Düsseldorf. Schwarz-Grün hat Rekordeinstellungen versprochen, doch jetzt fehlen Bewerber. Sogar die Mindestgröße von 1,63 Meter wird aufgeweicht.

Herbert Reul arbeitet zwar schon seit Jahrzehnten nicht mehr als Lehrer, doch hin und wieder blitzt die pädagogische Herangehensweise des ehemaligen Studienrats für Sozial- und Erziehungswissenschaften dann doch noch auf. Der NRW-Innenminister lässt sich zum Beispiel eingehende Beschwerden von gescheiterten Polizeischülern regelmäßig vorlegen. Dann schaut der 70-jährige CDU-Mann, immerhin Vorgesetzter von über 50.000 Beamten des Sicherheitsapparats, persönlich nach, woran es bei den verhinderten Ordnungshütern gelegen hat.

Wie einst bei Klausuren am Gymnasium in Wermelskirchen guckt Reul in den Unterlagen, ob nicht doch irgendwo ein Punkt ist, der ihn zu einer Neubewertung veranlassen könnte. Meist beklagen Eltern oder Großeltern von jungen Frauen und Männern, die sich um ihren Traumberuf gebracht fühlen, dass die juristischen Klausuren im ersten Ausbildungsjahr zu schwer gewesen seien. Oder die Dozenten an der Polizeihochschule zu missgünstig. Oder die Sportanforderungen zu hoch. Oder bereits die Einstellungskriterien der NRW-Polizei zu starr.

Im Nachtragshaushalt wurden extra zusätzliche Stellen bewilligt

Reuls Mühe ist nicht ganz uneigennützig. Die CDU hat im Landtagswahlkampf mit dem angepeilten Rekord von 3000 neuen Polizisten für sich geworben. Noch bei der Präsentation des ersten Nachtragshaushalts der neuen schwarz-grünen Koalition im vergangenen September hieß es, im Polizeibereich würden „die Einstellungsermächtigungen nochmals um 400 auf dann 3000 jährlich erhöht“. Die Bewerbungsfrist wurde dafür ausnahmsweise sogar bis in den Oktober hinein verlängert.

Tatsächlich konnten aber lediglich 2670 geeignete Bewerber zum Ausbildungsstart gefunden werden – obwohl die Zahl der Interessenten mit über 11.000 seit Jahren hoch ist. Von den angenommenen Bewerbern werden längst nicht alle nach drei Jahren des praxisorientierten Studiums zum Kommissarsanwärter auch tatsächlich die NRW-Polizei verstärken. Zuletzt betrug die Abbrecherquote zwischen 16 und 19 Prozent. Es lohnt sich also hinzuschauen, ob Einstellungskriterien und Ausbildungsinhalte noch stimmen. Doch Reul machte vor einigen Monaten im Innenausschuss des Landtags deutlich: „Ich lasse lieber Ausbildungsplätze frei als Abstriche bei der Qualität zu machen.“

Studienabbrecher aus anderen Fachrichtungen gesucht

Da die politische Zusage von 3000 Neueinstellungen für die CDU hohen symbolischen Wert hat, soll nun jeder Stein umgedreht werden. Reul hat eine „Task Force 3000“ ins Leben gerufen, die mit Techniken des Projektmanagement mehr geeignete Bewerber finden soll. Die NRW-Polizei ist nach eigener Aussage bei der Rekrutierung zwar erfolgreicher als etwa die Bundeswehr oder die Landespolizei in Berlin und Niedersachen, doch will man sich neue Gruppen an jungen Leuten erschließen.

„In Zeiten des Fachkräftemangels wird es auch für die nordrhein-westfälische Polizei immer anspruchsvoller, eine ausreichende Zahl an geeigneten Bewerberinnen und Bewerbern für die deutlich aufgestockten Ausbildungskapazitäten zu finden“, erklärt Gerrit Weber, Abteilungsleiter Polizei im Innenministerium. Dabei gehe es auch darum, junge Menschen anzusprechen, die den Polizeiberuf unmittelbar nach dem Schulabschluss noch nicht im Blick hätten. „Dazu gehören Studierende aus anderen Fachrichtungen, die sich umorientieren möchten, oder junge Menschen mit anderweitiger Berufsausbildung, die sich etwas später für den Polizeiberuf begeistern können“, so Weber.

Um die erhöhte Abbrecherquote in der dreijährigen Polizeiausbildung zu senken, überprüft die „Task Force 3000“, wie sich die Studienbegleitung verbessern lässt. Etliche angehende Polizisten scheitern im ersten Ausbildungsjahr an den juristischen Klausuren zum Verkehrs- und Eingriffsrecht. Hier sollen neue Tutorenprogramme und Repititorien manchen Kommissarsanwärtern helfen, „diesen wichtigen Lernstoff zu verinnerlichen und damit auch die Prüfung zu schaffen“, erklärt Weber.

Realschüler zur Polizei erweist sich als Erfolgsprogramm

Eine wichtige Öffnung zu einem neuen Bewerberkreis ist – einst auf Druck der FDP - mit dem neuen Bildungsgang „Fachoberschule für Polizei“ an den Berufskollegs gelungen. Voraussetzung für den Weg zur Polizei war seit Jahrzehnten in NRW mindestens das Fachabitur. Jugendliche mit mittlerem Abschluss können neuerdings wieder über das Berufskolleg in die Ausbildung gelangen. Für den Einstellungsjahrgang 2023 haben sich 2936 Schüler angemeldet, knapp 20 Prozent mehr im Vorjahr. „Das Programm ‚Realschüler zu Polizisten‘ ist ein echter Renner“, bilanziert Weber.

Selbst die Mindestgröße von 1,63 Meter als Einstellungskriterium, die immer wieder kritisiert und beklagt wurde, soll nicht mehr unverhandelbar sein. Vereinzelt könnten kleinere Bewerber über Extra-Sporttests ihre Eignung nachweisen, findet die „Task Force 3000“. Allerdings zeige die Einsatzrealität gerade im Wachdienst, dass ein bestimmtes Gardemaß ebenso wie Fitness und Schwimmfähigkeiten unverzichtbar seien, berichten Praktiker. „Es ist ein anspruchsvoller und körperlich fordernder Beruf, für den wir die Besten brauchen“, findet Weber. „Schmalspur-Polizisten wird es bei uns nicht geben.“