Essen/Bristol. Pauline ist Deutsche, Frank ist Brite. In fünf Jahren Fernbeziehung trennten sie 622 km. Ein Paartherapeut erklärt, wie so etwas funktioniert.
Den Flughafen Köln/Bonn kennt Pauline wie ihre Westentasche. Hier hat sie viele Stunden ihrer frühen 20er verbracht, um zu ihrem Partner Frank im englischen Bristol zu fliegen. Für Frank gehörten hingegen lange Auto- und Fährfahrten zum Beziehungsalltag. Fast fünf Jahre lang war die gemeinsame Zeit knapp, verging rasend schnell und endete oft mit Tränen, als sie vorbei war. Und trotzdem waren die 25-jährige Krefelderin und der 28-jährige Bristolaner lange glücklich mit ihrer Fernbeziehung – zumindest an den meisten Tagen.
Die Liebesgeschichte von Pauline und Frank ist kein Einzelfall. Laut der ElitePartner-Studie 2019 gaben in Deutschland rund 27 Prozent der 18 bis 29-jährigen Befragten an, dass sie schonmal eine Fernbeziehung geführt haben. Unter den 30 bis 39-Jährigen bzw. 50 bis 59-Jährigen betrug der Anteil derweil gut 33 Prozent, während es bei den 40 bis 49-Jährigen sogar 39 Prozent waren. Laut der Online-Partnervermittlung Parship halten Fernbeziehungen im Durchschnitt drei Jahre – und damit genau so lange wie „klassische“ Beziehungen.
Fernbeziehung: Wenn die Schokoladenseite überwiegt
„Eine Fernbeziehung ist erstmal genauso gut oder genau so schlecht wie jede andere Beziehung auch“, sagt der Essener Psychologe und Paartherapeut Rüdiger Wacker. „Ich betreue viele Paare, die seit 20 Jahren zusammenleben und keine 30 Minuten am Tag miteinander sprechen.“ Wie in jeder Beziehung stelle sich auch in Fernbeziehungen die Frage: „Wie können wir unsere verschiedenen Bedürfnisse balancieren und wie gut kommunizieren wir miteinander?“
Bei Pauline und Frank hat alles im Oktober 2016 angefangen. Damals waren sie 19 und 22 Jahre alt und lernten sich während eines „Work &Travel“-Jahres bei der Farmarbeit in Australien kennen. Für den Moment schien das Zusammenleben perfekt, doch als das Auslandsjahr beendet war, sind beide zunächst schweren Herzens in ihre Heimaten zurückgekehrt. „Wir waren einfach noch nicht lange genug zusammen, als dass einer die Entscheidung treffen konnte, sein Leben in der eigenen Heimat aufzugeben, um zum anderen zu ziehen“, sagt Pauline. Zudem sei das Studium in England für sie unbezahlbar gewesen und für Frank, der kaum ein Wort deutsch spricht, wäre es schwer gewesen, in Deutschland eine Arbeit zu finden.
So hielt die Liebe an, doch jeder lebte irgendwie sein eigenes Leben – und das hatte seinerzeit viele Vorteile. „Platz im Bett zum Beispiel“, scherzt Frank. „Nein, das war auch oft blöd“, korrigiert er sich. „Uns ist es beiden sehr wichtig, regelmäßig Freunde zu treffen und unseren Hobbies nachzugehen.
Der Alltag bleibt aus – kennen wir uns überhaupt?
Dafür war jede Menge Zeit“, sagt Pauline. „Bevor ich nach Australien gegangen bin, habe ich noch nie mein Elternhaus verlassen oder geschweige denn allein gelebt. Ich bin froh, dass ich diese Erfahrung einmal machen konnte“, führt sie fort. „Außerdem wurde in der Zeit, in der wir uns gesehen haben, immer etwas Besonderes geplant, wir waren zum Beispiel oft campen“, so Frank.
„Eine Fernbeziehung beinhaltet viele Highlights“, sagt Wacker. „Da man einander oft vermisst und sich immer wieder auf den anderen freut, nutzt man die gemeinsame Zeit sehr viel bewusster. So kann die Phase der frischen Verliebtheit in einer Fernbeziehung viel länger aufrechterhalten werden“, erklärt der 61-Jährige.
Doch Hochmut kommt bekanntlich vor dem Fall und der kann tief sein, wenn der Himmel vorher riesengroß war. „Eine Highlight-Beziehung kann Fluch und Segen zugleich sein“, so der Paartherapeut. „Am Wochenende und im Urlaub zeigt man hauptsächlich seine Schokoladenseite. Aber eine Beziehung wächst im Alltag und an Konflikten, diese Chance bleibt aus der Ferne oft aus“, sagt Wacker.
Was muss also getan werden, damit der Alltag des Liebsten trotz großer Distanz nicht völlig fremd ist? „Wir haben uns täglich über FaceTime gesehen und uns genauso von unserem Tag erzählt, wie wir es heute tun, wenn wir nach Hause kommen“, sagt Pauline. Das sei angenehmer gewesen, als ständig zu texten. „Oft haben wir uns aber auch besucht, wenn die andere Person gearbeitet hat, anstatt immer zur selben Zeit Urlaub zu nehmen“, führt Frank fort. „So konnten wir regelmäßiger beieinander sein und den Alltag des anderen kennengelernt.“
Und dennoch: Streit habe es während der Fernbeziehung nur selten gegeben. „Seitdem wir zusammenleben, streiten wir uns deutlich häufiger – über Kleinigkeiten wie den Haushalt“, so der Brite. „Dafür waren die wenigen Streits, die wir aus der Ferne hatten, viel krisenhafter, weil wir unsere Beziehung hinterfragt haben“, führt Pauline fort. Einmal seien sie sogar für eine Woche getrennt gewesen, weil sie sich nicht drauf einigen konnten, wo die Beziehung langfristig hinführen würde.
Die Entscheidungsphase: Wie kommen wir auf einen Nenner?
„Die ernsthaften Probleme treten dann auf, wenn es ums Zusammenziehen geht“, erklärt Wacker. Fakt ist: für die meisten Paare ist die Liebe auf Distanz eher eine Übergangslösung. „Das ist der Punkt, an dem deutlich wird, wo die Prioritäten des Einzelnen liegen und wie ernst es ihnen mit der Beziehung wirklich ist“, sagt der Paartherapeut.
Wer ist nun bereit dazu, Job und Wohnung zu kündigen, Familie und Freunde zu verlassen und sich ein völlig neues Leben weit weg von zu Hause aufzubauen? „Das ist eine harte Entscheidung, die man nicht mal eben so trifft“, sagt Pauline. Lange habe man das Thema gemieden, weil keiner von beiden den ersten Schritt machen wollte. „Bei einem befreundeten Paar von uns, das in der gleichen Situation war, ist die Beziehung daran gescheitert, dass sich auf Dauer keiner von beiden in der Heimat des anderen wohlgefühlt hat. Sie haben in beiden Ländern versucht zusammenzuleben“, berichtet die Krefelderin.
„Ich habe mit den Gedanken immer in der Zukunft gelebt“
Muss denn ein Ende zwingend in Aussicht sein, wenn man mit der Fernbeziehung glücklich ist? „Solange man sich dabei nichts vormacht, kann es auch ewig so weitergehen“, sagt Wacker. „Es gibt schließlich auch Beziehungen, die dadurch gerettet werden, dass die Partner in zwei getrennte Wohnungen ziehen.“ Dafür müsse man natürlich gemacht sein, sprich: auf die körperliche Nähe auch mal verzichten können und Zeit mit sich alleine mögen.
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Beides Eigenschaften, die auf Pauline und Frank durchaus zutreffen, doch auf Dauer wurde die Ferne trotzdem anstrengend. „Ich mochte mein Leben in Deutschland sehr, aber ich habe mit den Gedanken immer in der Zukunft gelebt und mich nie so richtig angekommen gefühlt“, erklärt Pauline. Das Warten darauf, den anderen endlich wieder zu sehen, immer einen Termin zu brauchen, auf den man hinausblicken kann – all das wurde besonders im Jahr 2020 schwer, als Corona das Reisen einschränkte. „Wir konnten uns viele Monate gar nicht besuchen“, erzählt Frank. Und der Wunsch des Zusammenziehens wuchs.
Endlich zusammenziehen: Ein schwerer Prozess
„Ich war frustriert und dachte mir: Wenn wir es jetzt nicht versuchen, wissen wir nie, ob es funktioniert“, erzählt Pauline. Anstatt nach dem Bachelor zum Wintersemester 2021 gleich mit dem Master zu starten, machte sich die Krefelderin auf Jobsuche in Bristol – und wurde fündig. „Mein Leben hat sich auf einen Schlag komplett verändert, damit ging es mir nicht immer gut“, sagt sie. Aber sie habe auch nicht erwartet, dass alles von Anfang an perfekt wird.
„Man muss sich Zeit lassen, mit Konflikten rechnen und für Veränderungen offen sein“, betont Wacker. Das gelte nicht nur für die umziehende Person. „Schließlich lernt man den Partner jetzt noch einmal von einer ganz anderen Seite kennen“, so der Paartherapeut. Wichtig sei es, über alles, was stört, rechtzeitig zu reden. Auch Pauline und Frank, die bereits fünf Jahre zusammen waren, mussten sich in einigen Dingen aufeinander anpassen. „Es gab viele Diskussionen darüber, wer welche Aufgaben übernimmt. Aber ich denke, so geht es allen Paaren, die frisch zusammenziehen“, sagt die 26-Jährige.
Im Januar 2023 – also knapp anderthalb Jahre nach ihrem Zusammenzug – Leben Pauline und Frank in einem kleinen Mietshaus in Yate und tragen beide einen Ring an der rechten Hand. „We made it“, sagt Frank stolz und grinst seine Frau verliebt an. Am kommenden Wochenende geht er mit seinem „best mate“ Luke Mountainbike fahren, während Pauline mit ihrer neuen Freundin Ellouise zum Zumba geht. Am Abend freuen sich beide darüber, dass sie ihr Bett nie wieder für sich allein haben. Gemeinsam campen waren sie schon länger nicht mehr. „Aber dafür haben wir ja noch alle Zeit der Welt.“
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