Ruhrgebiet/Rheinland. Ob Kate Bush, Tokio Hotel oder BTS: Fans jeder Generation brennen für ihre Stars. Aber wie hat sich die Art und Weise des Fan-Seins verändert?
Eine vollkommen unreflektierte Form der Begeisterung, eine Art Liebesbeziehung: Das ist es, was das Fan-Sein für Burkhard Giesen ausmacht. Das ist, was ihn zum Fan macht – und zwar von der britischen Sängerin Kate Bush.
Ob Sängerin, Künstler oder Schauspielerin: Seitdem es Menschen gibt, die wegen ihres Talentes in der Öffentlichkeit stehen, gibt es auch Menschen, die sie dafür bewundern – und auf unterschiedlichste Weise anhimmeln.
Fankultur in Deutschland: Hat sich das Fan-Sein verändert?
Sei es mit einem kreischenden Empfang vorm Konzert, mit Zimmern voller Poster oder mit eigenen Fanpages in den sozialen Medien, auf denen jede noch so kleinste Kleinigkeit aus dem Leben des Stars geteilt wird. Aber werden Stars und Sternchen heute auf die gleiche Art und Weise angehimmelt, wie schon vor Jahren? Oder hat sich das Fan-Sein mit der Zeit verändert? Diese Frage lässt sich weniger leicht beantworten, als vielleicht vermutet – so viel sei vorweggenommen.
Denn es gibt nicht den einen Fan. Vielmehr sind die Fans so unterschiedlich, wie es unterschiedliche Musiker, Stile und Genres gibt. Burkhard Giesen jedenfalls, das lässt sich dann doch sagen, ist ein Fan des alten Schlags.
Rheinländer über Lieblings-Star: „Kate Bush erreicht einfach mein Herz“
Seit er am 9. Februar 1978 Kate Bush bei einem Fernsehauftritt sah, ist er von ihr fasziniert. „Ich war damals 14 und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus“, erinnert er sich. Über die Teenie-Jahre ist die Begeisterung dann etwas abgeflaut – bis 1982 ein neues Album erschien.
„Musik war immer ein wichtiger Teil meines Lebens und auch ganz verschiedene Bands“, erzählt er. „Aber Kate Bush erreicht einfach mein Herz, sie berührt mich. Ich liebe ihre Musik, weil mir eine Geschichte erzählt wird.“
Rheinländer betreibt Fanpage für Sängerin Kate Bush
Heute ist der Rheinländer 58 Jahre alt – und nicht weniger begeistert von Bush. Bereits seit 2012 betreibt er eine klassische Fanpage im http-Format. Dort bespricht er Alben, lässt Gast-Autoren zu Wort kommen und schreibt über seine Fanerlebnisse.
Seinen besten „Fanmoment“ erlebte Giesen im Jahr 2014. Kate Bush, die zurückgezogen von der Öffentlichkeit lebt und nur alle Dekade ein Album veröffentlicht, gab eine Reihe von Comeback-Konzerten in London – und Burkhard Giesen schaffte es, eines der begehrten Tickets zu ergattern.
„Ich wäre überall hingeflogen, um sie nur einmal live erleben zu können“, sagt er. „Das war eine ganz besondere Atmosphäre, viele haben vor Glück geheult. Davon zehre ich noch heute.“ Heutzutage, glaubt er, würde man Kate Bush in Deutschland kaum noch wahrnehmen. Aber er sagt auch: „Ich könnte nicht sagen, dass das Fan-Sein heute anders ist, als damals.“
Teenagerin aus NRW himmelt Sänger Wincent Weiss an
Zurück in die Gegenwart: Lilly* (13) und Anna* (14) sind beste Freundinnen und glühende Fans. Die eine verehrt den Deutsch-Pop-Sänger Wincent Weiss, die andere die südkoreanische Boygroup BTS. Ihre Idole live auf der Bühne zu erleben, das scheint auch für die jüngeren Fans wie sie das Highlight schlichtweg zu sein.
„Ich habe Wincent bei einem Open-Air-Konzert diesen Sommer sogar auf Händen getragen“, erzählt Lilly aufgeregt. Der Sänger war dabei von der Bühne ins Publikum gesprungen. Ganz vorne hatte Lilly gestanden, ausgestattet mit Tour-Shirt, mit dem Handy filmend, kreischend und als Teil einer eingefleischten Fanmasse.
Fan aus NRW über Wincent Weiss: „Er ist einfach wie ein Freund“
Auf Instagram betreibt die 13-Jährige, die im Ruhrgebiet wohnt, eine Fanpage für den Sänger, schreibt Fan-Fiction und quält sich für Wincent Weiss sogar durch schweißtreibende Fitnessprogramme. Denn während der Corona-Pandemie trainiert er über seinen Fitnesskanal jeden Abend live mit seinen Fans.
„Ich liebe seine Musik einfach“, sagt Lilly. „Seine Texte berühren mich und geben mir Mut und ich habe das Gefühl, dass Wincent einer von uns ist. Er spricht uns direkt an, antwortet manchmal sogar auf Posts und ist einfach wie ein Freund.“
14-Jährige aus NRW ist Teil der „BTS-Army“
Freund statt Ikone: Von den sieben südkoreanischen Jungs, die die Band BTS bilden, kann man das eher nicht behaupten. Da stört schon allein die Sprachbarriere. Doch mit anderen Fans – der so genannten Army – ist Anna im engen Austausch.
„Ich mag ihre schwarzen Haare, ihr Aussehen und ihr Auftreten insgesamt“, sagt die 14-Jährige, die die Band schon seit fünf Jahren anhimmelt. „Das Tanzen und die ganze Show sind so spektakulär. Und ich mag schon auch die Musik.“
„Ich glaube, dass Fan-Sein heute viel oberflächlicher ist“
Sie kaufe sogar CDs, obwohl sie die Musik kostenlos im Internet hören könnte. „Wenn ich CDs kaufe, unterstütze ich die“, sagt sie. Ebenso wie mit dem Kauf von Fan-Artikeln: Shirts, Poster, Kuscheltiere oder Fotobücher hat sie sich bereits zusammengespart. Annas Mutter beobachtet das Fan-Dasein ihrer Tochter genau.
„Ich glaube, dass das Fan-Sein heute viel oberflächlicher ist, als das früher war“, sagt sie. Ihrem Eindruck zufolge gehe es vielmehr um das Aussehen der Künstler und um deren Performance. Abgezeichnet habe sich dieser Trend bereits in den 90ern – mit Boygroups wie den Backstreet Boys oder Take That.
Boybands wie Beatles oder Take That lösen Fan-Hysterie aus
Als erster Auslöser weiblicher Fan-Hysterie gelten gemeinhin die Beatles. Studien oder wissenschaftliche Erkenntnisse zur Fankultur in Deutschland gibt es allerdings kaum. Eine der wenigen Expertinnen, die sich der Fanforschung widmet, ist die Marburger Medienwissenschaftlerin Vera Cuntz-Leng.
„Anders als zu Beginn dessen, was wir heute darunter verstehen, wenn wir von ‚Fankultur‘ sprechen, ist Fandom keine Begleiterscheinung mehr, keine juvenile Flause, die vorüber geht. Die landläufigen Vorstellungen von Fans als hysterische Teenies, nerdige Stubenhocker oder aggressive Hooligans haben eine drastische Wandlung erfahren“, hält sie in ihrem Buch „Creative Crowds. Perspektiven der Fanforschung im deutschsprachigen Raum“ fest.
Internet verändert Fankultur: Mainstream statt Außenseiter
Einen erheblichen Einschnitt habe die Fankultur mit der Erfindung des Internets erfahren. „Erst mit der Entwicklung des Internets in den 2000er Jahren sind Fans und Fan-Communities nicht nur sichtbarer, allgegenwärtiger geworden, sie sind endgültig im Mainstream angekommen“, so Cuntz-Leng.
Bestes Praxisbeispiel: der Podcast „Fandom Stories“. Dort diskutieren vier Freundinnen, die sich vor 15 Jahren als Fans der deutschen Boy-Group Tokio Hotel kennengelernt hatten, über Fan-Sein und Fangemeinden.
Sie sind sich einig: Ohne das Internet, früher Schüler VZ und Fanforen, heute Instagram, Twitter und Discord – hätten sie sich nie miteinander auf diese Weise vernetzen, gegenseitig inspirieren, eine eingeschworene Fan-Community bilden können.