Düsseldorf. Christoph Pöggeler hebt seit 20 Jahren ganz normale Menschen in Düsseldorf auf einen besonderen Sockel – auf eine Litfaßsäule.

Wer Christoph Pöggelers Atelier betritt, schreckt zurück. Weil ein Mann sein Kameraobjektiv direkt auf den Besucher richtet. „Ich habe mich selber schon erschrocken“, gibt der Künstler zu. Ganz kurz dachte er: „Da steht jemand!“

So täuschend echt wirken seine Skulpturen, für die man sonst den Kopf heben muss, um sie zu sehen. Denn ob Geschäftsmann im Anzug, die tanzende Braut oder ein sich küssendes Paar – alle stehen auf einem Sockel. Aber nicht auf irgendeinem, sondern stets auf einer Litfaßsäule.

Im Atelier modelliert und bemalt Christoph Pöggeler Figuren wie den „Fotografen“, der eigentlich die Menschen am Düsseldorfer Hauptbahnhof „knipst“.
Im Atelier modelliert und bemalt Christoph Pöggeler Figuren wie den „Fotografen“, der eigentlich die Menschen am Düsseldorfer Hauptbahnhof „knipst“. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Die erste Säule dieser Art wurde vor 165 Jahren in Berlin eingeweiht. Obwohl es heute andere Werbeträger gibt, gehört sie noch zu vielen Städten. Aber sie als Sockel für Kunst zu nutzen?

„Ich habe mich gewundert, dass noch keiner auf die Idee gekommen ist.“ In Düsseldorf werden sogar neue aufgestellt – damit Pöggeler Platz für seine Persönlichkeiten hat.

Keine historische Persönlichkeit als Statue

Es sind keine historisch bedeutenden Personen, die der 62-Jährige zeigt. „Es sind Alltagsmenschen.“ Der Künstler hebt sie aus der Gesellschaft aufs Podest.

Zehn seiner Säulenheiligen stehen allein in der Landeshauptstadt. Ein Flaschensammler wird nach den Ferien im gut betuchten Stadtteil Oberkassel in die Höhe gehoben.

„Marlis“ war seine Erste. Ein Urlaubsfoto brachte ihn auf die Idee für diese Figur. Da stand die spätere Mutter der gemeinsamen Söhne in Venetien vor einem Engel aus Stein. Und zwar so, dass es auf dem Foto den Anschein hat, ihr würden Flügel wachsen. Die Schwingen hat Pöggeler ihr zwar genommen. Aber der zufriedene Blick zum Himmel, der ist seit nun 20 Jahren geblieben.

Die erste Säuleinheilige: „Marlis“ – die Lebensgefährtin des Künstlers.
Die erste Säuleinheilige: „Marlis“ – die Lebensgefährtin des Künstlers. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Er selbst ist auch auf einer Litfaßsäule zu sehen: als Geschäftsmann. „Da hatte ich noch Haare“, sagt er lachend. Auch hier war es ein Foto, das ihn inspirierte, von einem dynamischen Anzugträger. Um die Bewegung studieren zu können, stieg er selbst mit dem Aktenkoffer seines Vaters auf die 3,80 Meter hohe Litfaßsäule und ließ sich dabei fotografieren. „Mir wackelten die Knie.“

Der Fotograf am Hauptbahnhof, das Vorbild ist ein Freund von ihm, ist auch anderen ans Herz gewachsen. Für Privatleute ließ er ihn nun neu gießen. Pöggeler beschreibt, wie eine Form entsteht: Zunächst schweißt er aus Stahlstangen ein Gerippe und umwickelt es mit Kaninchendraht.

Dann kommen viele Schichten Ton auf den Körper. Die Figuren sind etwas größer als das Original, damit sie auf dem Sockel zu sehen sind. Aus der Entfernung wird man nicht jedes Fältchen und Härchen erkennen. Aber Pöggeler achtet selbst auf die Wimpern. Alles soll so echt wie möglich sein. Und so modelliert er per Hand, mit winzigen Spachteln. „An einem Haarknoten sitze ich den ganzen Tag.“

Es erinnert an einen Sarkophag

Ist er zufrieden, streicht er die Figur mit Silikon ein. „So entsteht eine Negativhaut.“ Damit sie Halt bekommt, wird sie noch eingegipst. Am Ende erinnert die Figur an einen Sarkophag.

Die zwei Hälften werden mit Kunststoff ausgegossen und mit Glasfasern und Stahl windsicher gemacht. Schließlich fügt Pöggeler sie zusammen, grundiert, bemalt sie – so dass die Küssende rote Wangen und ihr Partner graue Schläfen bekommen. „Mit Baumaschinenlack für Kräne und Bagger – der ist gut für draußen.“

Der Geschäftsmann trägt Christoph Pöggelers Gesichtszüge. Um die Bewegung besser studieren zu können, ließ er sich fotografieren, während er mit wackeligen Knien auf der  Litfaßsäule stand.
Der Geschäftsmann trägt Christoph Pöggelers Gesichtszüge. Um die Bewegung besser studieren zu können, ließ er sich fotografieren, während er mit wackeligen Knien auf der Litfaßsäule stand. © FUNKE Foto Services | Kai Kitschenberg

Pöggeler kommt eigentlich aus der Malerei, er hat an der Kunstakademie studiert. „Aber ich habe lange nicht mehr auf einer Leinwand gemalt.“ Die Streetart inspiriert ihn. Auf alten Brettern, teils vom Sperrmüll, lässt er die Maserung des Holzes wirken, zeigt so die Wellen eines Meeres, das Blätterrauschen eines Baumes. Aber erst die Säulenheiligen machten ihn bekannter. „Weil sie draußen stehen.“

Säulenheilige sollen, der christlichen Überlieferung nach, Mönche gewesen sein, die ihr asketisches Leben tatsächlich auf einer Säule verbracht haben. Ein ganz anderes Leben führen Pöggelers Säulenheilige in der Konsumgesellschaft.

Er lässt sich vom Zufall leiten

Welche Werbung auf den Säulen gezeigt wird, kann er nicht beeinflussen. Er mag zwar keine sexistischen Sprüche, aber er mag den Zufall. Der führt ihn auch zu neuen Figuren – auf einem Foto in der Zeitung oder an der Haltestelle. Dort senken die Wartenden oft den Kopf. Eine Haltung, die ihn fasziniert. So ist die „Lesende“ entstanden.

Seine Figuren sollen etwas Allgemeingültiges verkörpern: dass es etwa den Menschen in der Mitte des Jahres an den Strand zieht. Der Mann in Badehose ist zurzeit aber nicht in Düsseldorf zu sehen, sondern bei einer Ausstellung in Kamp-Lintfort. Pöggeler: „Der ,Urlauber’ ist im Urlaub.“

Standorte: christoph-poeggeler.de; Figuren in Kleinformat im Kunsthandel. Der Urlauber bis 23. Oktober vor dem Lineg-Gebäude, Friedrich-Heine-Allee, Kamp-Lintfort. Info zur Doppel-Ausstellung „Wasser-Werke“ bei Galerie Schürmann (bis 15. Aug.) Tel. 02842/ 55208