Essen. Mit „Like A Hobo“ lieferte Charlie Winston einen Hit. Danach machten ihm gesundheitliche Probleme zu schaffen, wie er im Interview erzählt.

Dunkler Hut, Drei-Tage-Bart, die Gitarre baumelt lässig über der Schulter – so lief Charlie Winston im Video zu seinem Hit „Like A Hobo“ durch eine abgeschiedene Wüstengegend. Er lief und lief und lief, rastlos wie ein Landstreicher eben. Rund 14 Jahre ist das her. Die ganz großen Hits blieben nach dem Erfolg zwar aus, doch der 44-Jährige hat heute etwas Wertvolleres gefunden als Plattenverkäufe. Was genau ihn antreibt, mit der Musik weiter zu machen (sein aktuelles Album „As I Am“ erschien am 30. September) und wie sehr ihn seine chaotische Kindheit belastete, darüber sprach Winston mit Kirsten Gnoth.

Mit der Single „Like a Hobo“ kletterten Sie scheinbar aus dem Nichts auf Platz elf der deutschen Charts. In Frankreich war sogar die Chartspitze drin. Danach ist es wieder ruhiger um Sie geworden. Warum?

Charlie Winston: Ich hatte mit extremen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen – mit Rückenschmerzen. Ich habe viele verschiedene Medikamente und Therapien ausprobiert und nichts hat mir geholfen. Dann habe ich ein besonderes Buch entdeckt.

Welches?

„Healing Back Pain“ von Dr. John E. Sarno (nur auf englisch erhältlich, New York Times Bestseller, Anm. D. Red.). Das Buch hat mir mit meinen Schmerzen geholfen, auch weil es sich als psychosomatisches Problem herausgestellt hat.

Sie haben sogar darüber nachgedacht, Ihre Karriere zu beenden, oder?

Ich habe für ein paar Monate aufgehört und gedacht ‘das war’s jetzt’. Aber ich habe weitergemacht und so ist schließlich auch das Album „Square One“ entstanden. Es ist eine Art Neuanfang nach all der Zeit voller Schmerzen – eine völlig neue Welt, die ich erkunden konnte. Auch die Psychotherapie hat mir sehr geholfen, auch bei der Selbstreflektion, die ich nun in meinen Songs verarbeiten kann.

Was haben Sie über sich gelernt?

Das ich tatsächlich nicht Superman bin, sondern ein ganz normaler Mensch und dass es völlig OK ist. Ich habe auch gelernt, dass vieles von dem, wie ich aufgewachsen bin, heute in meiner Persönlichkeit schlummert. Die Umstände haben mich geformt und mich irgendwie programmiert.

Ihre Eltern hatten ein Hotel, in dem Sie ebenfalls irgendwie aufgewachsen sind. Wie würden Sie Ihre Kindheit beschreiben?

Es war ziemlich aufregend und ziemlich chaotisch zur gleichen Zeit. Es war keine normale Kindheit. Meine Eltern waren eigentlich Musiker und kauften dann das Hotel. Sie kümmerten sich darum und hatten außerdem noch vier Kinder. Sie können sich vorstellen, dass wir nicht unbedingt ein Familienleben hatten.

Inwiefern?

Wir haben als Familie nur selten zusammen gegessen oder haben Urlaube gemacht. Allerdings liebten meine Eltern die Kunst und es spielten ständig Bands im Hotel oder es fanden Theater- oder Comedyvorstellungen statt. Diese Menschen wurden über die Zeit auch zu meiner Familie. Jedoch habe ich nie so richtig gelernt, was der innere Kreis ist und das man ihn schützen sollte.

Nun haben Sie eine eigene Familie. Wie sind Sie als Vater?

Ich versuche, Stress weitestgehend zu vermeiden. Denn es ist ziemlich leicht den eigenen Stress auf die Kinder zu übertragen. Außerdem möchte ich jeden Tag positiv angehen.

Als tourender Musiker ist es sicherlich nicht einfach Stress zu vermeiden, oder?

Darüber, wie ich das machen kann, denke ich wirklich oft nach. Selbst wenn ich auf Tour bin oder ein Album promote, nehme ich mir jeden Tag einen Moment für mich selbst. Ich mache Atemübungen oder lerne Französisch.

Ihre Frau kommt aus Frankreich und Sie leben gemeinsam dort. Auch ihre Musik ist in Frankreich und Belgien deutlich populärer als in Ihrer ursprünglichen Heimat England. Ärgert Sie das?

Wissen Sie, heute achte ich nicht mehr darauf, wo jemand herkommt. Wir sind einfach Menschen auf einem Planeten. Ich bin einfach nur stolz, dass jemand meine Musik hört – wo genau er oder sie wohnt, ist dabei egal. Ich bin dennoch etwas traurig darüber, dass mich in meinem Heimatland eigentlich kaum einer kennt. Aber es würde mein Leben nun auch nicht verändern, wenn ich dort bekannter wäre. Klar, es würde meinem Ego schmeicheln oder meinem persönlichen Sinn für Patriotismus, aber mehr auch nicht.

Fühlen Sie sich mittlerweile mehr als Franzose oder Engländer?

Ich würde sagen, ich bin einfach nur ein Typ (lacht). Ich fühle mich weder englisch noch französisch. Ich glaube daran, dass das nur eine Art Konzept ist. Die Art wie wir sprechen oder landestypisches Verhalten etwa, dass sind oberflächliche Dinge. Unter der Oberfläche liegen viel mehr Dinge, die nichts mit Kultur zu tun haben und mit denen beschäftige ich mich viel lieber.

Sie haben auch eine längere Reise nach Indien gemacht – ähnlich wie die Beatles oder Alanis Morissette. Was suchen all die Musiker und Musikerinnen in Indien?

Puh, was die anderen dort gesucht haben, weiß ich gar nicht. Ich habe mich in die indische Raga Musik verliebt (eine melodische Grundstruktur in der klassischen indischen Musik, Anm. d. Red). Mir gefällt einfach das Zusammenspiel aus Sitar, der Tabla (ein Schlaginstrument aus zwei kleinen Kesseltrommel, Anm. d. Red.) und der Flöte. Ich bin also dorthin gereist, um die Tabla zu lernen. Und als ich in Indien angekommen bin, habe ich mich irgendwie zu Hause gefühlt.

Wirklich?

Ja, ich möchte definitiv noch mal zurück. Ich denke, Indien ist das Gegenmittel zur westlichen Welt, in der alles immer geordnet und strukturiert sein muss. Ein Beispiel: Als ich aus Indien zurückgekommen bin, fand ich es total seltsam, die Straße zu überqueren. Hier wird mir von Strichen vorgegeben, wo ich über die Straße gehen soll – in Indien nutzt man den gesunden Menschenverstand dazu. Man geht dort über die Straße, wo es nicht gefährlich ist. In der westlichen Welt gibt es für alles Regeln ... An Indien hat mit die Idee gefallen, dass man so viele Regeln gar nicht braucht.

Charlie Winston – As I Am Tour, 9.12., Luxor, Luxemburger Str. 40, Köln. ­Tickets ca. 38 €.

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