Essen. Der neue RWE-Chef Markus Krebber fordert Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland. Auch beim Impfen sei es zu langsam gelaufen.

Der neue RWE-Chef Markus Krebber fordert mehr Tempo beim Ausbau der Erneuerbaren Energien in Deutschland. „In ganz Deutschland sind im vergangenen Jahr sieben Milliarden Euro in die Energiewende investiert worden, in Holland war es die doppelte Summe“, sagte der Vorstandschef des Essener Energiekonzerns im Gespräch mit unserer Redaktion. „Wir brauchen hier höhere Ausbauziele für Erneuerbare und schnellere Genehmigungsverfahren“, mahnte Krebber. „Dann geht hier auch wieder mehr.“ Der RWE-Chef verglich die Probleme beim klimafreundlichen Umbau des Energiesystems mit dem Corona-Krisenmanagement der Regierungen in Bund, Land und Gemeinden. So stelle sich etwa die Frage, „warum bei uns das Impfen so schleppend angelaufen“ sei. „Unsere Mitarbeiter sehen ja, dass ihre gleichaltrigen Kollegen in England und den USA längst geimpft sind“, sagte Krebber. „Man fragt sich, warum die Hausärzte so spät und die Betriebsärzte noch gar nicht eingebunden sind.“ Hier lesen Sie das erste Interview von Markus Krebber als Konzernchef im Wortlaut:

Herr Krebber, Sie haben lange und intensiv mit Ihrem Vorgänger Rolf Martin Schmitz zusammengearbeitet. Wichtige Entscheidungen wie das historische Tauschgeschäft mit ihrem Konzernnachbarn Eon haben Sie gemeinsam getroffen. Geht bei RWE jetzt alles so weiter wie bisher?

Krebber: Die Richtung stimmt. Wir stehen strategisch, operativ und finanziell so gut da, wie es uns vielleicht keiner zugetraut hätte. Es gibt also keinen Grund, alles auf den Kopf zu stellen. Aber das Umfeld ändert sich. In den vergangenen Jahren mussten wir oft auf Einflüsse von außen reagieren. Jetzt geht es darum, unser Geschäft langfristig zu entwickeln. Die Entscheidungen, die wir heute treffen, bestimmen den Erfolg in der zweiten Hälfte der Zwanziger Jahre.

Was wollen Sie anders machen?

Krebber: Vier Punkte möchte ich herausstellen: das Thema Nachhaltigkeit; den Anspruch, in unseren Kernmärkten eine marktführende Position einzunehmen; Partnerschaften mit Industrieakteuren auf dem Weg zur Dekarbonisierung und RWE zu einem noch attraktiveren Arbeitgeber zu machen.

Neben inhaltlichen Fragen: Wie unterscheiden Sie sich im Führungsstil?

Krebber: Ich glaube, ich unterscheide mich da nicht so sehr von meinem Vorgänger: flache Hierarchien, schnelle Entscheidungen, Pragmatismus, aber auch immer ein kritisches Hinterfragen, ob der eigene Weg der richtige ist.

Ihr Unternehmen steht an einem Wendepunkt. Der Kohleausstieg ist beschlossen – mit erheblichen Folgen für RWE. Wie soll es Ihnen da gelingen, Aufbruchstimmung zu verbreiten?

Krebber: Wir sind bei der Energiewende eher am Anfang als am Ende. Große Investitionen kommen jetzt erst noch. Es liegt also noch viel mehr vor uns als das, was wir geschafft haben. Jetzt geht es ums Machen. Und das ist eine unglaublich spannende Aufgabe.

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Investoren wie Deka und Union Investment machen Druck und fordern mehr Tempo beim Umbau des Konzerns, der immer noch einer der größten CO2-Emittenten in Europa ist. Macht Sie das nervös?

Krebber: Nein, überhaupt nicht. Die Energiewende findet bei uns statt. Wir steigen gleichzeitig bei der Kohle aus und investieren in die Erneuerbaren. Nachhaltigkeit ist Teil unserer Strategie und tief verankert im Unternehmen. Wir haben sehr konstruktive Gespräche mit Investoren, Banken und Versicherungen. Experten haben uns bescheinigt, dass wir in völligem Einklang mit den Pariser Klimazielen unterwegs sind. Wir investieren mehr als 90 Prozent unseres Geldes in Erneuerbare und Speichertechnologien.

Wie wollen Sie das Image des Klimakillers loswerden?

Krebber: Diejenigen, die sich mit RWE beschäftigen, honorieren den Weg, den wir eingeschlagen haben und sind auch mit der Geschwindigkeit einverstanden. Wir hinterfragen uns permanent: Sind wir schnell genug? Klar ist: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien entscheidet über den Klimaschutz. Was wir bei RWE machen, ist Energiewende live. Bei uns ist es möglich, den Umbau tatsächlich zu gestalten, das geht beim Protest auf der Straße nicht. Es wird der Zeitpunkt kommen, wenn wir mehr grünen Strom als Kohlestrom produzieren – und zwar schneller, als vermutlich viele denken.

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts könnte der Druck auf RWE nochmal steigen. Die Verfassungsrichter fordern Nachbesserungen für die Zeit nach dem Jahr 2030, die Braunkohlekraftwerke sollen aber noch bis 2038 laufen. Rechnen Sie mit neuen Vorgaben der Bundesregierung?

Krebber: Das Urteil ist positiv für den Klimaschutz und damit für unser Kerngeschäft, den Ausbau der Erneuerbaren. Die Richter mahnen zu Recht Planungssicherheit an.

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Schließen Sie einen schnelleren Kohleausstieg vor 2038 aus?

Krebber: Ich beteilige mich nicht an diesen Spekulationen. Der Kohleausstieg findet ja bereits im Rheinland statt. Der erste Block ist stillgelegt, sieben weitere folgen schon dieses und nächstes Jahr. Das ist jede Menge Arbeit und viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind betroffen. Das umzusetzen, darauf konzentrieren wir uns jetzt.

Bei den Erneuerbaren haben Sie aufgeholt, von einer Marktführerschaft in Europa sind Sie aber noch weit entfernt. Was ist Ihr Anspruch?

Krebber: Wir sind weltweit die Nummer zwei bei Windkraftprojekten auf See. Bei der Windkraft an Land und Solarprojekten gehören wir zu den führenden Akteuren. In unserem Geschäft ist die Perspektive der nationalen Märkte wichtig, denn wir bauen derzeit ein komplett neues Energiesystem. Über die gesamte Wertschöpfungskette – mit Erzeugung, Speicher- und Wasserstofftechnologien – wollen wir marktführend in unseren Kernmärkten sein, also in Deutschland, anderen Länder der europäischen Union, England und in den USA.

Ist Deutschland ein besonders schwieriger Markt, um die Erneuerbaren auszubauen?

Krebber: Wir würden liebend gerne viel mehr in Deutschland investieren. Wir bauen gerade einen Offshore-Windpark, schieben mehrere Wasserstoffprojekte an und tun vieles mehr. Im Verhältnis zu unseren Gesamtinvestitionen reden wir über 20 Prozent in Deutschland. Wir brauchen hier höhere Ausbauziele für Erneuerbare und schnellere Genehmigungsverfahren. Dann geht hier auch wieder mehr. In ganz Deutschland sind im vergangenen Jahr sieben Milliarden Euro in die Energiewende investiert worden, in Holland war es die doppelte Summe.

Da in Deutschland offenbar so viel schiefläuft – muss es Ihr Ziel als neuer RWE-Chef sein, den Konzern immer internationaler aufzustellen?

Krebber: Ein starker Heimatmarkt ist für uns ganz entscheidend. Aber um etwa bei der Offshore-Windkraft eine relevante Rolle zu spielen, reicht das nicht aus. Weitere internationale Standbeine zu haben, gehört zu

RWE-Markus Krebber (Bildmitte) im Gespräch mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock (2. von rechts), Stefan Schulte (rechts) und Ulf Meinke. Krebber wurde von RWE-Kommunikationschefin Stephanie Schunck begleitet.
RWE-Markus Krebber (Bildmitte) im Gespräch mit WAZ-Chefredakteur Andreas Tyrock (2. von rechts), Stefan Schulte (rechts) und Ulf Meinke. Krebber wurde von RWE-Kommunikationschefin Stephanie Schunck begleitet. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

unserer Strategie. Neben Europa, England, Nordamerika wollen wir auch ausgewählte asiatische Märkte mit Partnern erschließen.

Die Internationalisierung birgt aber auch Risiken. Die größte unvorhergesehene Belastung der vergangenen Monate kam für RWE aus den USA, weil in der Kältewelle die Windräder ausfielen. Wie groß ist der Schaden?

Krebber: Das war ein Jahrhundertereignis, das nicht nur uns getroffen hat, sondern alle Stromerzeuger. Die größten Ausfälle gab es in der konventionellen Infrastruktur. Bei uns lag der Schaden bei rund 400 Millionen Euro. Die Aufarbeitung und die regulatorischen Prüfungen werden noch viel Zeit in Anspruch nehmen.

Im republikanisch regierten Texas wurde aber gegen Ihre eingefrorenen Windräder gewettert, nicht gegen die Gaskraftwerke. Sind Sie als Ökostromproduzent in den USA froh, dass die Präsidentschaft gewechselt hat?

Krebber: In jedem Fall erhält der Klimaschutz in den USA mit dem neuen Präsidenten Biden starken Rückenwind. Die Marktbedingungen waren aber auch vorher nie schlecht.

Wie ist das Verhältnis zwischen Ihrem Geschäft in Deutschland und im Ausland aktuell und wie soll es künftig sein?

Krebber: Dass wir im Moment 20 Prozent in Deutschland investieren und 80 Prozent im Ausland, sagt schon etwas darüber aus, wo künftig Schwerpunkte unseres Geschäfts liegen.

Ihr Konzernnachbar Hochtief macht als Deutschlands größtes Bauunternehmen nur noch rund fünf Prozent seiner Umsätze in Deutschland. Wie sieht das bei RWE im Jahr 2030 aus?

Krebber: Das wäre rein spekulativ. Wenn die Investitionen bei 20 Prozent bleiben, wird das ein Fünftel sein. Aber das kann heute niemand seriös sagen. Wie gesagt: Wir würden sehr gerne mehr tun in unserer Heimat, mir wäre also ein höherer Anteil lieber.

Für Investitionen brauchen Sie Geld, zuletzt haben Sie es über eine Kapitalerhöhung eingesammelt.

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Warum haben Sie stattdessen nicht einfach Eon-Aktien verkauft?

Krebber: Es gibt Vereinbarungen, wie schnell wir wie viele Eon-Anteile verkaufen können. Wir haben es nicht eilig. Aber es ist gut, dass wir beide Optionen haben, um Investitionen in spannende Projekte zu finanzieren.

Also ist es kein Selbstzweck für Sie, größter Eon-Aktionär zu bleiben?

Krebber: Nein, überhaupt nicht. Wir sind sehr zufrieden mit unserer Eon-Beteiligung, und es gibt kurzfristig keine Pläne, daran etwas zu ändern. Aber langfristig ist es keine strategische Beteiligung.

Erwarten Sie durch die Corona-Pandemie langfristige Belastungen, ist das eine Zeitenwende?

Krebber: Corona hat uns gelehrt, dass Sachen passieren können, die niemand auf dem Risikoradar hat. Was die Pandemie auch zeigt, ist, wie schnell wir lernen, damit umzugehen. Für unsere Branche sind die Auswirkungen noch vergleichsweise gering. Aber alle müssen lernen, mit Unsicherheiten zu leben und lernfähig sein.

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Wie bewerten Sie das Krisenmanagement unserer Regierungen in Bund, Land und Gemeinden?

Krebber: Wir sind extrem gut gestartet. Jetzt, wo wir uns hoffentlich bald dem Ende der Pandemie nähern, stellt man sich schon Fragen. Etwa, warum bei uns das Impfen so schleppend angelaufen ist. Unsere Mitarbeiter sehen ja, dass ihre gleichaltrigen Kollegen in England und den USA längst geimpft sind. Man fragt sich, warum die Hausärzte so spät und die Betriebsärzte noch gar nicht eingebunden sind.

Was wären Ihre Antworten auf diese Fragen?

Krebber: Letztlich sind es ähnliche Ursachen wie beim zu langsamen Ausbau der Erneuerbaren Energien und der Stromtrassen: viel Administration und Bürokratie sowie unklare Verantwortlichkeiten. Das war in den angelsächsischen Ländern anders. In Ausnahmesituationen braucht es Führung, Entscheidungskraft und den Mut, sich auch mal über gewisse Dinge hinwegzusetzen.

Bei den Wirtschaftshilfen waren wir in Deutschland doch schnell.

Krebber: Absolut, aber wenn sie mit Betroffenen sprechen, steckt der Teufel wie immer im Detail. Sagen wir’s mal so: Wenn wir mit der gleichen Geschwindigkeit die Impfstoff-Beschaffung hinbekommen hätten, wäre vieles vielleicht einfacher gewesen.

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Der Kanzlerkandidat der Union kommt aus NRW. Brächte ein Kanzler Laschet Standortvorteile für NRW und das Ruhrgebiet?

Krebber: Ich hoffe tunlichst, dass in der Verantwortung für das Gesamtland das Herkunftsland des Kanzlers keine Rolle spielt.

Eine grüne Kanzlerin wäre für den von Ihnen geforderten Anschub der Erneuerbaren Energien auch nicht verkehrt – oder?

Krebber: Unsere Themen können unabhängig von der Parteizugehörigkeit des Kanzlers oder der Kanzlerin gelöst werden. Es gibt doch inzwischen einen Konsens über die Ziele der Energiewende. Am Ende geht es darum, wer die Kraft hat, das auch durchzusetzen.

Und wie?

Krebber: Die Politik muss den Interessenkonflikt zwischen dem Kollektiv und dem Individuum auflösen. Die Gesellschaft will grünen Strom, der Einzelne aber kein Windrad vor seinem Garten. Und die Politik sollte klären, wer was bezahlt, etwa bei der Gebäudesanierung oder dem Netzausbau. Dann geht der Rest quasi von allein. Egal in welcher Konstellation – ich glaube, es wird eine Regierung mit einer langfristigen Perspektive kommen, die das Erreichen der Klimaziele bis 2030 hinkriegen muss.

Herr Krebber, Ihr Vorgänger Rolf Martin Schmitz hat gesagt, er wolle zu seinem Abschied hören: ,Er hat’s gut gemacht‘. Was wollen Sie hören, wenn Sie mal aufhören?

Krebber (lacht laut): Er hat’s besser gemacht, vielleicht? Nein, Rolf und ich haben so gut zusammengearbeitet – das wäre kein gutes Ende für dieses Gespräch.

Okay, dann noch eine Frage: Wie lange wollen Sie RWE-Chef bleiben?

Krebber: Darüber habe ich mir wirklich noch keine Gedanken gemacht. Ich habe einen Vertrag über fünf Jahre – dann schauen wir erstmal, ob ich’s gut gemacht habe.