Herne. Mit „Goldin“ stieg er zum Tankstellen-Millionär auf – und landete schließlich im Gefängnis: Die schillernde Karriere des Erhard Goldbach.
Kein Drehbuchautor würde sich heute noch trauen, einen schmierigen Wirtschaftskrimi wie diesen zu schreiben: Ein Kohlenhändler aus Wanne-Eickel, der im Nachkriegsdeutschland zum mächtigen Mineralölhändler aufstieg, eine Kette aus 250 freien Tankstellen aufbaute, 1300 Menschen beschäftigte und der das billigste Benzin aller Zeiten verkaufte, „immer zwei Pfennig billiger als die anderen“, wie er selbst als Devise ausgab.
Die Preistafeln von damals werden manchem Autofahrer heute die Tränen in die Augen treiben: Benzin für 78 Pfennige pro Liter. Ein ehemaliger Mitarbeiter berichtete, dass der Preis einmal bis auf 28 Pfennig pro Liter sank, ein Wert, der sogar noch unter dem Einkaufspreis gelegen haben muss. „Wie war so etwas möglich?“ fragten sich sogar die Ölmultis seinerzeit – und nicht nur die.
„Niemand hat mehr Steuern hinterzogen als Erhard Goldbach“
Die Antwort lag näher, als man hätte argwöhnen wollen: Erhard Goldbach hatte Millionen Liter Treibstoff an Zoll und Steuerbehörden vorbei geschmuggelt – und flog erst nach vielen Jahren des Verdachts im Juli 1979 auf. Lange hatten mächtige Männer aus Politik und Behörden die Hand über ihn gehalten.
„Niemand hat in der alten Bundesrepublik mehr Steuern hinterzogen als Erhard Goldbach“, sagt Ralf Piorr, Historiker und Publizist aus Herne – und Experte für den Fall Goldbach. Mindestens 340 Millionen D-Mark an Steuergeldern wurden hinterzogen.
„Die 70er-Jahre waren die Zeit der multinationalen Konzerne, das waren in der öffentlichen Wahrnehmung die Feinde, so wie Esso und andere. Und Goldbach hat sich da positioniert. Irgendwann ist er so stark in den Konkurrenzdruck gekommen, dass er seine Preise nur halten konnte, indem er kriminelle Methoden angewandt hat. Das war irgendwann ab 1973/74 sein Geschäftsprinzip“, sagt Ralf Piorr (56).
Ursprünglich war Goldbach also ein Unternehmer, der viel politisches Wohlwollen genoss, weil er ein deutsches Gegengewicht zu den Konzernen schuf. Im Wanner Osthafen hatte er sich seinen eigenen „Ölhafen Goldbach“ anlegen lassen, in dem Treibstoff lagerte – und wo er die Kontrolleure austrickste.
Steuerbetrug bei Goldin aus Herne: So tricksten die Mitarbeiter
Mal durften Goldbachs Angestellte die Füllstände der Tanks selbst ablesen und konnten zigtausende Liter an der Steuer vorbei schummeln. Und wollte ein Prüfer selbst kontrollieren, wurden die Schrauben an der Leiter gelockert, so dass sich niemand mehr traute, selbst hochzuklettern.
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Als die Bücher geprüft wurden, berichtet Piorr, saß mal ein Finanzbuchhalter im Nebenraum und hat passende Belege fingiert. Goldbachs Geliebte und ein damaliger Angestellter wurden am Ende auf eine Rundfahrt zu den Tankstellen geschickt, um die Tageseinnahmen bar abzukassieren, freilich ohne Belege.
Goldin-Chef als Geldgeber für Westfalia Herne
„Es gab nicht den einen Trick bei Goldbach. Er hat an allen Ecken getrickst“, sagt Piorr. Auch anderswo: „Seine große Liebe war der Profifußball. Und er wollte damals Westfalia Herne in die Bundesliga bringen“, so der Historiker und Fußballfan. Goldbach trat als überaus großzügiger Geldgeber auf – er kaufte Spieler ein, die sich der Verein nie hätte leisten können.
Da die Spielergehälter gedeckelt waren, fand er eine kreative Lösung: Die Spieler wurden zusätzlich bei „Goldin“ angestellt, ohne arbeiten zu müssen. In seiner Ära stieg Westfalia Herne in die 2. Bundesliga auf – und der Verein firmierte unter „SC Westfalia 04 Goldin Herne“, die Spieler trugen das blaue Trikot mit dem weißen „Goldin“-Logo darauf.
Goldbach hatte parallel zu seinen Geschäften ein System aufgebaut, um sich die Gunst der Mächtigen zu sichern. Im rheinisch-bergischen Rösrath hatte er eine Jagdhütte, wohin er gerne Gäste einlud, um gemeinsam auf die Jagd zu gehen. Nebenher betrieb er dort den „Club Harmonie“, ein Bordell, in dem sich mutmaßlich viele Goldbach-Gäste vergnügten.
In Bezug auf die Jagd ist etwas überliefert, wovon Ralf Piorr berichten kann: „Mehrere Leute haben vor Gericht unter Eid erzählt: Es gab in Herne einen städtischen Beamten, der für den Geschäftsbereich in Crange zuständig war, in dem Goldbach seine Ölcontainer gehabt hat. Der Beamte wollte unbedingt ein Wildschwein schießen. Goldbach hat ihn auf seine Jagd eingeladen. Nur: An diesem Wochenende war die Wildschweinrotte nicht da. Goldbachs findige Leute nahmen ein Hausschwein, malten es braun an und jagten es über die Wiese. Der Beamte schoss, das Schwein kippte um. Und am Abend gab es Wildschwein aus der Tiefkühltruhe.“
Goldbach stand spätestens ab 1976 unter verschärfter Beobachtung der Finanzbehörden, nur wurden die Ermittler seinerzeit zurückgehalten. Schließlich handelte es sich bei dem Unternehmer um einen Arbeitgeber mit 1300 Angestellten und guten Beziehungen ins Finanzministerium.
Betrug und Steuerhinterziehung: Goldin-Chef hinter Gittern
Dass er dennoch ins Straucheln geriet, lag an Fehlbeständen in seinen Tanks, die er so erklärte: Mitarbeiter hätten selbst kostenlos getankt – und ihn auf diese Weise bestohlen. Einen davon zerrte er, um sich zu entlasten, vor Gericht. Nur: Dieser Mitarbeiter packte aus.
Als am 24. Juli 1979 eine Großrazzia in den Geschäftsräumen stattfand, war es das Ende des Imperiums „Goldin“. Erhard Goldbach und seine Geliebte setzten sich zunächst ins Ausland ab. Anfang 1980 wurde er am Rhein in Boppard verhaftet und wegen Betrugs zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt, 1985 wegen Steuerhinterziehung zu zwölf weiteren Jahren. Nach neun Jahren wurde er entlassen – und lebte danach in vergleichsweise bescheidenen Verhältnissen bis 2004. Von den hinterzogenen Millionen fehlt bis heute jede Spur.