Essen. Auch kurz vor dem Verkauf der Steag streiten die Stadtwerke, jetzt über den Umgang mit dem Rekordgewinn. Warum sie schlechte Eigentümer waren.

Gewinne? Welche Gewinne? Das außerordentliche Rekordergebnis der Steag von 1,9 Milliarden Euro aus dem Jahr 2022 ist eine fantastische Nachricht für die Eigentümerinnen des Essener Energiekonzerns. Vor allem, weil es öffentliche Unternehmen sind, die in diesen Zeiten jeden Euro brauchen. Doch bis auf die Dortmunder Stadtwerke, die ihren Anteil von 576 Millionen Euro feiern, winken alle anderen fünf Partner ab – aus guten Gründen. Es sind dieselben Gründe, die von Anfang an dagegen sprachen, gemeinsam einen großen Energiekonzern zu kaufen. Dass die sechs Ruhrgebietskommunen der Steag keine guten Eigentümerinnen waren, zeigt sich sogar jetzt, da sie kurz vor dem Verkauf Geld einspielt wie nie. Ende gut, alles andere nicht gut.

Das nun 13-jährige Steag-Abenteuer von Dortmund, Bochum, Essen, Duisburg, Oberhausen und Dinslaken prägen Unstimmigkeiten unter den sechs Konsorten und Verteilungskämpfe in jeder einzelnen Stadt. Verdient die Steag Geld, will jeder es ausgeben, verdient sie kein Geld, will keiner verzichten. Vor allem wegen der zu erwartenden Begehrlichkeiten sind die fünf anderen Kommunen nun gar nicht glücklich darüber, dass Dortmund seinen Anteil am noch nicht veröffentlichten Milliardengewinn offensiv verkündet hat und mögliche Verwendungen gleich mit.

Die Dortmunder Besonderheit

Grund ist auch eine formale Besonderheit: Während die Dortmunder Stadtwerke (DSW21) als größte Anteilseignerin ihren Ertrag aus der Kommunale Beteiligungsgesellschaft KSBG ebenfalls bereits für 2022 bilanzieren müssen, können alle anderen damit warten – bis zur großen Schlussabrechnung samt dem ebenfalls sehr gut laufenden Geschäftsjahr 2023, dem Verkaufserlös und auf der anderen Seite natürlich auch der abzulösenden Verbindlichkeiten.

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Deshalb klangen die Reaktionen auf unsere Anfrage zum Rekordgewinn 2022 sämtlich so: Es fließe aus dem starken Steag-Ergebnis aus dem vergangenen Jahr kein Geld an sie, betonen die Stadtwerke Essen, Bochum und Duisburg unisono. Und verweisen auf eine Ausschüttungssperre, die bis zum Verkauf des Konzerns gilt. Solange bleibt das Geld als Wertzuschreibung im Unternehmen, also der KSBG. Das hat auch Dortmund betont, die DSW21-Chefin Heike Heim aber zugleich erklärt, voraussichtlich zum Jahresende werde mit dem Verkauf der Steag die Ausschüttungssperre beendet sein und der bisher rein bilanzielle Gewinn auch zu echtem Geld.

Während in Dortmund bereits darüber nachgedacht wird, damit etwa die Stromnetze auszubauen und Elektrobusse für den Nahverkehr zu kaufen, scheuen die anderen fünf Kommunen genau diese Debatte. Dass sie nun aufkommt, behindere gar den auf Hochtouren laufenden Verkaufsprozess – sagte Bochums Stadtwerke-Chef Dietmar Spohn am Mittwoch vor Journalisten. In der Tat war das eine der zentralen Probleme für die Steag in all den Jahren: Für jeden Euro, den die Steag über die KSBG an die Stadtwerke ausschüttete, gab es fünf Ideen aus allen Ecken jeder Stadt, ihn auszugeben. Dass die Steag auch Verluste schreiben könnte, so dass der KSBG das Geld für die Tilgung der Bankdarlehen ausgehen könnte, war nicht eingeplant. Passierte aber.

Als die Energiewende noch Image-Folklore war

Um zu verstehen, warum sechs Kommunen vor 13 Jahren die Steag übernommen haben, braucht es eine Rückblende: Im Jahr 2010 war die von Rot-Grün nach der Jahrtausendwende eingeleitete Energiewende für Energiemanager nicht viel mehr als Image-Folklore. Ein RWE-Chef namens Jürgen Großmann pflanzte in Kino-Werbesports als animierter Energieriese mit moosbewachsenen Schultern Windräder in grüne Hügel und schob Wolken beiseite – während der echte Manager auf Braunkohle setzte und neue Steinkohlekraftwerke plante. Weil sie gute und stabile Gewinne versprachen.

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Dass sich das noch im selben Jahrzehnt ändern könnte, war weder für RWE noch Eon noch die Steag noch die Kommunen denkbar. Sie stellten sich die Steag als ein Stadtwerk im Großformat und mit international erfolgreichen Geschäften vor, das ihnen verlässlich Jahr für Jahr Geld überweist, mit dem all die städtischen Löcher gestopft werden können. Die seinerzeit skeptischen Grünen, die natürlich eine weniger rosige Zukunft für die Kohle sahen, wurden vor allem von sozialdemokratischen Landes- und Kommunalpolitikern eingefangen mit der Aussicht darauf, einen Kohlestrom-Konzern zum grünen Energieunternehmen umbauen zu können.

Kein Geld übrig für echte Zukunftsinvestitionen

Dass dies in den 10er-Jahren nicht gelingen konnte, lag am Konstrukt des Ganzen. In den ersten guten Jahren nach Einstieg der Stadtwerke wurde ausgeschüttet, was ging. Als es schon nicht mehr lief, mindestens das, was zur Schuldentilgung gebraucht wurde. Das führte etwa 2016 zu einer „Gewinnabführung“ der Steag von 55 Millionen Euro an die KSBG, obwohl der Konzern 220 Millionen Euro Verlust gemacht hatte. Ein Aufbau von Zukunftsgeschäften angesichts des absehbaren Endes der Kohle war in diesem Eigentümerkonstrukt nicht möglich.

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Dass man nicht lange Freude an Mindestausschüttungen hat, wenn das Unternehmen darüber und wegen energiepolitischer Verwerfungen an den Rande einer Insolvenz schlittert, führte noch Ende des vergangenen Jahrzehnts zu Absetz-Tendenzen der ersten Kommunen, Bochum vorneweg. Ab 2019 wollten alle raus – bis auf Dortmund. Nur kein Geld mehr nachschießen in einen Konzern, dessen Geschäftsmodell wegbricht, lautete das Motto in mehreren Rathäusern, die zehn Jahre zuvor auf genau dieses Geschäftsmodell gesetzt hatten. Dass eben lauter Leute mitreden wollten, die von der komplexen Energiebranche keine Ahnung haben, hörte man über all die Jahre bei der Steag und in den Stadtwerken.

Am freuen sich alle, wenn die Kommunen raus sind

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Nun naht der Verkauf, Ende August will man einen unterschriebenen Kaufvertrag vorzeigen können. Und dürfte dann, nach allem, was derzeit aus den sechs Stadtwerken verlautet, doch noch auf einen Nenner kommen: Dass man im Zuge der aktuellen Energiekrise und der Sonderkonjunktur für Kohlestrom Riesen-Glück hatte, am Ende doch noch gut aus der Sache rauszukommen. Und dass es das Beste für die Kommunen, vor allem aber für die Steag selbst ist, dass dieses Experiment vorbei ist.