Witten. Über das Wittener Stadtgebiet sind viele Werke namenhafter Künstler verteilt. Eine Tour zu fünf außergewöhnlichen Skulpturen.
„Nicht wundern, wenn wir mal durcheinanderreden. Das ist unser Stil“, sagt Manfred H. Wolff schon zur Begrüßung mit einem breiten Lächeln. „Wir“, das sind Wolff (78) und sein Freund und Co-Autor Harald Kahl (68). Wenn es die beiden so richtig packt, dann fallen sie sich schon einmal liebevoll-bestimmt ins Wort wie ein lange verheiratetes Ehepaar. Meistens packt es sie, wenn es um Kunst geht. „Abstrakte Kunst kann Menschen dazu animieren, sich mit dem Fremden zu beschäftigen“, findet Kahl. Das Schöne: Für diese lehrreiche Begegnung muss man in Witten vielerorts einfach nur vor die Haustür gehen.
Kahl ist ausgebildeter Bildhauer und Kunstlehrer, Wolff ist kunstbegeisterter Virologie-Professor – und dürfte als solcher momentan ein besonderes Faible für Kunst in aerosolfreier Umgebung haben. Gemeinsam mit Detlef Thiering, dem Dritten im Bunde, haben sie das Buch „Skulpturen, Brunnen und Male in Witten“ geschrieben. Knapp 100 Artefakte in der Innenstadt, im Saalbau-Umkreis und in Bommern, in Annen und Stockum und in Heven und Herbede sind darin versammelt. Jedes davon steht im öffentlichen Raum.
„Kunst ist nicht nur dafür da, ihr Drumherum zu verschönern“
Ein besonders opulentes Kunstwerk ist die Plastik „Platzgestaltung“ (1975) von Gerlinde Beck. Sechs Edelstahlrohre von 70 Zentimeter Durchmesser, innen orange lackiert, bilden ein Säulenensemble auf dem Platz vor dem Wittener Saalbau. „Eine Verbindung zu den Wittener Edelstahlwerken“, weiß Wolff. Die auffällige Farbgestaltung der orangefarbenen Elemente an den Säulen findet sich in eckigen Bänken gleich neben der Skulptur wieder. Darf man sich hier einfach auf Kunst draufsetzen? Man darf, bestätigen die beiden Experten nickend. „Die Platzgestaltung ist ein Beispiel dafür, dass Kunst auch praktische Funktionen haben kann“, erklärt Kahl.
Nur wenige Schritte sind es von hier aus bis zum nächsten Kunstwerk. Auf einer Rasenfläche hinter dem Saalbau finden sich gleich drei Skulpturen des Bildhauers Volkmar Haase. „Drei Plastiken im Raum“ (1975) lautet der schlichte Titel der Edelstahl-Kolosse mit spitz zulaufenden Linien und Winkeln, die auf den ersten Blick gar nicht in die friedliche Parkidylle passen mögen. Doch genau das sei es, was Kunst im öffentlichen Raum von Design und Dekor unterscheide, sagt Kahl: „Kunst hat eine kritische Funktion und ist nicht nur dafür da, ihr Drumherum zu verschönern.“
Das „Böckchen“ von Clemens Pasch wurde einst sogar gestohlen
Wenngleich Wolff und Kahl bekennende Fans abstrakter Kunst sind, kann ein gut gemachtes Werk für sie auch einmal eines sein, das keiner großen Erklärung bedarf. Mehr noch: Es darf auch ein niedliches Tier sein – wie das „Böckchen“ (1959) von Clemens Pasch. Die Bronze-Skulptur eines kleinen Ziegenbocks, spielerisch im Moment des Sprunges festgehalten, steht am unteren Eingang des Stadtparks. „Das ist eines der Lieblingskunstwerke der Wittener“, erzählt Wolff. So beliebt, dass es einst sogar gestohlen wurde: Bei Nacht und Nebel sägte ein Dieb den hilflosen Ziegenbock kurzerhand ab. Das Original-Böckchen tauchte nie wieder auf, doch der Künstler stellte eine neue Skulptur zur Verfügung. So kehrte der vor allem bei Kindern populäre Bock wieder an seinen Stammplatz zurück.
Kahl selbst hat ebenfalls drei Kunstwerke gestaltet, die unter freiem Himmel in Witten zu finden sind. Eigentlich möchte er sich gar nicht so stark in den Vordergrund rücken. Aber Wolff sagt achselzuckend: „Eine Arbeit von dir müssen wir schon zeigen, Harald, das gehört dazu.“ Und so geht es zur Skulptur „156“ (2006) am Forschungs- und Entwicklungszentrum. Zwei aufeinander montierte Edelstahl-Körper mit quadratischem Querschnitt ragen dort säulenartig in den Himmel. Ob sich hinter der Zahl im Titel eine Geschichte verbirgt? „Nein“, verrät Kahl. Seine Werke habe er durchnummeriert, weil Namen oft in eine falsche Richtung lenkten.
Die Säulenheiligen von Düsseldorf- Küssende auf LitfaßsäuleDas industriell anmutende Design erklärt der Bildhauer so: „Wir sind im Alltag ständig von Werbeplakaten und ähnlichem umgeben. Da brauche ich in meinen Arbeiten keinen oberflächlichen Schnickschnack.“ Wenn er so einen Edelstahl-Körper mit der Hand schleife, erzählt der 68-Jährige, dann habe das auf ihn eine ruhige, fast schon meditative Wirkung.
Appell: „Wenn Kunst im öffentlichen Raum steht, dann muss sie auch gepflegt werden“
Apropos ruhig. Auf dem Hauptfriedhof an der Pferdebach-Straße ruht auf 50 Zentimeter hohen Stahlständern die massive „Beton-Skulptur“ (1960er). Künstler Ferdinand Spindel ist eigentlich für seine Schaumstoff-Gebilde bekannt. Bei der Skulptur ist es ihm gelungen, weiche Rundungen auf das massive Material zu bringen. Der Beton scheint Wellen zu schlagen, „Auf- und Abschwellen“, nennen es die beiden Experten. Wer möchte, sagt Wolff mit einem Schulterzucken, könne über diese Assoziation einen Bezug zu Leben und Tod und damit zum Standort Friedhof herstellen. Aber wie so oft gelte hier: „Menschen suchen nach Schubladen, wo es keine gibt.“
Die „Beton-Skulptur“ ist ein eindrucksvolles Relief, doch sie ist oben schon mit Moos bewachsen und der Beton wird langsam rissig. Das führt Wolff und Kahl zu einem ernsteren Thema. „Wenn Kunst im öffentlichen Raum steht, dann muss sie auch gepflegt werden“, sagt Kahl. Es sei ein großes Problem, dass das oftmals nicht geschehe. Die beiden Experten betrachten es deshalb als ihre Mission, die Außenkunst stärker ins Bewusstsein zu rücken: „Wir wollen den Wittenern die Augen für die tollen Kunstwerke öffnen, die direkt vor ihrer Tür liegen“, so Kahl.
Flottmann Hallen- der kurze Weg vom Bohrhammer zum KunstparkSo viele Kreationen also, die es zu entdecken gilt. Wie geht man – vor allem als Laie – am besten auf Erkundungstour? Wolff empfiehlt Kunstinteressierten in erster Linie, sich Zeit zu nehmen, die Plastiken in Ruhe anzuschauen und Fragen wie „Was soll das?“ und „Was bedeutet das?“ Raum im Kopf zu geben. Kahl pflichtet heftig nickend bei. Sich staunend zu fragen: „Hä, wie ist das gemeint?“ gehöre dazu. Aber, ein weiterer Tipp von Wolff, „das bedeutet nicht, wie im Schulunterricht zwingend die Frage ‚Was wollte der Künstler uns sagen‘ beantworten zu wollen“. Bei allem das Wichtigste: „Man sollte mit dem beginnen, was man spannend findet.“