Dortmund. Medien vermitteln Bilder und Muster. Eine Autorin und ein Experte erklären, wie das funktioniert und wie Eltern damit umgehen können.

Als sich der Ravensburger Verlag kürzlich kurzfristig gegen die Veröffentlichung der geplanten Buch-Reihe „Der junge Häuptling Winnetou“ entschied, entbrannte erneut die Debatte, auf welche Weise in Kinder- und Jugendbüchern stereotype Darstellungen transportiert werden. Und was machen diese pauschalen Zuschreibungen mit dem Nachwuchs?

Es geht um das, was der US-amerikanische Publizist Walter Lippmann schon Anfang des 20. Jahrhunderts als „Bilder in unseren Köpfen, die unsere Wahrnehmung maßgeblich bestimmen“ bezeichnete. Um das, was uns ein Bild von der Welt vermittelt, um Stereotype als gesellschaftliche Normen, als Denkmuster.

Pauschale Zuschreibungen in Kinderbüchern

Sie vermitteln spezifische Charakteristika zum Beispiel bezogen auf Geografie, Ethnie, Religionen, Geschlecht, Alter, Berufe oder körperliche Eigenschaften: „heißblütige Italiener“, „lustige Dicke“, „gewalttätige Moslems“, „mutige Jungs“, „schüchterne Mädchen“.

Pauschale Zuschreibungen gibt es nicht nur bei Winnetou oder Pippi Langstrumpf, sie gibt es auch heute noch. Ein Blick auf den Thementisch zum Schulanfang in einer Buchhandlung vor einigen Wochen: Dort liegen zwei verschiedene Ausgaben von „Geschichten zum Lesenlernen“.

Jungen als Fußballer, Mädchen als Prinzessinnen

Einmal „Für mutige Jungs“ und einmal „Für starke Mädchen“. In dem Buch für Jungs: Fußball, Rennfahrer, Feuerwehr. Außerdem eine Geschichte, in der mal schnell nach Afrika geflogen wird, wo man in der Steppe Löwen, Nashörner und Giraffen trifft. Beim Mädchenbuch: Prinzessinnen, Pferde, Hexen. Pauschale Zuschreibungen, stereotype Interessensgebiete, je nach Geschlecht.

Studien über die Darstellung von Geschlecht und Geschlechterrollen in der Kinder- und Jugendliteratur gibt es einige. 2021 hat die Germanistin Kerstin Böhm in ihrer Dissertation „Archaisierung und Pinkifizierung. Mythen von Männlichkeit und Weiblichkeit in der Kinder- und Jugendliteratur“ fest, dass die literarische Welt für Mädchen und Jungs zweigeteilt wird.

Dortmunder Kinderbuchautorin ist über Stereotype gestolpert

Auch die Dortmunder Kinder- und Jugendbuchautorin Inés María Jiménez ist beim Schreiben über Stereotype gestolpert. Bei ihrem im Februar erschienenen Jugendroman „Ein bisschen Konfetti macht noch keine Freundin“ hatte eine Testleserin sie darauf hingewiesen, dass die Mutter in der Geschichte recht klischeehaft dargestellt ist.

„Tatsächlich habe ich dann Kleinigkeiten überarbeitet“, erzählt die 54-Jährige. „Jetzt putzt auch mal der Vater oder kocht der Bruder.“ In ihrem neuen, noch nicht erschienenen Buch stellt sie ein vermeintlich untypisches Familienbild dar: Die Mutter ist neu verheiratet, der Stiefvater spielt eine große Rolle, die Hauptfigur ist transsexuell und befindet sich auf Identitätssuche.

Dortmunder Autorin: „Es ist wichtig, sich ständig selbst zu reflektieren“

„Das hat sich einfach so entwickelt“, sagt sie. „Es ist wichtig, sich ständig selbst zu reflektieren und zu hinterfragen. Sich bewusst mit Stereotypen auseinander zu setzen.“ Stereotype definiert Jiménez als etwas, das unbewusst im Gehirn entsteht und dazu dient, „sich in dieser komplexen Welt zurecht zu finden. Sie schaffen eine gewisse Sicherheit“, so die Autorin.

„Ich möchte versuchen, als Autorin Stereotype zu vermeiden. Aber es ist eben auch ein Lernprozess. Und ein permanenter Diskurs“, sagt die gelernte Industriekauffrau und studierte Linguistin. Als Tochter eines Spaniers, die aber nicht zweisprachig aufgewachsen ist, sondern erst mit 20 Spanisch lernte, beschäftigte sie sich in ihren Romanen und Sachbüchern mit Zweisprachigkeit.

Dortmunder Autorin kritisiert Klischees in Kinderbüchern

In diesem Jahr hat sie erstmals mehrere Bücher veröffentlicht, die nichts mit Mehrsprachigkeit zu tun haben. Die öffentliche Debatte findet Jiménez wichtig. Sie vergleicht Stereotype mit einem alten, holzwurmigen Eichenschrank. „Entweder man renoviert diesen Eichenschrank, kümmert sich um ihn“, sagt Jiménez, „oder er wird irgendwann zusammenfallen und man muss ihn rausschmeißen.“

Und nicht nur als Autorin setzte sich Inés María Jiménez mit Klischees auseinander, sondern auch als Mutter zweier inzwischen 16- und 18-jährigen Mädchen. „Viele Bücher aus meiner Kindheit, wie die Struwelliese, vermitteln, dass Mädchen bescheiden und folgsam zu sein haben. Solche Bücher kann man heute nicht mehr weitergeben, auch nicht aus Nostalgie“, sagt sie.

Dortmunder Kinderbuchautorin setzt sich für mehr Vielfalt ein

Trotzdem dürften ihre Töchter viel selbst entscheiden, was sie lesen. Die jüngere Tochter liebt „Leo Lausemaus“, eine Buchreihe, in der die Mutter Hausfrau mit Kittelschürze ist und der arbeitende Vater zum Abendbrot nach Hause kommt. „Wenn ich das als Mutter und Schriftstellerin blöd finde, muss ich einfach Vielfalt und Gegenpole schaffen“, sagt sie.

Richard Stang ist Professor an der Hochschule für Medien in Stuttgart und Leiter des Instituts für angewandte Kindermedienforschung (ifak). Er plädiert für einen entspannten, aber reflektierten und diskussionsfreudigeren Umgang mit Medien.

Freunde und Familie beeinflussen Kinder mehr als Medien

„Immer die Medien für alle Probleme verantwortlich zu machen, halte ich für eine zu einfache Lösung“, sagt der 63-Jährige. Man dürfe ihnen nicht zu viel Macht geben, sagt er und verweist auf ältere Diskussionen, die sich damit beschäftigten, inwiefern Fernsehkonsum Gewalttätigkeit fördert.

„Natürlich erleichtert es Eltern und Pädagogen, immer alles auf die Medien zu schieben. Was ein Kind aber daraus zieht, hat unheimlich viel mit den Eltern, der Umgebung, den Freundinnen und Freunden zu tun.“ Dabei sieht Stang es an den Eltern, den Medienkonsum der Kinder, aber auch den eigenen, immer wieder zu reflektieren. Es gebe inzwischen eine kaum überschaubare Flut an Formaten.

Experte warnt: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles auslöschen“

„In vielen älteren Kindermedien [als Beispiel nennt Stang Bibi Blocksberg], gibt es eine heile Welt. Die entlastet ja auch und das ist auch überhaupt nicht schlimm. Wir brauchen unsere Ankerpunkte, durch die wir uns entspannen können.

Dass dann dadurch bestimmte Typisierungen stattfinden können, ist auf der einen Seite sicher problematisch, auf der anderen Seite denke ich, wenn man sich damit auseinandersetzt, geht das. Der Mensch neigt eben, um seine Welt zu ordnen, zu Stereotypen.“

Experte fordert: Vielfältiger Diskurs über Stereotype in Kindermedien

Diskussion und Reflexion, privat und öffentlich, das sei es, worauf es ankommt. Dabei sieht er aber auch eine Gefahr: „Wir müssen aufpassen, dass wir nicht alles auslöschen, was irgendwann einmal problematisch war, und dass damit auch in der Geschichte verloren geht.

Einfach nur zu schwärzen oder umzuschreiben halte ich kulturell für einen schwierigen Weg. In Bezug auf Kindermedien muss ein Diskurs stattfinden, aber eben breiter, bunter und vielfältiger.“