Langenberg. Kirsten Schad ist Allgemeinmedizinerin aus Langenberg. Sie erläutert, warum Geschlechtsunterschiede eine Herausforderung für die Medizin sind.
Schmerzen in der Brust, Schmerzen im Arm – klarer Fall: Hierbei handelt es sich um einen Herzinfarkt. Doch so klar ist der Fall gar nicht, treten diese Symptome doch nur bei Männern auf. Frauen wiederum spüren Schmerz zwischen den Schulterblättern, im Nacken, im Kiefer, haben Schweißausbrüche und/oder leiden unter Übelkeit.
Dass das so ist, ist inzwischen schon bekannter und wird etwa in Erste-Hilfe-Kursen auch so vermittelt. Doch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern stellen die Medizin – Ärztinnen, Ärzte und die Forschung – noch vor ganz andere Herausforderungen.
Psycho-soziale Aspekte beim Praxisbesuch
„Das fängt schon damit an, wer überhaupt den Weg in die Praxis sucht“, sagt Dr. Kirsten Schad. Die Allgemeinmedizinerin betreibt gemeinsam mit Dr. Claudia Wolf ihre Praxis an der Looker Straße. „Es gibt nämlich immer noch viele Männer die dem Bild verhaftet sind: ,Ein Mann darf nicht krank werden.’“ Komme so jemand in die Praxis, fange das Gespräch oft mit dem Satz „Meine Frau hat gesagt, ich soll mal vorbeischauen“ an.
Immerhin: „Dieses Bild ist im Wandel“, sagt die Medizinerin. Eine bewusstere Gesundheitsfürsorge setze sich auch bei Männern nach und nach durch.
Frauen öffnen sich eher
In der persönlichen Interaktion öffnen sich Frauen eher, äußern sich zu ihren Problemen. Vor allem, wenn ihnen auch eine Frau gegenüber sitzt. „Das liegt vielleicht auch daran, dass Frauen es gewohnt sind, regelmäßig zum Arzt zu gehen“, sagt Kirsten Schad. „Spätestens ab dem Zeitpunkt, ab dem sie sich um Verhütung kümmern müssen oder auch schwanger werden, gehen Frauen jährlich zum Gynäkologen.“
Einen weiteren großen Unterschied gebe es zwischen den Geschlechtern, wenn es um die Therapie von Erkrankungen geht. „Männer bagatellisieren ihre Erkrankung gerne und versuchen sich der Therapie mit den notwendigen Kontrollen zu entziehen.“ Da liege es dann an der Ärztin bzw. dem Arzt, Vertrauen aufzubauen.
Unterschiede in den Diagnosen
Doch nicht nur beim Verhalten gibt es Unterschiede. Wie schon eingangs beschrieben, sind bei Erkrankungen die Symptome oft unterschiedlich. Der Herzinfarkt ist da derzeit das vielleicht bekannteste Beispiel.
Depressionen etwa werden bei Frauen doppelt so häufig diagnostiziert, wie bei Männern. Was daran liegen mag, dass Männer vorwiegend die somatische (körperliche) Befindlichkeitsstörung einer Depression in den Vordergrund stellen und die seelische dahinter verborgen bleibt.
„Eine Depression passt nicht ins Selbstbild“
Während Frauen sich in Therapie begeben, greifen Männer zu Drogen und Alkohol. Auch die Suizidrate ist bei Männern drei bis fünf Mal so hoch wie bei Frauen. „Viele Männer lassen es für sich nicht zu, an einer Depression zu leiden. Das passt einfach nicht ins Bild“, erläutert Kirsten Schad.
Da helfe zum Beispiel ein aufmerksamer Partner, der die Veränderungen erkennt und das Thema anspricht. Auch Prominente, die sich öffentlich zu ihrer Depression bekennen – wie zum Beispiel der Kabarettist Torsten Sträter –, sind hilfreich, sagt Kirsten Schad. „Dadurch kann eine Sensibilisierung für die Problematik erreicht werden und hilft auch bei der Akzeptanz. Mann ist nicht allein mit seiner Erkrankung.“
Osteoporose tritt eher bei Frauen auf
Bei „hormonellen Einflüssen“ wiederum sind Frauen eher im Nachteil. „Das Klimakterium zieht körperliche Veränderungen nach sich, die auch zu Krankheiten führen können“, erläutert die Medizinerin. Die Gefahr, an einer Polyarthritis zu erkranken, steigt etwa nach den Wechseljahren, da der Östrogenspiegel sinkt.
Osteoporose tritt in der Menopause ebenfalls eher bei Frauen auf, das Verhältnis liegt hier bei etwa 5:1. „Das birgt aber die Gefahr, dass die Osteoporose bei Männern übersehen wird“, warnt Kirsten Schad. „Bei Frauen denkt man wegen der Häufigkeit wesentlich schneller daran.“
Heikles Thema für Männer
Typische Frauenkrankheiten seien zudem Harnwegsinfektionen und Leiden an der Schilddrüse, Männer wiederum laufen eher Gefahr, einen plötzlichen Herztod zu erleben. Ebenfalls männerspezifisch sind die Gicht und ab dem mittleren bis höheren Lebensalter Erkrankungen der Prostata und erektile Dysfunktion.
„Da müssen wir als Hausärzte oft von uns aus aktiv werden“, erläutert die Langenberger Ärztin. „Wir müssen das Thema sehr sensibel ansprechen, da das Männern in der Regel peinlich ist und sie nicht gerne darüber sprechen.“
Der Männerschnupfen „ist kein Witz“
Und dann gibt es noch ein Thema, sagt Kirsten Schad, das immer wieder Schmunzeln hervorruft – allerdings zu Unrecht: der so genannte Männerschnupfen. „Den gibt es wirklich und das ist auch kein Witz“, sagt die Ärztin.
Das liege daran, dass „Frauen ein besseres Immunsystem als Männer haben.“ Verantwortlich dafür ist nämlich das X-Chromosom, auf dem wichtige Informationen für unser Immunsystem liegen – und Frauen haben zwei davon. „Solange die Östrogenproduktion läuft, ist das Immunsystem der Frau gestärkt.“ Erst nach den Wechseljahren würden auch Frauen anfälliger.
Die Forschung muss umdenken
Nicht nur in den Arztpraxen sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern ein Thema, immer mehr kümmert sich auch die Forschung um diesen Aspekt. Gendermedizin nennt sich das, besonders in den USA, in Kanada und in den skandinavischen Ländern ist die „schon ziemlich weit fortgeschritten“, sagt Dr. Kirsten Schad. Deutschland wiederum sei „eines der Schlusslichter bei dem Thema.“
Doch worum geht es genau? Prototyp der Forschung sei lange der Mann gewesen, erläutert die Medizinerin. „Die Frau hat ja historisch gesehen lange einfach keine Rolle gespielt.“ Noch heute würden Studien im großen Umfang weiterhin mit Männern durchgeführt, daher sind die Ergebnisse auch weiterhin „auf den Mann zugeschnitten.“
Ungeborenes Leben nicht gefährden
Ein Grund dafür: „Man hat Sorge, dass die Frau während der Studie schwanger wird oder vielleicht schon unwissentlich schwanger ist“, sagt Kirsten Schad. „Und niemand will ein ungeborenes Kind gefährden.“ Vor allem seit dem Contergan-Skandal sei die Wissenschaft sehr vorsichtig geworden.
„Man weiß aber inzwischen, dass die Ergebnisse solcher Studien – wenn sie denn überwiegend an Männern durchgeführt werden – nicht übertragbar auf Frauen sind“, erläutert die Medizinerin. „Das ist ein großes Problem für das gesamte Medikamenten-Spektrum.“
Studien anders aufbauen als bisher
Schließlich gebe es nun mal körperliche Unterschiede: Männer haben mehr Muskel-, Frauen mehr Fettgewebe. „Dadurch verläuft die Verstoffwechselung der Medikamente unterschiedlich“, erörtert Kirsten Schad. „Auch ist die Darmpassage bei Frauen deutlich länger als bei Männern und der Abbau der Wirkstoffe von Medikamenten verläuft in der Leber langsamer. Aspekte, die eigentlich berücksichtigt werden müssten.“
Das mag der Grund dafür sein, dass „Nebenwirkungen bei Frauen statistisch gesehen doppelt so häufig auftreten, wie bei Männern.“ Und: „Im Prinzip müssten Medikamentenstudien vom Design her grundsätzlich für Männer und Frauen separat erstellt werden. Und dabei ist die Gruppe ,divers’ noch gar nicht berücksichtigt.“
Da die geschlechterspezifische Ansprechbarkeit von Medikamenten und auch das Nebenwirkungsprofil inzwischen als deutlich unterschiedlich belegt ist, „wird man trotz höherer Kosten zukünftig nicht umhin können, mindestens zwei Studienarme zu untersuchen“.
Männer anfälliger für Corona
Statistisch sind Männer im Allgemeinen anfälliger für Sars-CoV-2, also das aktuelle Coronavirus, erläutert Dr. Kirsten Schad, Allgemeinmedizinerin aus Langenberg.
„Männer haben mehr so genannte ACE2-Zellrezeptoren als Frauen.“ Über diese Rezeptoren dringt das Virus aber in die Zelle ein – hat also bei Männern deutlich mehr Angriffspunkte.
ACE2 steht dabei für den englischen Begriff Angiotensin-converting enzyme 2, übersetzt also Angiotensin-konvertierendes Enzym 2.