Essen. Armin Laschet erklärt NRW zum Vorreiter in Sachen Klimaschutz. Was die Zahlen sagen und was Laschets Positionen für die Zukunft erwarten lassen.

Nach dem Sieg der Grünen bei der Europawahl 2019 wunderte sich NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) noch: „Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich ein weltweites Thema geworden“, sagte er in der Talkshow „Anne Will“. Damit erklärte er zugleich den Erfolg von „Friday of Future“, wie er die Schülerbewegung nannte. Zwei Jahre später sieht sich der Kanzlerkandidat angesichts der Hochwasser-Katastrophe in der Kritik, nicht genug für den Klimaschutz getan zu haben und deshalb eine Mitverantwortung zu tragen für die sich häufenden Unwetter. Laschet kontert das sehr offensiv und erklärt NRW zum Vorreiter beim Klimaschutz, sein Land leiste mehr als alle anderen. Stimmt das?

NRW spart als größter Emittent auch am meisten Treibhausgas

In absoluten Zahlen liegt NRW im Ländervergleich vorn: 2020 sank der Ausstoß von Treibhausgasen um 25 Millionen Tonnen auf 203 Millionen Tonnen CO2. Damit trug NRW mehr als ein Drittel zum bundesweiten Rückgang von 70 Millionen Tonnen bei. Aber: NRW stößt auch mit großem Abstand das meiste CO2 aus – jeweils etwa dreimal so viel wie Baden-Württemberg und Bayern, die zweit- und drittgrößten Emittenten.

Auf die Einwohnerzahl heruntergerechnet ist in NRW der Pro-Kopf-Ausstoß etwa doppelt so hoch wie in den süddeutschen Industrieländern. Wer besonders viel ausstößt, wird immer mehr sparen müssen, wenn das Ziel Klimaneutralität lautet. Und beim prozentualen Rückgang seit 1990 liegt NRW mit 45 Prozent zwar über dem Bundesschnitt (40,8 Prozent), aber hinter Ländern wie Thüringen oder Sachsen-Anhalt.

Laschet lobt NRW für Kohleausstieg

Laschet führt vor allem den Kohleausstieg an, wenn er die führende Rolle von NRW beim Klimaschutz unterfüttern will. Die Energiewirtschaft trug auch 2020 mit 15,6 Millionen Tonnen den größten Teil zur CO2-Minderung bei – in der Tat im Wesentlichen durch die Abschaltung weiterer Steinkohlekraftwerke. Laschet reklamiert das als sein Verdienst.

Allerdings haben NRW und die ostdeutschen Braunkohleländer in den Verhandlungen zum Kohleausstieg bis 2038 einen deutlich klimaschonenderen Pfad verhindert: So werden bereits in diesem Jahrzehnt fast alle Steinkohlekraftwerke abgeschaltet, viele der deutlich klimaschädlicheren Braunkohlekraftwerke laufen dagegen weiter und gehen als letzte vom Netz. Zuerst aus der Steinkohle und dann aus der Braunkohle auszusteigen, ist aus Klimaschutzsicht die falsche Reihenfolge.

Beim Ökostrom-Zubau 2020 vorn, aber weit hinter Zielen zurück

In NRW gingen im vergangenen Jahr 93 neue Windkraftanlagen mit zusammen 317 Megawatt Leistung ans Netz – Platz eins im Ländervergleich. Zur Erreichung der selbst gesteckten Ausbauziele wäre laut dem Landesverband Erneuerbare Energien aber das Dreifache nötig. Im ersten Halbjahr 2021 rutschte NRW mit 38 Windrädern und 145 Megawatt wieder auf Platz vier ab.

Und der Blick nach vorn ist eher düster: Die Leistung neu genehmigter Anlagen von knapp 200 Megawatt ging um 17 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum zurück. Die neue Abstandsregel von 1000 Metern zur Wohnbebauung und das Verbot von Windkraft in Nutzwäldern dürfte den Zubau eher bremsen als beschleunigen.

Mieter sollen höhere Heizkosten allein tragen – oder doch nicht?

Die Privathaushalte benötigen in Deutschland ein Viertel der gesamten Endenergie zum Heizen, Kochen und Duschen. Ihr Verbrauch hat sich seit 1990 praktisch nicht verändert. In NRW ist der CO2-Ausstoß der Privathaushalte in den vergangenen Jahren sogar leicht angestiegen. Energiemanagern wie dem Eon-Chef Leonhard Birnbaum gilt daher die Wärmewende als größte Hürde auf dem Weg zur Klimaneutralität. Und Modernisierungen wie der Einbau von Wärmepumpen, Dämmung und Fenstern als elementar. Doch was, wenn Hausbesitzer das nicht tun?

Auch interessant

Leonhard Birnbaum (54) führt seit April Deutschlands größten Energiekonzern Eon. „Die meisten Neukunden in Deutschland wählen schon Grünstrom“, sagt Birnbaum im Interview mit unserer Redaktion.
Von Ulf Meinke, Stefan Schulte und Andreas Tyrock

Die schwarz-rote Koalition hat zum Jahresanfang eine CO2-Steuer eingeführt, die fossile Brennstoffe wie Gas und Heizöl verteuert – als Energiespar-Anreiz. Zahlen müssen allein die Verbraucher, eine Aufteilung zwischen Mieter und Vermieter hat die Union im Bundestag verhindert.

Klimapolitiker auch der CDU halten das für falsch, weil nur die Vermieter eine Wärmepumpe einbauen können. Laschet verhält sich dazu: mal so und mal so. Der „Zeit“ sagte er vor zwei Wochen, die Kosten müssten „auch von dem getragen werden, der diese Energie nutzt“ – sprich vom Mieter. Wenige Tage später sagte er der ARD: „Die jetzige Lösung, dass der Vermieter quasi gar nichts leistet, wird keinen Bestand haben.“ Was genau er damit meint, ließ er offen.

Auch interessant

Mallorca-Billigflug als Frage sozialer Gerechtigkeit

Die CO2-Emissionen gehen im Verkehr nur leicht zurück, 2020 in NRW wegen des Corona-Lockdowns etwas deutlicher um 11 Prozent. Auch hier setzt die Bundesregierung auf ihre CO2-Steuer, die das Tanken seit Januar verteuert. Während Kanzlerkandidat Laschet beim Heizen und Autofahren auf das Verursacherprinzip setzt, die Kosten also beim Bürger richtig aufgehoben findet, ruft er das Fliegen zur sozialen Frage aus. In der Debatte um Billigflüge und höheren Abgaben für den Luftverkehr hält Laschet dagegen, jeder müsse sich den jährlichen Mallorca-Flug auch künftig leisten können.

Laschet misstraut der Wissenschaft – und stimmt der AfD zu

Erkenntnis und Handeln liegen beim Klimaschutz drei Jahrzehnte auseinander – so lange hat es gedauert, bis die Politik auf die Wissenschaft hört. Dass Laschet seine Grundskepsis gegenüber der Forschung oft und offensiv äußert, lässt wiederum die Forschung skeptisch werden, wenn Laschet sich jetzt zum Vorreiter in Sachen Klimaschutz erklärt. Auch, wenn sich Laschets Aussagen zuletzt stets auf die Corona-Pandemie und nicht auf den Klimaschutz bezogen.

Im Landtag bestärkte der Ministerpräsident unlängst sogar einen AfD-Politiker in dessen Wissenschafts-Skepsis: „Sie haben heute einen wahren Satz gesagt: Immer, wenn jemand ankommt und sagt: ,die Wissenschaft sagt’, ist man klug beraten zu hinterfragen, was dieser gerade im Schilde führt“, rief Laschet dem AfD-Abgeordneten Martin Vincentz zu.

Noch mehr ließ sein folgender Satz aufhorchen: „Denn die Wissenschaft hat immer auch Mindermeinungen. Und wenn es ein Einzelner ist“, sagte der Kanzlerkandidat. Das wirft die Frage auf, ob der Kanzlerkandidat findet, die Politik solle auch mal auf einen einzelnen Wissenschaftler hören statt auf den Stand der übrigen weltweiten Forschung. Denn nach diesem Grundverständnis stellt die AfD auch den menschgemachten Klimawandel infrage. Ein Wissenschaftler, der ihn gegen alle Erkenntnisse der übergroßen Mehrheit leugnet, lässt sich immer finden.