Menden. Mitten in Menden eröffnen Reichsbürger eine „Botschaft“, nicht nur Corona-Regeln sind ausgesetzt, organisiert via Telegram. Das steckt dahinter.
Mitten im beschaulichen Menden hat eine Organisation, die der Verfassungsschutz der Reichsbürger-Szene zuordnet, eine Dependance eröffnet. Mit der Gemeinwohlkasse will das „Königreich Deutschland“ (KRD) im gesamten Bundesgebiet Fuß fassen und die umstürzlerische Idee eines Staates im Staate vorantreiben.
Die Werbung
Im Sauerland hat ein kleines, versicherungsähnliches Geschäft eröffnet. Die Gemeinwohlkasse. Doch dabei handelt es sich nicht etwa um ein zusätzliches Angebot für Versicherte oder eine Bank. Es ist eine Filiale, die Behörden einer Organisation der Reichsbürgerszene zuordnen. Wer das Geschäft betritt, befindet sich vermeintlich nicht mehr in der Bundesrepublik, sondern ist zeitweise Teil des „Königreichs Deutschland“ (KRD). Inhaber ist der Fröndenberger Patrick Hyrynko, der seit Monaten über den Kurznachrichtendienst Telegram für das KRD wirbt. Das verspricht „autonomere“ Strukturen, eine neue Gemeinschaftsordnung, keine Abgaben an ein Finanzamt und die Vernetzung mit Gleichgesinnten. „Bei uns gibt es ein Vermummungsverbot, das heißt, du kommst mit Maske nicht rein. Bei uns gelten Coronaregeln nicht, wir sind praktisch wie eine Botschaft“, erklärt Hyrynko über Telegram. Als Reichsbürger sieht er sich selbst aber nicht.
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Bereits im September 2020 nimmt der Fröndenberger mutmaßlich an einem Seminar in Lutherstadt Wittenberg, dem Gründungsort des KRD, teil. Ein Instagram-Posting zeigt ihn vermeintlich in einem weißen T-Shirt in der ersten Reihe, vor ihm hält der „König“ einen Vortrag. Oberhaupt des Fantasie-Staates ist Peter Fitzek, der sich selbst „Menschensohn“ nennt.
Das „Königreich“
Doch wie sieht das von Peter Fitzek ausgerufene „Königreich“ eigentlich aus? Unterschieden wird zunächst zwischen Staatszugehörigkeit und Staatsangehörigkeit. 397 E-Mark, eine selbst gewählte Währung, fallen für einen Antrag zur Staatsangehörigkeit an – wenn man in einer Mail ans Meldeamt des KRD „ausführlich“ begründet, warum man ins „Königreich“ wechseln möchte. Im KRD wird derweil zwischen Staatsvolk, Staatsbürger und Deme unterschieden. Um Staatsbürger oder Deme zu werden, bedarf es Prüfungen zur „Verfassung“ in Form eines Multiple-Choice-Tests und eines Wohnsitzes im „Staatsgebiet“.
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Betritt man eine Filiale des KRD, befindet man sich angeblich in deren Hoheitsgebiet, „ähnlich wie bei einem Konsulat“, hatte der Fröndenberger erklärt. Dazu zähle auch, dass man unter die Gerichtsbarkeit des KRD falle. Im Königreich ist auch ein Verfassungsgericht vorgesehen. „Jeder Bürger des Staates kann wohlbegründet das Verfassungsgericht anrufen, wenn er sich in seinen Verfassungsrechten verletzt fühlt“, heißt es dazu. Geschaffen wurde das Gericht bislang nicht. Zudem soll es ein Reichsstandgericht geben, das bei kleineren Geldstrafen urteilt, bei „besonderer Eilbedürftigkeit“ – oder aber, um „Bedrohungen für das KRD zu eliminieren“.
Administrative Aufgaben für den König und den Staatsrat – der seinerseits Bezirks-, Regional- sowie Stadt- und Gemeinderäte entsendet – übernimmt die Staatskanzlei. Der Staatsrat soll zudem Bildungsministerien wie auch das Königliche Schatzamt besetzen. Im Schatzamt laufen die Fäden von vermeintlicher Krankenkasse (Deutsche Heilfürsorge) oder der Reichsbank (Gemeinwohlkasse) zusammen. Getauscht werden Euro gegen E-Mark. Gezahlt wird mit der E-Mark etwa beim hauseigenen und Amazon-ähnlichen Kadari-Markt oder bei Kadari-Kleinanzeigen (Kadari steht für „Kauf das Richtige“). Dort bieten Händler Kräutermischungen, Cashewquark, Ionisches Germanium, aber auch Gartengeräte oder Seifenhalter an. Ein Rücktausch – E-Mark gegen Euro – kommt nicht in Frage.
Die Masche
Die Selbstverwalter oder Reichsbürger, wie sie vom Verfassungsschutz eingeordnet werden, erkennen die Rechtmäßigkeit der Bundesrepublik nicht an. Das wird auch in Menden deutlich. „Zutritt nur für Zugehörige des Königreichs Deutschland“, prangt an der Tür der Gemeinwohlkasse am Neumarkt. Ein Blick auf den Auftritt in sozialen Netzwerken, Internetseiten und interne Dokumente zeigt, dass die Verbindung zum „Königreich Deutschland“ lediglich vage angeschnitten werden, in offiziellen Anfragen steht es nicht einmal zur Debatte. So ist in Menden zunächst von einem „Projekt- und Finanzbüro“ die Rede, mit dem „der Aufbau alternativer Strukturen und gemeinwohlorientierter Projekte in der Region“ ermöglicht werden solle. Man wolle „das Kapital der Menschen sichern und damit Sachwerte schaffen“, heißt es. Als Beispiele nennt der Fröndenberger Bio-Lebensmittelläden, Unverpacktläden, einen Holzbetrieb oder ein „autarkes Dorfprojekt“. Die Wahl Neumarkt kommt dabei nicht von ungefähr. Ziel war es, ein möglichst zentral gelegenes Ladenlokal anzumieten, um „möglichst viele Menschen abzuholen“.
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Die Gemeinwohlkasse tritt offiziell jedoch nicht als Unternehmen, sondern als eingetragener Verein mit Sitz in Leipzig auf. Den Förderverein Gemeinwohlökonomie gibt es seit November 2020. Seit 2014 treten der selbst ernannte „König von Deutschland“, Peter Fitzek, sowie die Inhaber der Ladenlokale immer wieder mit wechselnden Bezeichnungen auf. So ist die Kooperationskasse zur Königlichen Reichsbank geworden und später dann zur GK Gemeinwohlkasse. Beobachter der Szene beschreiben das Wechseln auch mit einem Umdenken im Geschäftsbetrieb. Vom reinen Kreditinstitut hin zur Umverteilung der Mittel für eigene Zwecke. „Insgesamt handelt es sich bei dem beschriebenen Geschäftsmodell um den Versuch, Einnahmen zu generieren, um weitere Projekte der ,Reichsbürger’- und ,Selbstverwalter’-Gruppierung zu finanzieren und zu fördern“, erklärt das Bundesamt für Verfassungsschutz dazu auf Anfrage unserer Sonntagszeitung.
Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) warnt vor derartigen Geschäftsmodellen und vergleichbaren Filialen der Gemeinwohlkasse. Bereits im März 2021 hat die BaFin versucht, in einem ähnlichen Fall in Ulm dem Geschäft einen Riegel vorzuschieben. Dort hatte ein Mann für den selbst ernannten König unerlaubte Bank- und Versicherungsgeschäfte abgewickelt. „Herr Fitzek nimmt derzeit unter der Firma ,GK GemeinwohlKasse’ erneut Gelder aus dem Publikum an und verspricht, die Gelder später zurückzuzahlen“, teilte die BaFin dazu mit. Doch eine Zulassung nach dem Kreditwesengesetz hat Fitzek bis heute nicht. Im Februar 2017 war Fitzek vom Landgericht Halle zudem wegen Untreue und unerlaubtem Betreibens von Bankgeschäften zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und acht Monaten verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof (BGH) gab später einer Revision statt, da er vor allem bei den Bankgeschäften noch Aufklärungsbedarf sah. In sozialen Netzwerken argumentieren Fitzeks Sympathisanten seither, der BGH habe das Geschäftsmodell als rechtskräftig erklärt. So auch Patrick Hyrynko. Man falle nicht unter das Kreditwesengesetz, weil sich das Angebot nicht an die breite Öffentlichkeit richte, sondern nur an Vereinsmitglieder, so der Fröndenberger. „Es sind Gestaltungsspielräume“, sagt Hyrynko im Gespräch mit unserer Redaktion.
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Der Gegenwind
Doch ganz unbehelligt kann sich das KRD derzeit nicht fühlen. Das Hacker-Kollektiv Anonymous hat das „Königreich“ inzwischen ins Visier genommen und in den vergangenen Wochen immer wieder Internetseiten und Server lahm gelegt. Aus einem Hack im Mai liegen derzeit über 20 Gigabyte Daten vor. Doch damit nicht genug. Bei einer weiteren Cyberattacke im Juli 2021 konnten die Aktivisten eigenen Angaben zufolge sämtliche Systeme übernehmen und eine digitale Kopie des „Königreichs“ sichern. Dadurch sind inzwischen auch Verbindungen zwischen der Querdenken-Bewegung um einen hochrangigen Vertreter und dem „Königreich“ öffentlich geworden. So ist inzwischen klar, dass dieser noch vor einem zunächst geheim gehaltenen Treffen im November 2020, bei dem er seinen Anhänger die KRD-Idee zunächst vorstellen wollte, ein Konto bei der Gemeinwohlkasse eröffnete.
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Gefährliche Mischung
In NRW gibt es laut Verfassungsschutz etwa 3200 sogenannte Reichsbürger. Ihre Zahl verharre damit auf hohem Niveau, so Innenminister Herbert Reul (CDU) Anfang des Jahres. „Das ist keine Entwarnung, ganz im Gegenteil: Reichsbürger sind eine gefährliche Melange aus Rechtsextremisten, Verschwörungsideologen und renitenten Staatsleugnern. Teile der Szene schrecken selbst vor Gewalt nicht zurück“, sagte Reul. Auch bei den Demonstrationen der „Querdenken“-Initiative seien Reichsbürger dabei. Im vergangenen Jahr hatte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erstmals eine Reichsbürger-Gruppierung verboten, die „Geeinten deutschen Völker und Stämme“, die auch in NRW aktiv waren.
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