Mülheim. Die neue „heute journal“-Moderatorin Anne Gellinek stammt aus Mülheim, fand ihren Traumjob in Moskau. Dass Putin angreift, hätte sie nie gedacht.
Am 18. August hatte Anne Gellinek (60) ihren ersten Auftritt als Moderatorin des „heute journal“ - und bekam gute Kritiken. Dabei muss die renommierte Reporterin, Korrespondentin und Russland-Expertin niemandem mehr etwas beweisen. Sie wurde in Mülheim geboren und fühlt sich als „Kind des Ruhrgebiets“.
Sie sind gebürtige Mülheimerin und seit 1. Oktober stellvertretende Chefredakteurin des ZDF - haben Sie Gratulationen aus Ihrer Heimatstadt bekommen?
Familie habe ich in Mülheim nicht mehr, meine Eltern sind verstorben. Aber frühere Nachbarn und Freunde haben mir natürlich gratuliert.
Ihr Vater Philipp-Otto Gellinek war in den sechziger, siebziger Jahren Bau- und Planungsdezernent in Mülheim - stimmt das?
Ja. Das Iduna-Hochhaus ist auf seinem Zeichentisch gewachsen - oder auf seinem Mist. Es wurde in unserer Familie sehr kritisch diskutiert. Meine Eltern waren beide Architekten. Mein Vater hatte erst eine Stelle in Hamburg, dann ist die ganze Familie nach Mülheim-Speldorf gezogen. Ich habe noch einen Bruder und eine Schwester, bin aber die Einzige, die in Mülheim geboren wurde. Die Einzige, die sich absolut als Kind des Ruhrgebiets betrachtet. Und jetzt, mit meinem Umzug nach Mainz, kann ich meine Ruhrgebiets-Saite wieder ein bisschen klingen lassen. Die Mainzer sind auch offen, bodenständig, wie die Menschen im Ruhrgebiet.
Nach dem Abitur von Mülheim nach Münster gezogen
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Als junge Frau wollten Sie allerdings schnell weg aus dem Revier, das haben Sie mal in einem Interview verraten. Und später hätten Sie „Abbitte geleistet“...
Ich bin in Duisburg zum Gymnasium gegangen, und zu meiner Schulzeit war das Ruhrgebiet nicht hip, sondern schmutzig, nicht schick und kulturell interessant, sondern es steckte mitten im Strukturwandel. Und dann kam ich zum Studieren nach Münster, in diese mittelalterliche Puppenstubenstadt, und fand es toll. Nach einigen Jahren wurde es mir fast ein bisschen langweilig - in Münster gibt es kaum andere Leute als Kaufleute, Beamte und Studenten. In der Zwischenzeit wurde das Ruhrgebiet modern und schick, aus Zechen wurden Kulturstätten.
Sind Sie noch häufiger hier in der Gegend?
Nein. Ich habe ja in den letzten Jahren als Leiterin des ZDF-Studios in Brüssel gewohnt. Im Ruhrgebiet habe ich zwar noch einige Freunde und frühere Nachbarn, aber Mülheim sehe ich leider meist nur noch von der Autobahn.
Russland-Korrespondentin wollte Anne Gellinek immer werden
Als Journalistin sind Sie sehr bekannt und haben wirklich Karriere gemacht. War das von Anfang an Ihr Ziel und geplant?
Ich wollte immer Journalistin werden, und ich habe bewusst Russisch studiert, um eine Sprache zu sprechen, die ganz besonders ist. Und das hat auch bestens funktioniert. Ich bin im Nachhinein überrascht, wie strategisch ich das angestellt habe. Doch das Einzige, was ich richtig wollte, war, Russland-Korrespondentin zu werden. Jobs im Management habe ich früher abgelehnt, weil ich immer Reporterin sein wollte, Journalistin. Aber jetzt bin ich älter, erfahrener, und das Angebot kam zur richtigen Zeit. Jetzt will ich meine journalistische Erfahrung stärker nach innen tragen.
Lässt sich Ihr Reporterinnen-Herz denn so einfach ruhigstellen?
Es schlägt natürlich noch. Ich fliege auch im November noch mal zum G20-Gipfel nach Indonesien. Diese Gipfel haben mich immer sehr stark fasziniert, wenn da so viele Regierungschefinnen und -chefs zusammenkommen. Diesmal wird es besonders spannend, weil sowohl Putin als auch Xi Jinping teilnehmen wollen.
Ukraine-Krieg: Unerwartet und „sehr frustrierend“
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Sie sind als Nachrichtenexpertin immer ganz dicht am Geschehen. Welche Nachrichten haben Sie persönlich besonders bewegt?
Der Ukraine-Krieg. Mit dem schlafe ich ein, und mit dem wache ich auf, wie sehr viele Menschen. Mich beschäftigt besonders die Frage, was jetzt aus diesem Russland wird? Ich glaube, dass ich das Land sehr gut kenne, aber ich hätte den Angriff Putins nicht erwartet. Ich habe noch eine Menge Kontakte nach Russland und finde es wahnsinnig deprimierend, wie die Leute, die Putins Krieg nicht unterstützen, dort unterdrückt werden. Ich war in den achtziger Jahren in Russland, als sich das Land geöffnet hat. Ich gehöre zur Generation, die die Auflösung des Kalten Krieges erlebt hat. Das alles ist sehr frustrierend - für mich und besonders für viele Menschen in Russland.
Wird es einen Atomkrieg geben? Einen dritten Weltkrieg?
Meine Vorhersagen waren alle falsch. Das weiß nur Putin alleine.
Sie sind Mutter einer 17-jährigen Tochter. Macht Ihnen Sorge, dass junge Leute sich kaum noch aus journalistischen Medien über das aktuelle Geschehen informieren?
Beim ZDF-„heute journal“ haben wir noch einen relativ hohen Anteil an jungen Zuschauern. Aber diese Sorgen habe ich schon. Ich sehe es auch an Schülern und Studierenden, die uns besuchen, dass sie überhaupt kein klassisches Fernsehen mehr schauen. Kein junger Mensch unter 30 guckt noch, so wie ich es kenne, um 20 Uhr die Tagesschau oder um 21.45 Uhr das „heute journal“. Doch junge Leute sollten wissen: Wenn etwas passiert, findet man das „heute journal“ im Netz und kann sich dort aktuell informieren. Das betrachte ich künftig auch als eine meiner großen Aufgaben, dass junge Leute uns dort finden, wo sie sind, dass wir weiterhin gesehen werden.
Hat Ihre Tochter schon einen Berufswunsch?
Nein, bisher noch keine Idee. Journalistin will sie aber auf gar keinen Fall werden.
Zur Person
Anne Gellinek wurde 1962 in Mülheim geboren. Nach dem Abitur zog sie nach Münster, studierte dort - und später auch in Moskau - Slavistik, Osteuropäische Geschichte und Publizistik.
Mit ihrem Volontariat beim ZDF in Mainz (1991/92) begann eine erfolgreiche Karriere als Fernsehjournalistin. Anne Gellinek war unter anderem Reporterin beim ZDF-Morgenmagazin in Berlin, ab 1998 Korrespondentin im ZDF-Studio Moskau, ab 2003 Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio Berlin.
2008 ging sie erneut nach Moskau - diesmal als Leiterin des ZDF-Studios. Anfang 2015 übernahm Anne Gellinek die Leitung des ZDF-Studios in Brüssel.
Seit Oktober ist sie stellvertretende Chefredakteurin des ZDF und leitet die Hauptredaktion Aktuelles, als Nachfolgerin von Bettina Schausten. Zugleich erweitert die 60-Jährige das Moderationsteam beim „heute journal“, das sie am 18. August erstmals präsentierte.