Düsseldorf. Anwohnerklagen, Artenschutz, Abstandsvorgaben und militärische Belange: Viele Windkraft-Projekte werden gestoppt oder scheitern – auch in NRW.
Neue Windräder an Rhein und Ruhr sind selten geworden. Gerade einmal 45 neue Windräder gingen in NRW im vergangenen Jahr in Betrieb – mit einer Leistung von zusammen 151 Megawatt. Zum Vergleich: Das umstrittene Uniper-Steinkohlekraftwerk in Datteln kommt auf ein Vielfaches: 1100 Megawatt. Von einem „massiven Einbruch des Windenergieausbaus“ spricht Landeswirtschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP), dieser sei aber „kein NRW-spezifisches Phänomen“.
Wie der Bundesverband Windenergie (BWE) berichtet, lag Nordrhein-Westfalen mit den 45 Anlagen im vergangenen Jahr bundesweit auf Platz drei – nach Brandenburg und Niedersachsen mit 73 beziehungsweise 51 neuen Windrädern. Im flächenmäßig größten Bundesland Bayern gab es den Angaben zufolge lediglich sechs neue Anlagen.
Die Gründe für den Rückgang sind vielschichtig. Mancherorts fehlen Flächen oder Genehmigungen für Bauprojekte. Hinzu kommt, dass sich die Klagen gegen Windräder häufen. Allein in NRW gibt es derzeit nach Kenntnis des Wirtschaftsministeriums Klagen gegen 58 Windkraftanlagen mit einer Leistung von insgesamt rund 190 Megawatt – das entspreche mehr als 19 Prozent aller beklagten Anlagen in Deutschland.
Streit in NRW um 1500 Meter Mindestabstand zu Wohngebieten
Insbesondere im neuen Landesentwicklungsplan sieht der Landesverband Erneuerbare Energien NRW (LEE) ein Problem. Demnach soll es in NRW einen pauschalen Mindestabstand der Windräder zu Wohngebieten von 1500 Metern geben. „Die viel diskutierten und teils absurden Mindestabstände – selbst für Außenbereiche und zu kleinsten Splittersiedlungen – erzeugen keine Akzeptanz, sondern verringern die eigentlich zur Verfügung stehende Fläche bedeutend“, kritisiert Klaus Schulze Langenhorst, Vorstandsmitglied des Landesverbands Erneuerbare Energien NRW. „Hierdurch werden Anlagen verhindert.“
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Die Landesregierung habe mit den Vorgaben „in der Branche und in den Kommunen massive Verunsicherung“ ausgelöst, auch wenn die Empfehlung für einen 1500-Meter-Mindestabstand im Landesentwicklungsplan keine verbindliche Gesetzgebung sei, kritisiert der LEE. Das politische Signal der Landesregierung habe dazu geführt, dass kaum noch Windparks geplant würden.
RWE fordert „Anschaltmentalität“
Die Bundesregierung hat angekündigt, einen 1000-Meter-Mindestabstand zwischen Windrädern und Wohngebieten bundesrechtlich einzuführen. Im Moment ist noch nicht erkennbar, wie der Bund die Beschlüsse umsetzen wird. Im aktuell vorgelegten Kohlausstiegsgesetz seien keine Regelungen für einen Mindestabstand von Windrädern zu Wohnhäusern enthalten, wird im NRW-Wirtschaftsministerium betont. Damit befasst sich eine Arbeitsgruppe auf Bundesebene, die bis Ende März Ergebnisse erarbeiten soll.
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„Aus Sicht eines Projektentwicklers dauern – auch durch Klagen – Genehmigungsverfahren zu lange“, sagt die Chefin der RWE-Ökostromsparte, Anja-Isabel Dotzenrath. „Die Abwägung zwischen Natur- und Klimaschutz ist eine politische Frage, die eine Antwort auf nationaler Ebene benötigt.“ Ziel müsse es sein, von einer „Abschalt- zu einer Anschaltmentalität“ zu kommen.
Pinkwart verweist auf „militärische Belange“
Verbände wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) machen ebenfalls Druck. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner lehnt „pauschale Abstandsregeln“ ab. Auch der LEE spricht sich für ein „Modell der Einzelfallprüfungen“ aus, wie es auf Bundesebene bereits geltende Gesetzeslage sei. Jede zu errichtende Windenergieanlage benötige ohnehin eine Genehmigung, die aufwändige Gutachten berücksichtige – etwa zur Veränderung des Landschaftsbildes, zu Auswirkungen auf Pflanzen und Tiere sowie zum Schattenwurf oder der Geräuschentwicklung.
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Dass Pläne für den Bau von Windrädern scheitern, hat auch mit Vorgaben für den Abstand der Anlagen zu sogenannten Drehfunkfeuern für die Luftfahrt und das Militär zu tun. Allein im Umkreis des Drehfunkfeuers Nörvenich bei Düren können daher nach Angaben des NRW-Wirtschaftsministeriums Anlagen mit fast 700 Megawatt Leistung nicht gebaut werden. Insgesamt werden demnach in Nordrhein-Westfalen 1273 Megawatt durch Drehfunkfeuer blockiert. Bundesweit seien insgesamt 900 Windkraftanlagen mit 3600 Megawatt betroffen. „Militärische Belange bei der Luftraumnutzung verhindern, dass eine Vielzahl von Windenergieanlagen in Nordrhein-Westfalen realisiert werden können“, konstatiert Minister Pinkwart.
Uhu, Rotmilan, Schwarzstorch – Artenschutz bremst Windkraft aus
Der Ausbau der Windenenergie in Deutschland scheitert häufig auch am Widerstand von Bürgerinitiativen. Diese führen mitunter die Bedeutsamkeit des Schutzes von Vogelarten wie Uhu, Rotmilan, Schwarzstorch oder Seeadler an.
Nach Berechnungen des Verbands LEE NRW wäre jährlich ein Neubau von etwa 175 Windenergieanlagen mit rund 700 Megawatt Gesamtleistung notwendig, damit die Landesregierung die Klima- und Energiewendeziele der Bundesregierung erreicht. Angestrebt ist demnach bis zum Jahr 2030 ein Anteil der erneuerbaren Energien am Stromverbrauch in Höhe von 65 Prozent. Aktuell verfügten die Erneuerbaren in NRW aber nur über einen Anteil von etwas mehr als 16 Prozent, die Hälfte davon sei Windenergie.
„Die selbstgesteckten CO2-Reduktionsziele der Bundes- und Landesregierung für das Jahr 2030 und darüber hinaus drohen verpasst zu werden, sofern nicht umgehend gegengesteuert wird“, mahnt LEE-Vorstandsmitglied Klaus Schulze Langenhorst, der Inhaber des Gladbecker Unternehmens SL Naturenergie ist.
„Wenige lautstarke, aber gut organisierte Windkraftgegner“
Auch Udo Sieverding, Energieexperte der Verbraucherzentrale NRW, zeigt sich besorgt. „Nach dem Atom- und Kohleausstieg ist unbestritten, dass wir alle zur Verfügung stehenden Erneuerbaren rasant ausbauen müssen, um Versorgungssicherheit und bezahlbare Strompreise für Wirtschaft und Verbraucher sicherstellen zu können“, sagt Sieverding. „Windkraft an Land ist dabei unverzichtbar. Dass es wenige lautstarke, aber gut organisierte Windkraftgegner geschafft haben, den Ausbau quasi lahm zu legen und die Politik zu verunsichern, betrachte ich mit großer Sorge.“
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Um die Akzeptanz für Windräder zu erhöhen, regt Grünen-Bundestagsfraktionsvize Oliver Krischer eine Abgabe der Betreiberfirmen an die Kommunen an. Für neue Standorte schlägt Krischer rund 10.000 Euro pro Anlage und Jahr vor. Auch SPD-Bundestagsfraktionsvize Matthias Miersch hat „finanzielle Anreize“ für Bürger angeregt, die in der Nähe von Windrädern leben. Neben einem solchen „Windbürgergeld“, also direkten Geldflüssen für die Anwohner, sei auch eine Beteiligung der Kommunen am Umsatz von Windparks denkbar. RWE-Managerin Dotzenrath zeigt sich grundsätzlich offen für Beteiligungsmodelle: „Kommunen an Projekten finanziell partizipieren zu lassen, ist ein guter Weg.“