Duisburg. In dieser Gemeinde wird bald ein Wunder geschehen: Bei der Jugendkirche Tabgha in Duisburg bleibt die Osterbotschaft aber nicht auf der Strecke.
Mit dem Kaffee in die Kirche – wäre ja eine Sünde, wenn der kalt würde oder gar weggeschüttet! Das Getränk bleibt heiß, denn diese Kirche ist cool. Weil es eine Jugendkirche ist, eine der wenigen in Deutschland, und weil sie nicht so rüberkommt, wie eine dieser Nachwuchsorganisationen von Parteien, die das Gegenteil von locker sind.
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„Wir versuchen nicht zu wissen, was Jugendliche wollen. Wir fragen sie“, erklärt Stephan Markgraf. Der 47-Jährige ist hier in Duisburg der Pastor und wirkt selbst in seinem Hoodie nicht peinlich. Der Kapuzenpullover trägt seinen Vornamen und die Farben von Tabgha: orange Bömmelkes auf grauem Grund, der nach dem Pantone-Farbsystem „coolgrey“ heißt. Noch Fragen? Das alte Logo… Verbannt mit dem restlichen Muff aus zwanzig Jahren. So „lange“ gibt es die Kirche für junge Menschen schon, „das sind immerhin vier Generationen“, so Markgraf. In Zielgruppen gerechnet, die von 14 bis 27 Jahren reicht. Mit 35 fliegt man jetzt auch nicht direkt raus, aber ein Graus waren ihm immer schon die Ü 30-Gottesdienste, in denen nur 50- bis 60-Jährige saßen. Sonntags um 18 Uhr – außer in den Sommerferien, „da kommt ja eh keiner“ – wird hier gepredigt; übrigens auch von Frauen, gemeinsam vorbereitet mit den Jugendlichen.
Keine fromme Sülze erzählen und nicht scheiße aussehen
Dann wird da nämlich auch „keine fromme Sülze“ erzählt, wie Markgraf sagt. Es müsse schon echt sein, „es geht um die Lebenswirklichkeit.“ Und die hängt diesen Vielleicht-Zeiten ja ganz schön schief. Das Vage dieser Tage ist auch Leitmotiv der digitalen Fastentage: „Vielleicht kannst Du bald wieder shoppen gehen, vielleicht wirst Du schon bald wieder Freunde treffen, vielleicht wird Vieles leichter.“ Sicher ist die bloß die virtuelle Übertragung der Osternacht-Andacht am heutigen Samstag um 21 Uhr (anmelden bis 18 Uhr, der Link kommt per Mail spätestens eine halbe Stunde vor dem Gottesdienst).
Überhaupt konnte sich jeder, der auf der Suche ist, seit Aschermittwoch Tag für Tag einen Gedankenanstoß zusenden lassen – ein Lied etwa oder ein Video von Josh. Hinter „Heaven on line“ steckt ein achtköpfiges Team vom Bistum Essen. Silbermond und Pur, da kommen jetzt direkt so ein bisschen Kirchentagsgefühle auf, sind auch in Gottes Playlist. „Hells Bells“ weniger. Aber um das richtig zu rocken, braucht es natürlich eine entsprechende Anlage. Musik und Licht, das ist bei Tabgha – zumindest in der Planung – modernste Veranstaltungstechnik.
„Ästhetik spielt eine wichtige Rolle“, sagt nämlich Stefan Markgraf und erinnert an jene gummibaumige, holzvertäfelte Pfarrheim-Atmo, bei der man den faden Geruch von Langeweile gleich mit zu verströmen glaubt. „Die Jugendlichen wollen sich nicht schämen für den Ort, wo sie sind – sie wollen ihn lieber posten.“ Dafür Like-Herzchen, auch von Professor Matthias Sellmann, Gründer und Leiter des Zentrums für angewandte Pastoralforschung, bei dem Markgraf einst selbst studiert hat. Der Bochumer sagt – Kruzifix, jetzt wird’s doch einmal etwas unchristlich – dass „Kirche nicht scheiße aussehen darf“.
Im Moment sieht sie lediglich noch etwas unfertig, unaufgeräumt aus, die St. Joseph-Kirche am Dellplatz in Duisburg, mit Umzugskartons (ganz weltlich auch von Ikea) im Refektorium. Und passend dazu dem lichten Leitmotiv „Die Routine der Wahrnehmung brechen“. Denn Baustelle bedeutet immer auch Bewegung, hier tut sich was. „Das Kirchenraumkonzept bedeutet“, erklärt Hirte Markgraf mit Blick auf seine erlebnisorientierten Schäfchen, „dass alles stattfinden darf“.
Mal ganz profan angefangen: kein Hutverbot mehr, das heißt, Käppis sind erlaubt, „weil sie für viele Jugendliche einfach zur Persönlichkeit gehören“. Und um niemanden zu verlieren auf dem Weg, können alle direkt drinnen bleiben. Ein Kirchen-Café ist dafür vorgesehen, dazu eine moderne Sanitäranlage, und wenn’s spitze läuft, folgt noch ein Kletterparcours. In der Kirche? Ja, in der Kirche, geradewegs auf dem Kreuzweg gewissermaßen, so weit es der Denkmalschutz erlaubt.
Und die Finanzierung natürlich. Für die Boulderwand sollten zunächst eine Fundraisingaktion und Flyer werben, „aber dann haben Joko und Klaas vor Weihnachten gezeigt, wie es im Lager Moria aussieht, wo die Flüchtlinge hungern, frieren und kein Wasser haben – da fanden wir das erstmal nicht mehr angemessen“, sagt Markgraf. Pro7 als Prophet, wer hätte es gedacht?
In der Programmreihe „Gottesdienst, der satt macht“, vier Mal im Jahr, war auch schon ein Moslem zu Gast mit dem Dönerspieß. „Das hat noch tagelang geduftet!“ Wenn Markgraf beschreibt, wie die Tische aneinander geschoben wurden zum gemeinsamen Gebet, dann nutzt er dabei nicht etwa das Bild des Letzten Abendmahls. Sondern „wie damals beim Stillleben auf der A40.“
Übrigens: Die Jugend teilt sich die Kirche (und die Heizkosten) mit der eingesessenen Gemeinde. „Die werden sich noch wundern“, lacht der Punk-Pfarrer – und meint es im Sinne einer positiven Überraschung. Wie seinerzeit, als vor dem Altar, ja, ein Escape Room aufgebaut wurde.
Auch die Sitzsäcke, ebenfalls in den Farben von Tabgha gehalten, sind noch eingetütet, und auch bei ihnen sticht die Funktion die Form: „einfach mal zum Runterkommen!“
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Während Stefan Markgraf vor dem Haus des Allmächtigen steht und die Sonne voll der Gnaden auf die geöffneten Portale scheint („wenn Kirche was kann, dann Zeremonie“), nutzen doch einige Passanten die Gelegenheit zum Blick hinein. Neugierde oder innere Einkehr, das ist gar nicht so ausschlaggebend. „Wir wollen eine Bühne sein für Begegnung.“ Das geht natürlich auch im Pfarrhaus direkt daneben mit dem Hogwarts’schem Giebel, wo der Oberhausener mittlerweile wohnt. „In dem Industriegebiet in Buschhausen vorher hatten wir keinen Kundenkontakt“, preist er den Vorzug des Umzugs.
Was alles schlecht und schlimm ist in der obersten Organisation, das weiß er nicht nur, das spricht er auch klar an: „Wir erleben die Welt zwischen Gut und Böse. Dass da Obhut ausgenutzt wird, darf nicht sein. Da werden Seelen kaputtgemacht – für immer.“ Dass Frauen mehr Stimme bekommen müssten, steht für ihn ebenfalls außer Frage. Die Katholiken verweisen dabei gern auf die Heilige Schrift. „Die evangelische Kirche bezieht sich aber auf die gleiche Bibel. Interessant, was geht...“ Und die von vielen aufgeschlosseneren Zeitgenossen als unsäglich empfundene Verweigerung des Segens für Homo-Partnerschaften? „Unpassend. Als ob Rom nicht Wichtigeres zu klären hätte.“ Nun denkt er über eine Regenbogenfahne vor der Kirche nach. Der gelernte Goldschmied hat seinen Traumberuf gefunden.
Am Ende zählt nämlich immer die Botschaft, erst recht zu Ostern. Dazu zitiert Stefan Markgraf die jüdische Schriftstellerin Hilde Domin aus einer dunklen Zeit: „Ich setzte den Fuß in die Luft – und sie trug.“
Biblische Überlieferung
Tabgha ist eine christliche Pilgerstätte am See Genezareth in Galiläa (Israel), auch als Ort der Brotvermehrung bekannt. Nach biblischer Überlieferung – Matthäus 14, 13-21 im Neuen Testament – soll Jesus mit fünf Broten und zwei Fischen 5000 Männer sowie Frauen und Kinder gespeist haben: „Und er nahm die fünf Brote und die zwei Fische, blickte zum Himmel auf, sprach den Lobpreis, brach die Brote und gab sie den Jüngern; die Jünger aber gaben sie den Leuten und alle aßen und wurden satt.“).