Essen. „Mit dem kann man’s ja machen“ – Leonard K. war schon mit 12 Opfer von Cybermobbing. Das rät er Teenagern, die nach Nacktfotos gefragt werden.
Leonard K. zögert kurz, als sie ihm auf Whatsapp schreibt: „Du kannst mir doch vertrauen, schick mal ein Nacktbild von dir!“ Dann klickt der 15-Jährige auf „Senden“. Im Interview erzählt Leonard sechs Jahre später, wie sich „Psychoterror“, Cybermobbing und Vertrauensbrüche auf ihn ausgewirkt haben – und was er Teenagern rät, die nach Nacktfotos gefragt werden.
In welchem Alter hast du zum ersten Mal Cybermobbing erlebt?
Leonard K.: Mit etwa 12 Jahren, ich hatte meine erste Freundin, in die ich über alle Maßen verliebt war. Was ich nicht wusste: Diese recht manipulative Freundin fuhr in dieser Zeit zweigleisig und war auf mein erspartes Taschengeld aus. Ich war eher unattraktiv, klein, schmächtig, mit Brille – ein Klugscheißer mit nicht sonderlich vielen Freunden. Als sich meine Freundin dann von mir trennte, ging das Ganze los.
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Wie lief das Mobbing ab?
Ich bekam ständig Anrufe mit unterdrückter Nummer. Die Anrufer mit Teenager-Stimmen spielten mir irgendetwas vor, als wollten sie mir etwas verkaufen. An meiner hohen Handyrechnung sah ich, dass jemand auf meinen Namen ein teures Jamba-Jahresabo abgeschlossen hatte. Ich bekam Nachrichten wie „Ich weiß, wo du wohnst“ oder „Ich kann dich sehen“ – Psychoterror vom Feinsten, weil ich damals im Erdgeschoss wohnte und dachte, jemand stünde vor meinem Fenster.
Wie endete dieser „Psychoterror“?
Das ging so weit, dass ich nicht mal mehr ans Telefon ging, wenn meine Eltern anriefen. Mein Vater hat mich dann zur Rede gestellt. Beim nächsten Anruf nahm er mir das Handy aus der Hand, hat eine aussagekräftige Ansage gemacht und mit der Polizei gedroht. Das hatte Wirkung.
Wie ging es dir danach?
Das hat mich komplett geschlaucht, mein Taschengeld war weg. Ich hatte kein Grundvertrauen mehr in irgendeine weibliche Person in meinem Alter und habe auch das Vertrauen in mein erstes eigenes Handy verloren. Das nimmt mich bis heute noch mit – wenn mich jemand anschreibt oder anruft, den ich nicht kenne, gehe ich davon aus, dass mich jemand aufs Korn nimmt.
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Immerhin habt ihr mit 12 noch keine Nacktfotos getauscht, oder?
Damit habe ich dann mit 15 Jahren meine Erfahrungen gemacht. Ich hatte eine beste Freundin im Jahrgang über mir, die ich toll fand. Einmal hat sie mich auf Whatsapp angegraben. Ich habe mich gefreut, bin darauf eingestiegen. Sie schickte mir ein Nacktfoto, von dem ich dachte, das wäre von ihr – in Wirklichkeit, hatte sie das aus dem Internet gezogen. Sie schrieb: „Du kannst mir doch vertrauen, schick mal ein Nacktbild von dir!“ Da kam ich auf die intelligente Idee, das auch zu machen – aber ich habe immerhin meinen Kopf aus dem Bild geschnitten.
Was ist daraufhin passiert?
In Wirklichkeit saß sie mit ihren Freundinnen zusammen. Die fanden das lustig, wussten, dass ich ein sanftes Gemüt habe und dachten wohl „Mit dem kann man’s ja machen, der nimmt es einem nicht lange übel“. Am nächsten Tag sprach mich eine der unsympathischsten Personen aus dem Jahrgang an: „Haha, wie dumm muss man denn sein, sowas wirklich rauszuschicken.“ Ich weiß, dass dieses Bild mindestens zwei bis drei weitere Personen hatten – wer das sonst noch alles hatte, weiß ich nicht.
Was tun gegen Cybermobbing?
Eltern sollten frühzeitig mit ihren Kindern über die Möglichkeiten und Risiken des Internets sprechen.
Mobbing-Anzeichen können psychische Veränderungen oder Wutanfälle sein.
Hilfe bieten anonyme Plattformen wie Juuuport.
Geschulte Jugendliche beraten Betroffene mit Unterstützung von Psychologen, Rechtsanwälten und Medienpädagogen.
Wie ging es dir in diesem Moment?
Ich hatte tierische Angst. Als mir das bewusst wurde, wurde es mir heiß und kalt, ich bekam eine Panikattacke und Bauchschmerzen. Sonst hatte ich mein Leben gut im Griff, nur in dieser Situation konnte ich es nicht mehr beeinflussen. Man fühlt sich machtlos, man möchte was dagegen tun, kann aber nicht. Das wünsche ich echt keinem.
Hast du diese Freundin zur Rede gestellt?
Ja, doch sie meinte „Na komm Leo, das war doch nur ein Witz.“ Ich hatte damals nicht das Selbstvertrauen, zu sagen: „Du schuldest mir hier eine Erklärung!“
Wusstest du damals, dass das eine Straftat ist?
Nein. Ich hatte gar nicht den Gedanken, mit der Polizei zu drohen. Damals dachte ich „Ja, Pech gehabt – selbst schuld!“ Heute weiß ich: Es war nicht meine Schuld, dass das Foto weitergeschickt wurde.
Was rätst du Teenagern, wie sie auf die Frage nach einem Nacktfoto reagieren sollen?
Vertrauen ist etwas, was wir uns selbst einbilden. Ich würde es niemandem empfehlen, ein Nacktbild zu verschicken – denn wenn man den anderen Menschen ohne Bekleidung sehen möchte, möge man sich selbst zu dem Menschen hinbewegen. (lacht)
Hättest du anders gehandelt, wenn ihr Medienbildung im Unterricht gehabt hättet?
Als ich 14 war, haben meine Klassenkameraden untereinander Pornos hin und her geschickt. Als ein Lehrer das mitbekam, hat er ein großes Fass aufgemacht und es gab ein halbes Jahr lang Sexualkunde und Cybersicherheit im Unterricht. Das Problem: Die meisten Schüler sitzen wie ich damals da und denken: „Jaja Lehrer, erzähl mal. Was ich in meinem Privatleben mache, geht dich überhaupt nichts an!“ Irgendwann hört man einfach auf, dem Lehrer zuzuhören. In dem Alter ist alles schön, neu, cool, man will alles entdecken und macht sich über die Konsequenzen erst hinterher Gedanken.
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