Essen. Fomo, die „Fear of missing out“, gilt als erste Internetkrankheit. Ein Experte erklärt das Phänomen, Betroffene berichten über ihre Erfahrungen.
Wenn ich jetzt nur da wäre. Eingemummelt auf der Couch, Netflix und Tee im Anschlag, nach einer anstrengenden Arbeitswoche – und doch nicht zufrieden. Denn auf dem Handy flimmern die Instagram-Stories der Freunde und Arbeitskollegen, die in Clubs und Bars das Highlife leben, eine Hausparty feiern oder einfach nur gemeinsam um die Häuser ziehen. Die Angst, etwas zu verpassen, gab es schon immer. Aber „Fomo“ ist neu.
Fomo ist Englisch und steht für „Fear of missing out“, also wortwörtlich für die Angst, etwas zu verpassen. Oft, etwas plakativ, als die erste Internetkrankheit bezeichnet, ist an dieser Kategorisierung doch etwas dran. Social Media präsentiert Bilder eines idealen Lebens, das nicht das eigene ist, rund um die Uhr, mit nur einem Klick. Ist Fomo also ein New-Age-Problem? Wie entsteht es, und wie stark kann es das Leben von Betroffenen beeinträchtigen? Und vor allem, wie kommt man wieder aus der Fomo-Tretmühle raus? Zwei Frauen berichten von ihren Erfahrungen, Sozialpsychologe Prof. Dr. Hans-Peter Erb erklärt die Hintergründe.
Fomo durch soziale Medien: Wütend, weil die Freundin schläft
Miriam (Name geändert) kennt Fomo schon lange. Mittlerweile hat sie es gut im Griff, doch das war nicht immer so. „Als Kind wurde ich ganz hibbelig, wenn ich die Nachbarskinder draußen hab spielen sehen, ich aber zum Beispiel noch Mittagessen musste“, erinnert sie sich. Zu einer Halloweenparty quälte sie sich trotz schlimmster Magenschmerzen, in der Schule und der Universität wurde es nicht besser.
„Wenn ich zu zwei Partys am selben Abend eingeladen war, bin ich immer zu beiden gegangen, und das hat mir eigentlich den Spaß an beiden genommen.“ Sie habe ihren „Körper übergangen“, ihm keine Pausen gegönnt. Als sie, wie versprochen, mit einer Freundin einen Film guckt, anstatt auf eine Party zu gehen, schlägt das Fomo richtig ein. „Meine Freundin ist vor dem Fernseher eingeschlafen, und ich habe auf Instagram gesehen, wie glücklich und ausgelassen meine Freunde auf der Party gefeiert haben. Da ging es mir den ganzen Abend sehr schlecht, ich bin sogar wütend geworden.“
Geholfen hat Miriam die Erkenntnis, dass sie nun einen festen Stamm an besten Freunden habe, „auf die ich mich verlassen kann, und die auch meine besten Freunde bleiben werden, wenn ich mal nicht dabei bin.“ Außerdem, das habe sie mit dem Alter gemerkt, sei es ihr wichtig, mit sich im Reinen zu sein und in sich zu ruhen.
Social Media: Vergleichsinformationen, immer und überall
Hans-Peter Erb lehrt und forscht an der Helmut-Schmidt-Universität in Hamburg, Fomo läuft ihm dabei immer wieder über den Weg. „Fomo ist letzendlich ein Gefühl, das uns beschleicht, wenn wir es irgendwo anders für schöner und attraktiver halten“, umreißt der Akademiker das Phänomen, „das ist ein Gefühl, das wir alle mal haben.“ Allerdings, bestätigt Erb, könne sich dieses Gefühl beinahe krankhaft auswachsen – zu Fomo eben.
„Das kennen wir aus dem Social-Media-Bereich, das wird gerade in der Forschung sehr ausführlich untersucht“, sagt Erb, und kommt auf den Kern des Problems zu sprechen: das Vergleichen mit anderen. „Zu jeder Zeit haben wir Vergleichsinformationen zur Verfügung, die Möglichkeit zu sehen, was andere erleben und wir nicht.“
Wer ist besonders anfällig für Fomo?
Noch dazu seien beinahe alle Einblicke in andere Leben auf Social Media geschönt, sei es durch klassische Bildbearbeitung oder die Wahl des richtigen Lebensausschnitts – „niemand postet ein Foto von seiner Busfahrt zur Arbeit am Montagmorgen“, so Erb. Diese Gemengelage habe dazu geführt, dass das Problem Fomo heute „extrem groß“ sei, genau wie dessen Auswirkungen. „Im schlimmsten Falle stellt sich bei einer betroffenen Person eine grundlegende, diffuse Unzufriedenheit ein“, bilanziert Hans-Peter Erb. Der Fomo-Effekt treffe dabei nicht nur die Konsumenten der Social-Media-Posts – auch die Nutzer, die entsprechende Fotos teilen, befriedigen ihr eigenes Fomo mit Einblicken in ein scheinbar ausgefülltes Leben.
Leidet also jeder Social-Media-Nutzer automatisch an Fomo? Nein, sagt Hans-Peter Erb, aber bestimmte Typen Mensch sind besonders anfällig für das Problem. Personen mit „eher niedrigem Selbstwertgefühl“ zum Beispiel, und „neugierige Menschen und solche, die nach Abwechslung suchen, geraten auch eher in diese Situation“, erklärt der Forscher. „Und natürlich auch Leute, die ein hohes Bedürfnis haben, dazuzugehören.“ Gerade die Letzteren hätten häufig das Gefühl, ausgeschlossen zu werden, sind sie nicht Teil einer Aktivität, um deren Stattfinden sie wissen.
Fomo als Berufskrankheit – Influencerin Lola Weippert erzählt
Moderatorin und Influencerin Lola Weippert hat ihre Erfahrungen mit Fomo gemacht. „Ich kann mich sehr gut mit dem Begriff Fomo identifizieren, da ich grundsätzlich einfach schon oft die Angst habe, etwas zu verpassen. Ich hatte zwar nie eine Sucht, mich über Social Media auf dem Laufenden zu halten, jedoch vergleicht man sich mit den Menschen auf Social Media, die gefühlt immer und überall das Beste erleben und schon fühlt man sich, als hätte man etwas verpasst oder die anderen einfach ein schöneres Leben als man selbst.“
So sei sie öfter nach einem „erfüllten Tag“ glücklich nach Hause gekommen – nur um von den vermeintlich perfekten Leben der Anderen wieder heruntergezogen zu werden. Heute plädiert Lola Weippert auf Instagram für einen bewussteren Umgang mit Social Media. Aber wie ist sie selbst dem Fomo-Strudel entkommen? „Ich konsumiere Instagram einfach viel bewusster als früher. Ich habe mich darin trainiert, mich nicht mit allen anderen zu vergleichen und merke, dass es mich einfach so viel entspannter und glücklicher macht. Und wenn ich mich doch dabei ertappe, dass Instagram mir zu viel Kraft zieht, gehe ich auch gerne mal über eine längere Zeit offline.“
Weg von Fomo – aber wie?
Hans-Peter Erb sagt, dass das Wissen über die Existenz von Fomo schon die halbe Miete sei, wenn es darum ginge, Fomo abzuschütteln. „Wenn man den Stress erkennt, unter dem man durch Fomo leidet, sollte man in erste Linie die Nutzung von Social Media herunterfahren – auch wenn das nicht leichtfallen wird.“ Im Kern gehe es darum, die eigenen sozialen Vergleiche zu hinterfragen, „um aus diesem Teufelskreis wieder herauszukommen.“
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