Essen. Geht es nach Verdi, sollen Galeria-Beschäftigte nicht mehr auf Gehalt verzichten. Forderung nach Rückkehr in den Flächentarif teilen nicht alle.
Im Insolvenzverfahren bei Galeria Karstadt Kaufhof stehen nicht nur Tausende Arbeitsplätze und Dutzende Warenhäuser auf dem Spiel. Offen ist auch, wie die (noch) mehr als 17.000 Beschäftigten bezahlt werden sollen. Die Vorstellungen von Geschäftsführung und Gewerkschaft Verdi liegen weit auseinander. Am Mittwoch, 22. Februar, treffen sie sich in Frankfurt am Main zur zweiten Verhandlungsrunde.
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Die Menschen, die für Galeria arbeiten, sind Kummer gewohnt. Seit Jahren verzichten sie auf Gehalt, um ihren Beitrag zu leisten, damit der Essener Warenhauskonzern aus seiner Dauerkrise kommt. Nach der gar nicht so lange zurückliegenden Sanierung im Jahr 2020 begnügten sich Vollzeitbeschäftigte mit Jahresgehältern, die nach Lesart von Verdi bis zu 5500 Euro unter dem lagen, was ihnen nach dem Flächentarifvertrag im Einzelhandel zustehen würde.
Karstadt hat schon 2013 den Flächentarifvertrag verlassen
Das will die Gewerkschaft nicht länger mitmachen, sie pocht darauf, dass Galeria wieder so bezahlt, wie es die Flächentarifverträge in den Bundesländern vorsehen. Denn Karstadt war schon 2013 aus der Tarifbindung ausgestiegen, als die Fusion mit Kaufhof 2019 noch gar nicht absehbar war. Obendrauf, so die Forderung, soll es noch einen Zuschlag für Verdi-Mitglieder geben. „Wir haben deutlich gemacht, dass mit uns ein weiteres Sparprogramm auf dem Rücken der Beschäftigten nicht zu machen ist. Denn Lohnverzicht hat noch nie Arbeitsplätze gerettet“, sagte Verdi-Verhandlungsführer Marcel Schäuble nach der ersten Gesprächsrunde, die am 10. Februar ohne Ergebnis zu Ende gegangen war.
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Dabei verdient eine nach dem Flächentarif bezahlte Verkäuferin in NRW ab dem sechsten Berufsjahr gerade einmal 2832 Euro brutto. Doch das ist dem Galeria-Management, das den Insolvenzverwalter im Nacken hat, schon zu viel. Die Verdi-Forderung sei „nach erster Bewertung nicht mit dem vom Unternehmen vorgelegten Insolvenzplan in Einklang zu bringen“, teilten die Essener mit dem Verweis auf das Ziel mit, alle verbleibenden Filialen binnen drei Jahren zu modernisieren. 300 Millionen Euro seien dafür nötig. Der bislang gültige Sanierungstarifvertrag, den Galeria im Oktober 2022 einseitig aufgekündigt hatte, sah für 2025 die Rückkehr in den Flächentarifvertrag vor.
Die weitgehenden Verdi-Forderungen weist nicht nur das Unternehmen zurück. Auch innerhalb der Gewerkschaft wird eine Gegenstimme laut. „Ich sehe die Gefahr, dass sich Verdi mit dem jetzigen Vorgehen tarifpolitisch in eine Sackgasse hineinmanövriert“, warnt Orhan Akman im Gespräch mit unserer Redaktion. Bis zu seiner fristlosen Kündigung im vergangenen Sommer bekleidete der 47-Jährige das zweithöchste Amt in der großen Handelssparte von Verdi: Bundesfachgruppenleiter. Akman klagte gegen seine Entlassung. Das Arbeitsgericht Berlin entschied im Dezember, dass er in seiner bisherigen Funktion weiterbeschäftigt werden müsse. Verdi legte Berufung gegen die Entscheidung ein und forderte Akman auf, Überstunden abzubauen. Jetzt liegt der Fall vor dem Berliner Landesarbeitsgericht. Unabhängig von dem Rechtsstreit will er an seiner Kandidatur für den Bundesvorstand festhalten.
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Akman hat in der Vergangenheit mehrfach Tarifverhandlungen für Verdi geführt – auch bei Galeria. Er sitzt zudem im Aufsichtsrat des Essener Konzerns. Nun fordert er eine grundlegende Reform und den Bruch mit der Tradition, im Einzelhandel Vertragswerke auf Ebene der Bundesländer auszuhandeln. : „Wir brauchen bundesweite Verhandlungen und bundesweite Tarifverträge“, so der freigestellte Top-Gewerkschafter. Akman plädiert dafür, einen Manteltarifvertrag für die gesamte Handelsbranche auszuhandeln, der die bislang selbstständigen Bereiche Einzel-, Groß-, Außen-, Online- und Versandhandel sowie die Handelslogistik umfasst.
Orhan Akman plädiert für Haustarif bei Galeria
Da sich Galeria im Insolvenzverfahren befindet, spricht er sich für Verhandlungen über einen Haustarif oder einen Spartentarifvertrag für Kauf- und Warenhäuser aus. „Ich halte es taktisch für nicht klug, wenn man den Flächentarifvertrag als die einzige Möglichkeit sieht. Verhandlungen und Tarifergebnisse leben davon, dass man konstruktive und kluge Lösungen immer wieder erarbeitet“, meint Akman.
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Am 9. Februar stellte Akman sein Konzept auch dem Gesamtbetriebsrat von Galeria vor. Es habe einen „sehr konstruktiven Austausch“ gegeben, teilte der Spitzenfunktionär im Anschluss mit. Der Gesamtbetriebsrat, insbesondere sein Vorsitzender Jürgen Ettl, ist dem Vernehmen nach nicht immer auf einer Linie mit Verdi, die die Tarifverhandlungen führt. Ettl seinerseits hatte zuletzt mit der Geschäftsführung einen Interessenausgleich ausgehandelt. Darin ist geregelt, dass Beschäftigte nur eine Mini-Abfindung von maximal 7500 Euro erhalten, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren.
Bislang kein Angebot der Galeria-Geschäftsführung
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Zuvor hatten sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer aber auch darauf verständigt, das „die Zahl der Filialen, die im Fokus der Prüfung einer Schließung standen, deutlich reduziert werden konnte“, wie Galeria im Januar mitteilte. Erst Mitte März soll es Klarheit darüber geben, welche der 129 Warenhausstandorte überleben, verkauft oder geschlossen werden sollen. Am kommenden Mittwoch soll es aber erst einmal wieder um Gehälter gehen. Verdi erwartet, dass das Unternehmen bei dem Termin ein konkretes Angebot auf den Tisch legen wird.