Essen. Jetzt bewerben, im September starten: Jugendliche haben in vielen Berufen noch gute Chancen auf einen Ausbildungsplatz. Das sind die Top-Berufe.

Klara war eher skeptisch, als sie vor gut einer Stunde zur Berufsberatung in die Mülheimer Arbeitsagentur ging. Nach dem langen Gespräch ist sie ziemlich happy mit dem Paket an passenden Ausbildungsplätzen, die ihr die Beraterin mitgegeben hat. Plus einer guten Portion Optimismus: „Sie hat gesagt, ich könne die Ausbildung zur Not auch noch im Oktober oder später starten, weil die Betriebe froh sind, wenn sie jemanden finden“, sagt Klara. Sie wollte mal dies und mal das werden, jetzt soll es eine Lehre zur Automobilkauffrau werden. Dutzende Plätze in und um Mülheim sind noch frei.

Im August noch eine Lehrstelle für September zu suchen, war bis vor wenigen Jahren praktisch aussichtslos. Das hat sich aus Mangel an Schulabgängern komplett gedreht: Aktuell haben noch Tausende Betriebe in Nordrhein-Westfalen Ausbildungsplätze frei und hoffen auf Last-Minute-Bewerbungen. Obwohl die meisten Ausbildungen traditionell im August beginnen, werden Anfang dieses Monats zum Beispiel noch rund 1400 Energietechnik-, 1200 Maschinenbau- und 1100 Hochbaulehrlinge gesucht. Da nicht einmal annähernd so viele Jugendliche sich um diese Plätze bewerben, stehen die Chancen für Kurzentschlossene sehr gut. Das geht aus den am Dienstag veröffentlichten Daten der Bundesagentur für Arbeit in NRW hervor.

Im Lebensmittelverkauf nur fünf Bewerbungen auf 100 Stellen

Das krasseste Missverhältnis zwischen freien Lehrstellen und dem Interesse an ihnen gibt es beim Verkauf von Lebensmitteln, also der Ausbildung etwa zur Bäckerei- oder Fleischerei-Fachverkäuferin: Auf die 1438 noch offenen Stellen bewerben sich aktuell in ganz NRW nur noch 84 junge Menschen – das macht rechnerisch ganze fünf Bewerbungen auf 100 Stellen und ist in den größeren Branchen die mit Abstand niedrigste Nachfrage. Wer sich also vorstellen kann, Wurst oder Brötchen oder beides zu verkaufen, kann sich seinen Betrieb in aller Regel aussuchen. Ebenso, wer Kraftfahrer, Restaurant- oder Hotelfachkraft, Verkehrskaufmann oder Lagerwirt werden will.

In diesen Berufsgruppen sind die Chancen auf einen Last-Minute-Platz am größten, nicht allein wegen der schieren Zahl offener Stellen, sondern vor allem wegen der geringen Zahl an Bewerbungen (in Klammern Bewerber je unbesetzte 100 Stellen):

  • Verkauf von Lebensmitteln: 1371 freie Stellen (5 Bewerber auf 100 Stellen)
  • Gastronomie: 731 freie Stellen (17)
  • Lebensmittelherstellung: 1129 freie Stellen (19)
  • Tiefbau: 521 freie Stellen (19)
  • Verkehrs-/Logistikkaufleute: 453 freie Stellen (22)
  • Metallbearbeitung: 1025 freie Stellen (24)
  • Hochbau: 1100 freie Stellen (26)
  • Metallbau und Schweißtechnik: 719 (28)
  • Fahrzeugführung Straßenverkehr (Kraftfahrer): 550 freie Stellen (31)
  • Versicherungen/Finanzdienstleistung: 1180 freie Stellen (37)
  • Lagerwirt/Post/Zustellung: 2314 freie Stellen (38)
  • Medizin-/Orthopädie-/Rehatechnik: 505 freie Stellen (38)
  • Steuerberatung: 427 freie Stellen (45)
  • Arzt- und Praxishilfe: 2706 freie Stellen (60)
  • Sanitär-/Heizung-/Klimatechnik: 976 freie Stellen (71)

Warum so viele Ausbildungsplätze nicht besetzt werden können, hat mehrere Gründe. Bei 103.000 gemeldeten Lehrstellen und 95.000 Bewerberinnen und Bewerbern ergibt sich in NRW schon rechnerisch eine Riesen-Nachwuchslücke. Im Ruhrgebiet gibt es zwar als einziger Region des Landes nach wie vor etwas mehr Bewerber als Stellen, doch auch zwischen Duisburg und Dortmund suchen immer mehr Betriebe inzwischen vergeblich nach jungen Menschen, denen sie ihren Beruf beibringen können. Auch, weil viele nach ihrer Bewerbung wieder abtauchen.

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Das ganze Ausmaß des Mangels wird deshalb erst klar, wenn man sich anschaut, wie es für die Jugendlichen nach einer oder mehreren Bewerbungen weitergeht: Mehr als jeder vierte springt wieder ab, kurz vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres suchen 30.300 frühere Bewerberinnen und Bewerber jetzt keinen Ausbildungsplatz mehr, obwohl sie noch keinen bekommen haben – weil sie lieber erst ein Auslandsjahr, ein soziales Jahr oder schlicht ein Sabbatjahr nach ihrer Schullaufbahn einlegen wollen. Oder natürlich, weil sie sich letztlich doch für ein Studium entschieden haben. Nicht viel mehr – gut 31.000 – haben Ende Juli tatsächlich einen Ausbildungsvertrag unterschrieben.

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Sehr oft scheitert es aber nach wie vor auch an den üblichen, profanen Dingen: Der Betrieb ist dem Azubi-Anwärter zu weit entfernt, dem Chef passt seine Nase nicht, die Noten sind zu schlecht. Oder aber der Wunschberuf ist bei so vielen Jugendlichen beliebt, dass nicht alle unterkommen. Denn trotz des allgemeinen Nachwuchsmangels gibt es noch immer viele Berufe, in denen es viel zu wenige Plätze für die vielen Interessenten gibt.

IT-Ausbildung ist inzwischen sehr gefragt

Darunter sind etwa die Tierpflege, die Floristik, die Immobilienwirtschaft und der Einzelhandel. Und natürlich wollen wie seit eh und je doppelt so viele junge Menschen, in der Regel Männer, Kfz-Mechatroniker werden als es Stellen gibt. Inzwischen herumgesprochen hat sich offenbar, wie sehr IT-Fachkräfte gesucht werden: Für die rund 2500 Männer und Frauen, die eine Ausbildung für Softwareentwicklung und -programmierung machen wollten, gibt es nur 1400 Stellen.

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Ein großes Sorgenkind in Sachen Nachwuchsmangel ist und bleibt auch der Bau, mit einer Ausnahme: Der Malerberuf ist sehr beliebt und hält zu wenige Stellen für die vielen Interessierten bereit, während auf dem Hoch- und im Tiefbau gut die Hälfte der Lehrstellen wohl unbesetzt bleiben wird. Dies, obwohl auf dem Bau inzwischen mit die höchsten Ausbildungsvergütungen gezahlt werden: Nach noch mittelmäßigen 935 Euro im ersten Jahr gibt es schon im zweiten 1230, im dritten 1495 und im vierten 1580 Euro im Monat. Damit will dei Branche mehr junge Menschen locken, was bisher offenbar noch nicht entscheidend zieht.

Klimaberufe haben Zukunft – und noch viele freie Stellen

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Begehrter als in früheren Jahren sind die so genannten Klimaberufe, trotzdem gibt es auch hier noch gute Chancen, im letzten Moment einen Ausbildungsplatz zu ergattern. So bei der Klempnerei, Sanitär- und Heizungstechnik, die aktuell noch knapp 1000 Plätze frei hat bei weniger als 700 Bewerberinnen und Bewerbern. Beste Aussichten hat auch, wer Dachdecker werden und als solcher auch Solarmodule installieren will. Eine Lehre in der Umweltschutztechnik ist ebenfalls noch gut greifbar. Die örtliche Arbeitsagentur berät die Jugendlichen und sucht potenziell passende Stellen.