Düsseldorf. Nach den tödlichen Schüssen auf einen 16-Jährigen in Dortmund dringt Rassismus-Forscher Prof. Karim Fereidooni auf unabhängige Ermittlungen.
Prof. Karim Fereidooni (Ruhr-Uni-Bochum) ist Rassismus-Forscher und Experte für politische Bildung. Er hat eine Online-Petition unterzeichnet, die den Landtag zur Aufklärung der tödlichen Polizeischüsse auf einen 16-jährigen Senegalesen in Dortmund auffordert. Mit Matthias Korfmann sprach Fereidooni, der die Bundesregierung zu Rassismus und Integration beraten hat, unter anderem über die Furcht von Migranten vor Polizeikontrollen.
Herr Prof. Fereidooni, warum haben Sie die Petition unterzeichnet?
Karim Fereidooni: Polizeiarbeit ist auch von rassistischen Einstellungen geprägt. Die Petition bietet die Chance, Öffentlichkeit herzustellen. Politik reagiert nur auf Druck. Einer meiner Doktorandinnen wurde von Innenministerien mehrerer Länder, darunter NRW, verwehrt, zu diesem Thema Polizisten zu befragen. Wir machen es trotzdem. Ich wünsche mir, dass Innenminister Herbert Reul eine solche Studie zulässt.
Herbert Reul ließ eine Stabsstelle einrichten, die sich mit rechtsextremistischen Tendenzen in der Polizei beschäftigte, und er hat die Polizeibehörden mit Extremismus-Beauftragten ausgestattet. Untätigkeit kann man ihm nicht vorwerfen.
Karim Fereidooni: Meiner Meinung nach benötigen wir die Stelle eines unabhängigen Polizeibeauftragten sowie eine umfassende Studie über Rassismus und Gewalt bei der Polizei NRW. Zudem müssen rassismuskritische Fortbildungen regelmäßiger Bestandteil der Polizeiaus- und –fortbildung werden. Ferner müssen Polizeibeamte ihre Kollegen und Vorgesetzte kritisieren dürfen, ohne Angst zu haben, dafür bestraft zu werden. Hierfür müssen Anlaufstellen geschaffen werden.
Die Hintergründe der tödlichen Schüsse in Dortmund sind unklar. Ist der Rassismus-Vorwurf nicht eine Vorverurteilung?
Karim Fereidooni: Struktureller Rassismus spielt eine Rolle bei der täglichen Polizeiarbeit. Gemeinsam mit der erwähnten Doktorandin habe ich einen Aufsatz in einer Polizeizeitschrift veröffentlicht und dafür fünf Polizeibeamte befragt. Einer gab unumwunden zu, dass Racial Profiling übliche Praxis sei (Mit Racial Profiling sind Polizeikontrollen aufgrund des Erscheinungsbildes oder ethnischer Merkmale gemeint, Anm. der Red.). Ein anderer sagte, Menschen aus Afrika könnten wegen genetischer Unterschiede Polizeiarbeit nicht verstehen. Auf Rassismus angesprochen, reagierten die Befragten belustigt oder verärgert.
Polizisten denken doch nicht extremer als die Bevölkerung. Sie sind Teil der Gesellschaft.
Karim Fereidooni: Polizeibeamte dürfen nicht ein Spiegelbild der Gesellschaft sein. Aus Untersuchungen wissen wir, dass zehn Prozent der Bevölkerung ein rassistisches Weltbild besitzen. Ich möchte nicht, dass zehn Prozent der Polizeibeamten Rassistinnen sind. Die Polizei muss stärker an sich arbeiten als die übrige Gesellschaft, denn sie ist Repräsentantin unseres Staates.
Welches Bild haben Menschen mit Migrationshintergrund von der Polizei?
Karim Fereidooni: Rassismus macht die Polizeiarbeit schlechter und Menschen, die als „nicht deutsch“ markiert werden, verlieren deshalb das Vertrauen in die Polizei. Viele von ihnen nehmen die Polizei als Gefahr wahr. Es darf nicht sein, dass ein Teil der Bevölkerung Angst haben muss, wenn sie in eine Polizeikontrolle gerät.
Im Dortmunder Fall und in einem weiteren Fall in Recklinghausen kontrollieren sich die Polizeibehörden gegenseitig. Polizeigewerkschafter sagen, das habe sich bewährt. Außerdem schaue stets eine Staatsanwaltschaft auf die Ermittlungen. Zudem wurde das Landeskriminalamt eingeschaltet Ein Argument?
Karim Fereidooni: Nein. Was soll bei diesen Ermittlungen herauskommen? Wer gegen einen Kollegen aussagt, gilt schnell als Nestbeschmutzer. Wir benötigen für solche Fälle unabhängige Polizeibeauftragte, die nicht zum Polizeiapparat gehören. Wenn es zu Anzeigen von Bürgern gegen Polizisten kommt, dann ist es häufig so, dass die Staatsanwaltschaft tendenziell eher der Polizei glaubt als den Bürgern.
Polizisten werden doch in ihrer Ausbildung für das Thema Rassismus sensibilisiert.
Karim Fereidooni: Bislang leider noch zu wenig. Und sobald die Ausbildung beendet ist, sagt der ältere Polizist dem jüngeren: „Vergiss, was du gelernt hast. Ich bringe dir bei, ein richtiger Polizist zu sein“ und verlangt von ihm, Racial Profiling zu betreiben.
Warum sollte der Landtag eine Untersuchungskommission einrichten?
Karim Fereidooni: Es muss geklärt werden, wie es sein konnte, dass in Dortmund elf Polizisten vor Ort waren und dieser Jugendliche mit fünf Schüssen aus einer Maschinenpistole umgebracht wurde. Sie soll erreichen, dass die Politik genauer hinsieht. Zudem: Welche Maßnahmen kann die Polizei treffen, damit Polizisten ihre Sichtweisen auf als ‚nicht-deutsch‘ wahrgenommene Gruppen hinterfragen und aufgeben. Die Polizistin, die wir befragt haben, hat zum Beispiel gesagt: Wenn ich zu einem Einsatz fahre, und dort stehen muslimische Männer, dann werde ich laut, weil ich weiß, dass muslimische Männer keine Frauen akzeptieren. Wenn Polizisten den Bürgern aggressiv begegnen, dann ist das keine gute Grundlage.
Dieses Polizeiverhalten hat sicher etwas mit Erfahrung zu tun.
Karim Fereidooni: Rassismus ist keine Reaktion auf konkretes Verhalten. Er geschieht, egal, wie sich die Betroffenen verhalten. Wenn ich eine Wohnung suche und die Eigentümer wissen nicht, dass ich Professor bin, sondern sehen nur den Namen Fereidooni, dann bekomme ich die Wohnung nicht. Sie kennen mich nicht, aber sie glauben, mich zu kennen, aufgrund ihrer rassistischen Phantasien.