Olpe/Ruhrgebiet. Erst litten Unverpacktläden unter Corona, dann unter Inflation. In Bochum, Essen, Mülheim gab es Schließungen. In Olpe hält Melanie Krawitz durch.
Vor der Corona-Pandemie erlebten Unverpackt-Läden einen wahren Boom. Doch mit dem Ausbruch des Virus und den erheblichen Preissteigerungen im Zuge des Ukraine-Kriegs stieß das System mit losen Nahrungsmitteln und Seife ohne Plastik an seine Grenzen. In Bochum, Essen und Mülheim etwa gaben Unverpackt-Läden schon wieder auf. Dass die Lage für die Branche, die auf wenig Verpackung und viel Nachhaltigkeit setzt, Gefahren birgt, ist auch in der nach wie vor gut laufenden „Krämerei am Markt“ im sauerländischen Olpe ein großes Thema.
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Inhaberin Melanie Krawitz musste registrieren, dass in Krisenzeiten bei vielen das Geld nicht mehr so locker sitzt. Wie schlimm die Lage ist? Sie kommt bisher über die Runden, weil sie auf ein spezielles Konzept setzt. Aber die 47-Jährige, seit gut zwei Jahren mit ihrem Unverpackt-Laden am Start, schätzt, dass 50 Prozent ihrer Kollegen das Aus droht. Warum? Die Gründe sind vielfältig, aber vor allem steht der Verdacht im Raum: Nachhaltigkeit ist nur was für gute Zeiten. Wenn das Geld knapp wird, wird gespart – auch am Idealismus. Oder?
Es wird gespart – auch an der Nachhaltigkeit?
„Es ist definitiv so, dass viele Leute vollkommen preisorientiert einkaufen“, sagt Krawitz. Sie findet, das sei „zu kurz gedacht“, es geht um das große Ganze: Müllreduzierung, das Klima, die Zukunft und so weiter. Aber was morgen kommt, wird gerne mal zweitrangig, wenn man nicht weiß, was heute ist.
„Seit Ausbruch des Ukraine-Kriegs steht bei vielen Menschen im Vordergrund, alles möglichst effizient zu organisieren“, sagt auch Professor Helge Peukert von der Uni Siegen und erklärt: „Statt der Umwelt stehen auch in der großen Politik die Energiesicherheit und ein gemächliches Weiter-so-Leben im Vordergrund. Wer in einem Unverpackt-Laden einkauft, hat aber keinen direkten persönlichen Vorteil – außer Müll vermieden zu haben.“
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In Siegen, wo der Wissenschaftler arbeitet, hat der Unverpackt-Laden bereitsdichtgemacht. Wie Krawitz geht auch Peukert davon aus, dass die Hälfte der etwa 500 Unverpackt-Läden in Deutschland in ihrer Existenz bedroht sind. „Das Konzept der Unverpackt-Läden basiert primär auf idealistischen Kunden und Kleinunternehmern. In Zeiten der Krise bleiben aber Gelegenheitskunden weg, viele Stammkunden sparen. Selbst Ketten wie dm oder Rossmann haben ihr Unverpackt-Angebot mangels Nachfrage eingestellt“, sagt der Wirtschaftswissenschaftler und bemerkt: „Auch Bio-Supermarktketten stehen vor Insolvenzen, dort ist der größte Umsatz-Einbruch seit 35 Jahren festzustellen.“ Edeka-Händler in Mülheim und Essen etwa halten an ihren Unverpackt-Sortimenten fest.
Den Gegenwind bekamen dagegen auch Theo Kudios und Stefan Holewa, die Gründer von „Bioku“ zu spüren. 2018 waren sie angetreten, in Bochum einen Beitrag zu leisten, die mehr als 200 Kilogramm Verpackungsmüll pro Kopf in Deutschland zu reduzieren. Auf 600 Quadratmetern verkauften sie lose Lebensmittel, unverpackte Zahnbürsten und Shampoo. Auch Kleidung gehörte zum Sortiment.
Gründerinnen aus Mülheim erhielten keine Corona-Hilfe
Doch während der Corona-Pandemie brach der Umsatz nach Angaben der Bioku-Betreiber um 50 Prozent ein. Via Internet sammelten die Gründer Geld und zogen in ein neues Ladenlokal. Doch dann kam auch noch die Inflation. Nach einem langen Überlebenskampf kündigten Kudios und Holewa dann im Sommer mit Wehmut die Schließung von Bioku an.
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Ähnlich lief es in Mülheim. „Püngel & Prütt“. Der Unverpacktladen eröffnete im Januar 2020 im Herzen der Innenstadt mit einem gut laufenden Café. Zwei Monate später brach die Pandemie aus. Die Gründerinnen Jana und Lara Weyers sowie Ariane Gerke reagierten mit einem Lieferdienst und neuen Veranstaltungsformen. „Wir haben keinerlei finanzielle Hilfe vom Staat bekommen, weil wir beim Pandemiebeginn noch Neugründerinnen waren“, erklärte Jana Weyers. Die Suche nach Investoren scheiterte. Im September läuteten die drei Frauen den Ausverkauf ein.
Wenige Wochen später gab auch Essens erster Unverpackt-Laden „Glücklich unverpackt“ seine Schließung Ende Dezember bekannt. Grund dafür ist laut Inhaberin Christiane Teske wachsende Kaufzurückhaltung. „Im Vergleich zur Zeit vor Corona haben wir zwei Drittel weniger Umsatz“, sagt die Einzelhändlerin.
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Gestiegene Preise und Konsumflaute sind nach Einschätzung von Experten aber nur ein Puzzlestück. Abgepackte Ware zu kaufen, ist häufig bequemer als beispielsweise 250 Gramm Linsen in den eigenen Behälter füllen (und lagern) zu müssen. Als junges Unternehmen fehle zudem das Finanzpolster, um Krisen zu überstehen, meint Ladenbetreiberin Melanie Krawitz aus Olpe. „Einige Unverpackt-Läden sind zu idealistisch, teils auch naiv, da kalkulieren Inhaber beispielsweise ihren eigenen Lohn nicht bei dem Starter-Kredit ein“, sagt sie.
Krawitz, die früher in der Verpackungsindustrie gearbeitet hat, ist wohl mehr Realistin denn Idealistin. Sie kombiniert das Gute mit dem Geschäftlichen. Oder umgekehrt. „Ein bisschen Idealismus muss sein. Aber mit Idealismus allein verdient man kein Geld“, sagt sie. Seit der Eröffnung ihres Ladens im Oktober 2020 möchte sie nicht nur die Überzeugungstäter ansprechen, sondern die breite Masse. Ihr Konzept, mit dem sie sich von reinen, mitunter „spartanisch ausgestatteten“, wie es Professor Peukert ausdrückt, Unverpackt-Läden abhebt, erkennt man bereits an der Aufteilung ihres Verkaufsraums.
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Im vorderen Bereich, zum Olper Marktplatz hin, ist das Café platziert. Aufbereitete Retro-Möbel, einladende Atmosphäre, gut sichtbar für Passanten. Das Unverpackt-Sortiment mit Nackthafer, Couscous, Linsen oder Haselnusskernen wartet im Hintergrund.
Unverpackt-Läden funktionieren nicht allein mit Nackthafer
Außerdem bietet Krawitz auch Feinkost-Waren an. Sie verkauft Rotwein, Schnaps, Käse, Kaffee, Marmelade, Kosmetik-Produkte. Wie die Ausrichtung des Café-Bereichs zur Straße ist auch dieser Angebotsmix Strategie. „Wenn ich nur einen Unverpackt-Laden hätte“, sagt sie, „hätte ich die gleichen Probleme wie die anderen. Mir war klar, dass in einer Kleinstadt wie Olpe das Konzept eines reinen Unverpackt-Ladens nicht funktionieren würde.“ Helge Peukert bekennt übrigens, dass er bisher „faul“ gewesen sei und auf verpackte Ware gesetzt habe. Vielleicht dient er ja manchem als Vorbild. Er will sich jetzt ändern. Denn „früher, noch vor 50 Jahren, wurde oft unverpackt eingekauft – es geht also“, sagt er.