Bochum. Millionen Teenager sind von Cybermobbing betroffen. Laut einer aktuellen Studie werden die Täter immer hemmungsloser. Hier finden Opfer Hilfe.

Leonard zögert kurz, als sie ihm auf Whatsapp schreibt: „Du kannst mir doch vertrauen, schick mal ein Nacktbild von dir!“ Dann klickt der 15-Jährige auf „Senden“. Eine folgenschwere Entscheidung.

Das eigene Nacktfoto geht in der ganzen Schule herum, unter dem Instagrambild steht „Du bist so hässlich“ und ständig ploppen auf dem Handy Hassnachricht auf – immer mehr Kinder und Jugendliche wie Leonard werden Opfer von Cybermobbing.

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„Bei uns in der Schule gab es immer wieder Fälle, meistens hat es die Mädchen getroffen“, erinnert sich auch Julia Liebe. Gemeinsam mit anderen Jugendlichen der anonymen Onlineberatung Juuuport hilft die Bochumer Studentin ehrenamtlich Teenagern, die im Internet schikaniert werden.

Cybermobbing – seit 2017 um 36 Prozent gestiegen

„Betroffene melden sich, wenn Mobbing in der Schule ins Cybermobbing übergeht, sie über Whatsapp gedemütigt werden oder aus der Klassengruppe entfernt werden“, erklärt die 21-Jährige.

„Sehr viele Anfragen kommen von 14- oder 15-Jährigen, von denen Nacktbilder verbreitet werden“, so Julia Liebe. Auch nachbearbeitete Porno-Videos, in die der Kopf eines Mobbing-Opfers hineinmontiert wurde, kommen immer häufiger vor.

Schikane in sozialen Medien nimmt zu, besonders in der Coronakrise – das zeigen die Ergebnisse einer Studie des Bündnisses gegen Cybermobbing. „Die Zahlen sind von 2017 bis 2020 um 36 Prozent gestiegen“, sagt Uwe Leest, Vorstandsvorsitzender des Bündnisses, „Das macht in absoluten Zahlen fast zwei Millionen Schülerinnen und Schüler in Deutschland aus, die von Cybermobbing betroffen sind.“

25 Prozent der Cybermobbing-Opfer hat Suizidgedanken

Auch immer mehr Grundschüler fänden sich unter den Tätern und Opfern. „Kleine Kinder, kleine Sünden – große Kinder, große Sünden“, so Leest, „14- bis 16-Jährige bedrohen ihre Opfer auch mit Leib und Leben. Die Studie zeigt, dass die Täter immer hemmungsloser werden und intensiver ihre Opfer drangsalieren.“

Cybermobbing- Opferzahlen steigen an

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    Für den Vorsitzenden des Bündnisses gegen Cybermobbing sind insbesondere die Folgen für die Betroffenen alarmierend: Viele würden sich ritzen, zu Alkohol oder Tabletten greifen. „Mittlerweile haben schon 25 Prozent der Betroffenen einmal daran gedacht, sich das Leben zu nehmen. Das muss uns als Gesellschaft wachrütteln“, mahnt Leest.

    „Das Perfide am Cybermobbing: Täter sehen die Auswirkungen nicht“

    Cybermobbing sei für die Täter leicht, der Kleine könne den Großen mobben, der Einzelne die Gruppe. „Wenn man früher auf dem Schulhof jemandem ein Bein gestellt hat, dachte man ,Oh, der weint! Jetzt hör ich mal auf’“, so Leest, „Aber die Tränen, die im Internet geweint werden, sieht man ja nicht. Das ist das Perfide am Cybermobbing – und dazu kommt, alle können dabei zugucken.“

    Was tun gegen Cybermobbing?

    Eltern sollten frühzeitig mit ihren Kindern über die Möglichkeiten und Risiken des Internets sprechen.

    Mobbing-Anzeichen können psychische Veränderungen oder Wutanfälle sein.

    Hilfe bieten anonyme Plattformen wie Juuuport.

    Geschulte Jugendliche beraten Betroffene mit Unterstützung von Psychologen, Rechtsanwälten und Medienpädagogen.

    Das Bündnis setzt sich für ein Cybermobbinggesetz ein. „Es müssen Sanktionen her. Wenn ein Täter nicht für dafür bestraft wird, dann wird er ein Langzeittäter, das zeigt unsere Studie deutlich,“ sagt Uwe Leest. Ein solches Gesetz könne wie ein „rotes Stoppschild“ wirken, denn viele Täter hätten kein Unrechtsbewusstsein und auch Betroffene von Internet-Schikane wüssten oft nicht, dass ihnen eine Straftat angetan wird.

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    Aus diesem Grund sei neben der präventiven Arbeit mit Grundschülern, die Schulung von Eltern und Lehrer sowie die Hilfe für Betroffene essenziell im Kampf gegen Cybermobbing.

    Die Bochumer Studentin Julia Liebe berät schon seit 2016 Betroffene von Cybermobbing. Schon in der Schule engagierte sie sich als Mediatorin und ließ sich im Bereich Onlineberatung ausbilden.
    Die Bochumer Studentin Julia Liebe berät schon seit 2016 Betroffene von Cybermobbing. Schon in der Schule engagierte sie sich als Mediatorin und ließ sich im Bereich Onlineberatung ausbilden. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

    Ehrenamtliche Beraterinnen wie Julia Liebe erhalten in Coronazeiten deutlich mehr Anfragen – zum einen weil die Mobbing-Opfer kaum noch Schulpsychologen oder Freunde zum reden haben, zum anderen weil die Täter mehr Langweile haben, mutmaßt die Studentin aus Bochum.

    Bochumer Studentin rät Betroffenen: „Trau dich, geh’ zur Polizei!“

    Etwa 70 Prozent der Hilfesuchenden wenden sich an die 21-Jährige mit einem Cybermobbing-Problem. Die übrigen Anfragen beziehen sich auf Bildrechte, Datenschutz, Privatsphäre-Einstellungen, Hass im Netz, Handy-Sucht und Whatsapp-Stress.

    „Die Teenager, meist zwischen 12 und 18 Jahren, schreiben mir, ihre Eltern würden sie nicht verstehen“, erklärt Julia Liebe, „Ich mache den Betroffenen erst mal klar: ,Du bist nicht schuld, aber der Täter begeht eine Straftat’“.

    Immer wieder kämen auch auch Anfragen aus dem Bereich „Cybergrooming“ – wenn sich pädophile Erwachsene sexuell Kindern oder Teenagern annähern. „Betroffene schreiben mir, sie würden erpresst, sie sollten sich im Videochat ausziehen – und das machen die Betroffenen dann auch, weil sie sich schuldig fühlen, auf den Trick reingefallen zu sein“, berichtet die Studentin.

    „Wenn es um Erpressung geht, sage ich: ,Trau dich, geh’ zur Polizei’“, so Julia Liebe. Sie rate den Cybermobbing-Opfern immer, mit den Schulpsychologen oder Eltern zu sprechen. „Ich empfehle auch, beleidigende Kommentare zu löschen, aber vorher Beweise zu sichern – für den Fall, dass bei dem Fall doch die Polizei eingeschaltet wird.“

    Hier erhalten Betroffene von Cybermobbing Hilfe bei dem anonymen Beratungsangebot Juuuport.

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