2005 zu einem Zuschlagspreis von 58.000 Euro an einen Sammler versteigert.
Die Wohlfahrtsmarke mit Audrey Hepburn wurde bei einer Briefmarkenauktion im Wiesbadener Kurhaus im Jahr 2005 zu einem Zuschlagspreis von 58.000 Euro an einen Sammler versteigert. © dpa

„Zum Beispiel die Marke, die es nicht hätte geben dürfen“, erzählt Forster. So wurde im Jahr 2001 eine Serie designt, auf der internationale Schauspieler abgebildet waren. „Für ein Motiv war ein Foto von Audrey Hepburn vorgesehen, wie sie in einer Szene aus „Frühstück bei Tiffany“ an einer Zigarre zieht“, sagt die Leiterin. „Als die Marken bereits gedruckt waren, hat ihr Sohn plötzlich die Erlaubnis dafür zurückgezogen, weil Hepburn an Lungenkrebs gestorben ist.“ Einige Exemplare haben es dennoch in den Umlauf geschafft – wie, sei bis heute nicht geklärt. Jedenfalls wurden diese Einzelstücke später zu sechsstelligen Beträgen versteigert.

Briefmarken für alle Sinne

Für viel Aufmerksamkeit hat auch die Wohlfahrtsmarkenreihe aus dem Jahr 2010 unter dem Titel „Obst“ gesorgt. „Wir haben die ersten in Deutschland erhältlichen Duftmarken auf den Markt gebracht“, erklärt Forster. Wie bei den duftenden Diddl-Blättern aus den 90er-Jahren brauchte man nur an der Briefmarke reiben und hatte den Geruch von Erdbeere, Zitrone, Heidelbeere und Apfel in der Nase. „Es hat Jahre gedauert, bis wir das durchbekommen haben“, so Sigrid Forster. „Und als es dann endlich funktioniert hat, gab es jede Menge Beschwerden, weil wir nicht an die Allergiker gedacht haben.“ Umso beliebter waren die Wohlfahrtsmarken dafür wieder ein Jahr später: 2011 durften Motive von Loriot abgebildet werden. „Das war eine große Ehre“, sagt Forster. Als der Künstler Vicco von Bülow in der laufenden Verkaufszeit verstarb, waren die Marken schnell vergriffen.

Sigrid Forster, Leiterin der Abteilung Wohlfahrtsmarke bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (BAGFW).
Sigrid Forster, Leiterin der Abteilung Wohlfahrtsmarke bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V. (BAGFW). © Thomas Trutschel/photothek.de

Von der Serie „Rumpelstilzchen“ aus dem Jahr 2022 wurden nur noch knapp zehn Millionen Wohlfahrtsmarken verkauft. Ein Vergleich: Im Jahr 2011 waren es noch rund 53 Millionen. „Der Verkauf geht stark zurück“, bedauert Michael Groß, Vorsitzender des Präsidiums bei der AWO. Gerade jüngeren Generationen sei die Wohlfahrtsmarke gar kein Begriff mehr. Überraschend sei der Absatzrückgang jedoch nicht. „Er entspricht ungefähr dem allgemeinen Rückgang des Postverfahrens“, erklärt Sigrid Forster. „Es werden weniger Briefe geschrieben, und es gibt auch deutlich weniger Sammler.“

Mithilfe der Wohlfahrtsmarken konnte die AWO seit 1949 mehr als 3,6 Milliarden Euro zusätzlich in ihre Projekte investieren. Darunter Kinder-, Jugend-, Familien- und Altenhilfen, Hilfen für Menschen mit Behinderungen, Integrationshilfen und Gesundheitshilfen wie zum Beispiel die „Katharinenhöhe“, eine Reha-Klinik für krebskranke Kinder und Jugendliche. Langsam, aber sicher werden die Zielkonflikte größer. „Je weniger Einnahmen wir haben, desto mehr müssen wir die Bettdecke hin und her ziehen, Eigenmittel einsetzen und immer stärkere Prioritäten setzen, wobei Letzteres kaum möglich ist, weil unsere Projekte alle wichtig sind“, so Groß. Vergleichbare Finanzierungsmittel gebe es bislang nicht.

Hans im Glück soll zum Denken anregen

„Umso mehr freut es uns, dass der Bundespräsident weiter die Schirmherrschaft für die Wohlfahrtsmarke übernimmt und dass das Finanzministerium jedes Jahr so viel Arbeit in das Projekt steckt“, führt Groß fort. So liegt die Herausgabe der Wohlfahrtsmarke seit einigen Jahren im Bundesministerium für Finanzen. Zunächst wird im Programmbeirat ein Thema festgelegt. „Das geschieht mit Blick auf mögliche Interessenlagen bei den Sammlern oder den sonstigen Käufern“, erklärt Forster. Danach geht es an die Umsetzung. Es werden mehrere Grafiker eingeladen, zu dem ausgewählten Thema Entwürfe einzureichen. Der Kunstbeirat schaut sich anschließend die Entwürfe an und entscheidet, welche zur Umsetzung kommen sollen.

In diesem Jahr entschied man sich für Motive aus dem Grimmschen Märchen „Hans im Glück“.
In diesem Jahr entschied man sich für Motive aus dem Grimmschen Märchen „Hans im Glück“. © Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege e.V.

In diesem Jahr entschied man sich für Motive aus dem Grimmschen Märchen „Hans im Glück“. Es handelt von einem Mann, der den reichen Lohn seiner Arbeit immer weiter eintauscht, bis er am Ende nichts mehr besitzt. Obwohl er bei seinen Tauschgeschäften jedes Mal „übers Ohr gehauen“ wird und schließlich mit leeren Taschen heimkehrt, tut er dies voller Glück und Zufriedenheit. „Man kann das Märchen als Spottgeschichte lesen“, schreibt der BAGFW. „Aber in einer Zeit wie der unseren, in der das Streben nach immer mehr materiellem Besitz zu großer Ungerechtigkeit und zur Bedrohung unserer Lebensgrundlagen geführt hat, ist das Märchen vielleicht auch als Einladung zu verstehen, anders über Wohlstand zu denken; neue Definitionen dafür zu finden, was Reichtum wirklich bedeutet.“

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