Ense. Eines der ersten Windräder wurde 1990 in Ense errichtet. Viele Bürger verdienen heute an der Windkraft mit – Gegenwind kommt allerdings vom Nabu.
Im Elektroauto geht es den Haarstrang hinauf. Natürlich. „Wir sind hier EE-Fans“, sagt Christian Schlösser. EE steht für erneuerbare Energien. Und die haben der mehr als 12.000 Einwohner zählenden Gemeinde Ense in den vergangenen drei Jahrzehnten nicht nur Wohlstand und Arbeitsplätze sondern mittlerweile auch eine gewisse Unabhängigkeit gebracht. Mehr als 100 Millionen Kilowattstunden erzeugen die Alternativen in Ense jedes Jahr, Biogas- und Photovoltaikanlagen eingeschlossen.
Das ist deutlich mehr als das, was Privathaushalte und Gewerbe gemeinsam verbrauchen. Der Überschuss wird ins Netz gespeist, der Gewinn fließt zurück nach Ense. Da war es nur folgerichtig, dass im Jahr 2020 die Ense-Werke gegründet wurden. 74,9 Prozent des Stromnetzes kaufte die Kommune von RWE-Tochter Westnetz zurück. 325.000 Euro Gewerbesteuern pro Jahr nimmt die Gemeinde mittlerweile allein durch die Windkraft ein. „Die Rendite bleibt vor Ort“, sagt Schlösser, dessen Unternehmen mehr als 4500 Windkraftanlagen in ganz Deutschland versichert. Denn mittlerweile ist der windgemachte Strom ein kompliziertes Geschäft geworden.
86 Menschen investieren eine Million D-Mark
Längst sind die Goldgräberzeiten vorbei, in denen Windräder schon bei kleiner Einlage mehr als fünf Prozent Zinsen abwarfen und sich recht einfach mit einer GmbH und Co. KG realisieren ließen. Diese Anfänge in den Neunzigern erklären ein Stück weit, warum es in Ense nie nennenswerten Protest gegen die Errichtung der meist 150 Meter hohen Riesen gab. „Ich war bei der Eröffnung der ersten Anlage dabei, das war damals das zweite in ganz NRW. Mich hat das sofort fasziniert, so etwas wollte ich auch“, erinnert sich Schlösser.
Auch Andreas Düser, damals gerade mit seinem Maschinenbaustudium fertig, brennt schnell für das Thema und besucht an der Fachhochschule Münster Vorträge zum Thema. Wenig später nimmt er einen Job bei Enercon an, bis heute der größte deutsche Hersteller von Windkraftanlagen.
Eine Million D-Mark kostete die erste Windkraftanlage
1992 steigen Schlösser und Düser in die Planung des ersten Bürgerwindparks ein, der auf dem Haarstrang entstehen soll. Sie werben im Ort für ihre Sache. Bei Schützenfesten, der freiwilligen Feuerwehr, dem Kapellenverein. Auf dem Land sind die Wege kurz, man kennt sich. Rund eine Million D-Mark kostete das erste Windrad, 86 Menschen investieren. Die Betreiber kommen zu einem sehr großen Teil aus Ense, bis heute. Das, so glauben Schlösser und Düser, sei auch der Hauptgrund für die Erfolgsgeschichte. Wenn man schon auf die Dinger gucken müsse, dann solle man auch etwas davon haben.
„Hier oben steckt mittlerweile das Geld von 100 Leuten drin“, sagt Schlösser, parkt seinen E-Audi gegenüber einer für alle kostenfreien E-Ladestation am Feldrand und breitet die Arme aus. Bei klarem Wetter reicht der Blick hier oben über Hamm, Unna und einen Teil der Soester Börde bis zum Teutoburger Wald. Topografisch ist der an dieser Stelle 226 Meter hohe Haarstrang wie gemacht für die Windkraft. Selbst im Hochsommer binden die Menschen im angrenzenden Ortsteil Ruhne die Sonnenschirme fest. Irgendein Lüftchen geht eigentlich immer.
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Für Schlösser und Düser folgt aus diesen guten Lagen auch ein Stück weit Verantwortung. „In den Nachkriegsjahren war es das Ruhrgebiet, das uns mit der Kohle die Energie geliefert hat. Es ist Zeit, dass das Land etwas zurückgibt“, sagt Andreas Düser. Aber nicht überall, wo Lage und Besiedlung es eigentlich erlauben würden, ist die Windkraft erwünscht. Düser gibt eines von vielen Beispielen: „Ein Projekt ist derzeit am Sauerländer Rennweg in Warstein in Planung. Als Gegenargument wird immer wieder auf das Naherholungsgebiet verwiesen. Dabei steht an diesem Teil des Rennwegs kaum noch ein Baum, da Borkenkäfer und Stürme den Wald längst zerstört haben. Die Debatten sind oft sehr emotional“, hat Düser beobachtet.
Nabu-Klagen stoppen vielfach Projekte
Allen voran der Naturschutzbund (NABU) NRW überzieht zahlreiche geplante und bestehende Windkraft-Projekte mit Klagen. Für Reiner Busemann, seit 2020 Bürgermeister der Gemeinde Ense, ist der Artenschutz der aufwendigste Teil des gesamten Genehmigungsverfahrens geworden. „Auch wir wollen nicht, dass ein Wildwald an Windrädern entsteht. Allein durch das geplante Repowering werden es aber ohnehin viel weniger Anlagen in den nächsten Jahren. Mittlerweile ist das Thema Artenschutz ein echter Hemmschuh für die gesamte Entwicklung“, mahnt Busemann.
Repowering ist das, was auch Düser und Schlösser im Windpark auf der Haar vorhaben. Eine weitere, leistungsstärkere Anlage soll drei in die Jahre gekommene Windräder ersetzen, allerdings an leicht versetzter Stelle – auf dem gegenüberliegenden Feld. Da etliche Gebiete der Gemeinde Ense seit 2003 Vogelschutzgebiet sind, bremsen die Naturschützer das Vorhaben bis heute aus – ungeachtet der dort bereits laufenden Anlagen.
„In diesem Teilraum kommen mehrere windkraftsensible Arten wie Wiesenweihe und Mornellregenpfeifer sowie durchziehende Vögel und Fledermäuse vor. Darüber hinaus war die Anlage im Rahmen des Repowerings deutlich größer, was zu einer stärkeren Lebensraumbeschneidung durch Meideverhalten der betroffenen Arten, bzw. durch eine größere Rotorfläche zu einem höheren Kollisionsrisiko führen würde“, argumentiert Joachim Drüke von der Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz in Soest (ABU).
„Wir werden nicht über jedes einzelne Individuum verhandeln können“
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Im Mai 2021 veröffentlichte der NABU NRW eine neue Windkraftposition. „Kern des Papiers: Der Klimaschutz ist kein Selbstzweck, sondern dient, wie der Arten- und Naturschutz, dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen unseres Planeten“, heißt es auf der Website. Während der Nabu die Position vertritt, das jedes einzelne Individuum zu schützen sei, beispielsweise ein nistendes Greifvogelpaar, ist Schlösser anderer Meinung: „Wir werden nicht über ein einzelnes Individuum verhandeln können, wenn wir den Klimaschutz und die Energiewende ernsthaft vorantreiben wollen.“
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Dass Windräder eine ernsthafte Bedrohung der Arten sind, glauben Schlösser und Düser – beide auf einem Bauernhof aufgewachsen – nicht. Die Population des in Ense beheimateten und zeitweise fast ausgestorbenen Rotmilans hat sich mittlerweile trotz Windkraft sehr gut erholt. Die Zahl der Revierpaare verdoppelte sich zwischen 2002 und 2012 sogar. Natürlich komme es vor dass junge Greifvögel Opfer der Flügel werden. „Das ist nach unserer Beobachtung aber sehr selten. Zum Vergleich: Durch Autos und Züge sterben bis zu 70 Millionen Vögel im Jahr, bei Windrädern wird die Zahl auf 100.000 geschätzt.“ Hier argumentieren Naturschützer hingegen, dass Windräder vielfach seltenere Arten wie Greifvögel gefährdeten, deren Bestände etwa durch die Landwirtschaft ohnehin schon bedroht seien. Dazu zählten in Ense auch der Rotmilan und die Wiesenweihe. Die Rotmilan-Bestände seien keinesfalls gesichert.
Sowohl der Naturschutzbund Nabu als auch die für den Kreis Soest zuständige Arbeitsgemeinschaft Biologischer Umweltschutz (ABU) würde die Themen Windenergie und Artenschutz gern gemeinsam auf Ebene der Regierungsbezirke ansiedeln. „Dadurch könnte eine räumliche Steuerung erreicht und für den Artenschutz besonders bedeutsame Bereiche von Windenergieanlagen freigehalten werden“, so Joachim Drüke (ABU) auf Anfrage.
Grundsätzlich hätten Maßnahmen zum Schutz des Klimas und zur Erhaltung der Artenvielfalt für die Naturschützer „einen gleichwertigen Rang“. Dass NABU und ABU grundsätzlich gegen Windkraft seien, weist Drüke zurück: „In einigen Fällen hätten längere Konflikte vermieden werden können, wenn sich die Projektierer von vornherein an geltende Fachstandards bei der Kartierung der Artvorkommen und der Konzeption wirksamer Artenschutzmaßnahmen gehalten hätten“, argumentiert Drüke.
Bei den Abstandsflächen dürfen die Kommunen mitreden
Düser und Schlösser wollen trotz teils langwieriger Verfahren weiter machen, sie haben Erfahrung darin, Steine aus dem Weg zu räumen. Bürgermeister Reiner Busemann unterstützt sie, machte sich in Düsseldorf etwa dafür stark, dass die Kommune bei den Abstandsflächen mitreden darf.
Im vergangenen Jahr war das umstrittene NRW-Gesetz in Kraft getreten, wonach zwischen Windrad und Wohnbebauung mindestens 1000 Meter Abstand liegen müssen. „Hätte es das Gesetz vor 30 Jahren schon gegeben“, sagt Düser, „würde in Ense heute kaum ein Windrad stehen.“
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